Glauben – wie geht das?

Der doppelte Schock

In den Evangelien wird vor allem bei zwei Anlässen das Unverständnis der Jünger hervorgehoben, oder umgekehrt: der Schock, den Jesu Weg und Verhalten ihnen versetzt. Zum einen sprengt es ihre Fassungskraft, daß die Gottesherrschaft nicht direkt kommt, sondern auf dem schrecklichen Umweg des Kreuzes. Von der ersten Leidensankündigung bis zur Ratlosigkeit der Jünger am Ölberg, ja noch weiter bis ins österliche Gespräch mit den Emmausjüngern reichen die Zeugnisse. „Das sei ferne von dir!“ (Mt 16,22). „Wir aber hatten gehofft ...“ (Lk 24,21).

Der andere Schock ist die Auferstehung. Daß der Tote, der zum Leben Erweckte, daß er auferstanden ist, das läuft gegen alle Erwartung und Erfahrung; und die Evangelien stellen uns dies plastisch vor Augen (Mk 16,8; Mt 28,17; Lk 24,11.31ff.36–43; Joh 20,9.13–15.24–29).

Die auffällige Unterstreichung des Mißverstehens, des Zögerns, des Erschreckens in beiden Fällen ist sozusagen „inszenierender“ Hinweis darauf, wie groß und wie bedeutsam der Kontrast zwischen dem Handeln Gottes in der Heraufkunft seines Reiches und unseren menschlichen Maßstäben ist. Es passiert eine doppelte Umkehrung: Das Reich Gottes kommt ganz anders, als man es erwartet – es kommt durch die Ohnmacht und Torheit des Kreuzes hindurch. Und die Fortsetzung des Karfreitags läuft ganz anders als [91] erwartet: Den der Vater weder vor dem Kreuz bewahrt noch vom Kreuz heruntergeholt hat, er wird zum neuen Leben erweckt.

Dieser doppelte Schock gehört bis heute zum Weg des Glaubens. Seine eine Grundentscheidung hat auch für uns diesen zweifachen Charakter: Glauben heißt die Sicherheiten weggeben, die Erwartungen verkaufen, sich ausliefern ins Unabsehbare, sich darauf einstellen, daß Gott uns dahin führt, wohin wir nicht wollen und ahnen, sich einstellen aufs Kreuz – und glauben heißt zugleich Mut haben zur neuen Sicherheit, zum neuen Grund und Boden, auf den Gott uns an Ostern stellt, damit rechnen, daß jener, der uns über alles liebt, uns nahe ist, heißt leben mit einem, der lebt.

Die Gelassenheit, in der wir leben mit Gott und in Gott, die Bereitschaft, Liebe zu sein und nicht nur zu haben, das Bewußtsein, daß Jesus nachfolgen nicht nur alles verlassen, sondern Gemeinschaft mit ihm haben heißt: dies alles ist uns bereits begegnet in der vorösterlichen Botschaft. Es gehört zu ihr, aber es erhält im Durchgang durch Kreuz und Auferstehung erst seinen letzten Grund, seine letzte Tiefe, jenen neuen, österlichen Ton, der unverwechselbar zum Christsein gehört.

Die vorösterliche Botschaft Jesu von der herannahenden Gottesherrschaft und die österliche Botschaft von Jesus dem Herrn lassen sich nicht auseinanderreißen, sie gehören zusammen und erklären sich gegenseitig. Wer wissen will, was Herrschaft Gottes sagt, der muß sie aufs Kreuz hin und von Ostern her lesen. Wer wissen will, was sagt: Jesus ist der Herr!, der muß im Licht von Kreuz und Auferstehung das Evangelium lesen; denn der jetzt lebt, ist jener, der einmal gelebt hat, damals in Jerusalem und Galiläa, der uns vom Vater sprach, der Jünger sammelte, der Zeichen der Macht Gottes wirkte, der Kinder segnete und sich über Zöllner und Sünder in Gottes Erbarmen beugte. Jesus Christus nicht mehr „dem Fleische nach kennen“ (vgl. 2 Kor 5,16) heißt nicht, sich um Leben, Worte und Wirken Jesu von Nazareth nicht kümmern, sondern heißt, diese vorösterliche Wirklichkeit verstehen aus dem lebendigen Zusammenhang mit dem österlichen Glauben. Dialektische Zerreißung, um nur noch dem österlichen Herrn zu begegnen, wäre unö- [92] sterlich; die Reduktion auf den bloß Vorösterlichen wäre nicht wahrhaft „jesuanisch“.

Was nun heißt, aus Ostern her mit dem leben, der gelebt hat und der jetzt, heute lebt?