Thesen zu einer trinitarischen Ontologie
Der Einsatz beim unterscheidend Christlichen
- Zugang zum unterscheidend Christlichen
Eine neue Ontologie ist gesucht, eine Ontologie, die beim Proprium des Christlichen ansetzt. Doch von woher tritt dieses Proprium in den Blick? Die Weise, es zu bestimmen, kann in unserem Kontext nicht eine historische Untersuchung sein, die auf Einmaligkeiten, Parallelen und Abhängigkeiten reflektiert, aber auch nicht eine systematische Herausarbeitung der Inhalte, in denen sich christlicher Glaube zentriert. Eher ist unserem Vorhaben eine Differentialanalyse angemessen: Wie verwandeln sich von innen her menschliche Grunderfahrungen und Grundverständnisse von Gott, Welt und Mensch, wenn der Glaube an Jesus Christus in sie einbricht?
Das doppelte Apriori, unter dem die Theologie steht, wird so gewahrt: der Ansatz beim Neuen, beim unmittelbar Christlichen wird abgelesen im Medium des Menschlichen, wird abgelesen am „Alten“, an welchem sich die Neuheit des Christlichen erweist.
[26] 11. Kontext Religion
Die Erfahrung des Glaubens mit Jesus Christus spielt zunächst im Kontext des menschlichen Grundphänomens Religion.
Religion – dies gilt auch fürs Christliche – unterscheidet sich von anderen Sinnentwürfen und Letztantworten durch eine eigentümliche Schwerpunktverlagerung: Der Mensch lebt sein Leben und versteht seine Welt nicht mehr von sich aus, sondern von einem ihm entzogenen Anderen her. Nicht menschliches Fragen oder Vermögen, sondern der Aufgang dieses Anderen, sein Einbruch, sein Ruf, seine Epiphanie, seine Mitteilung, seine Offenbarung von sich her werden zur Achse, um welche das Leben schwingt. Die Überwältigung vom Anderen bleibt indessen nicht äußerlich, sondern legt dieses Andere offen als jenes, von dem ich selbst und meine Welt zuinnerst abhängen und angegangen sind.
Der Anspruch von Religion ist wesenhaft total – und er ist auf doppelte Weise wesenhaft paradox.
Es ist paradox, daß nicht ich Ausgangspunkt, Zentrum bin, ich nicht von mir aus lebe, sondern daß ich die führende Rolle, des Wovonher und Woraufhin meines Daseins aus der Hand gebe. Es ist ebenfalls paradox, daß jenes, was anders ist als alles und größer als alles, etwas von allem wird, etwas im Horizont von allem, Konkretes unter Konkretem. Religion [27] gründet darin, daß das Transzendente in die Immanenz einbricht, ohne seinen transzendierenden Anspruch aufzugeben. Man könnte von einem reziproken Transzensus sprechen.
So gerät Religion in eine doppelte Aporie, die sie immer wieder frag-würdig für den Menschen werden läßt. Zum einen hält sich gegen den Anspruch der Religion, alles und das Ganze zu sein, die unaufhebbare Dynamik des Ich durch, sein Interesse, seine Notwendigkeit, selber initiativ zu werden, von sich selber auszugehen. Religion wird zur Überforderung. Zum anderen behauptet sich die Banalität des alltäglich Erfahrbaren, macht sich die Dringlichkeit der Welt und ihrer Bezüge geltend gegen den Anspruch eines Bezuges, der absolute zu sein. Die Prätention der Religion, sie sei der realste und fundamentalste Bezug, scheint durch die Handgreiflichkeiten widerlegt zu werden; sie provoziert geradezu den Verdacht, Religion sei das Irreale, sei Projektion, sei bloßer Zusatz zur Wirklichkeit.
Der Mensch kann von sich aus diesen Widerspruch nicht völlig lösen. Entweder wird er von der Wucht des religiösen Anspruchs in den Boden, ins eigene Nichts hinein gedrückt; das Wehe-mir bleibt schließlich sein letztes Wort. Oder der Mensch flieht ins Ein und Alles des Göttlichen. So aber wird Religion unversehens zu einem totalen, zu einem monistischen System; das Gegenübersein des Menschen zum heili-[28]gen Geheimnis wird aufgehoben, und im Grunde büßen beide ihren Rang ein. Oder schließlich, der Mensch macht die Religion dadurch „erträglich“, daß er sie reduziert: durch Kompromiß, Umdeutung, Aufklärung.
Die einzige Alternative von innen wäre, diesen Widerspruch nicht auflösen zu wollen, sondern ihn auszuhalten in je neuen Anläufen, auf Hoffnung hin.
- Kontext Logoserfahrung
Die Erfahrung des Glaubens mit Jesus Christus spielt noch in einem anderen Kontext, von dem sie sich zugleich abhebt: er läßt sich – wiederum sehr summarisch Unterschiedliches zusammenfassend – als Logoserfahrung darstellen.
Der Mensch geht von sich aus. Er entdeckt, daß er bei allem ist, was er entdeckt; er findet die Spuren seines Fragens und Denkens in allem, was seinem Fragen und Denken begegnet. Der Zusammenhang selbst, die Spiegelung von allem in allem wird ihm zum faszinierenden Wunder. Sein Leben heißt dieses Wunder nachvollziehen, staunend sich einholen in den entdeckten Zusammenhang. Er steht nicht wie in der Religion gegenüber, sondern drinnen. Das Letzte und Ganze ist größer als alles und doch in allem; in [29] allem aber nicht an einer bestimmten Stelle, auf eine bestimmte Weise, sondern in allem insgesamt, als die Tiefe von allem.
Innerhalb dieser Grundstellung – deren Erfahrungsmoment auch im Christlichen seinen Ort hat – gibt es verschiedene Positionen: Das Ich wird depotenziert zum bloßen Moment der sich vollbringenden All- und Weltvernunft, das Alles, die Welt wird depotenziert zum bloßen Moment auf dem Weg der Vernunft zu sich selbst, der Vernunft, die ich bin – ich dieser einzelne oder ich das Subjekt im transzendentalen Sinn. Andere Position: Die Reflexion löst den Zusammenhang, der mich und alles verbindet, auf zur Fragwürdigkeit, ja Sinnlosigkeit, die nur eines übrigläßt: Resignation, Verzweiflung, Nihilismus. Oder aber: Die Reflexion gibt ihr konstruierendes Vermögen oder ihre destruierende Ohnmacht auf und wird zur Besinnung, die den Zusammenhang gewahrt und wahrt, ihn Wort sein läßt, ohne sich selbst jedoch die Antwort zuzumuten, woher dieses Wort gesprochen sei – reine philosophische Epoché.
Solche Logoserfahrung scheint grenzenlose Offenheit zu ermöglichen, selbst transzendentale Offenheit zu sein, der sich alles zeigen, alles erschließen kann, was immer ist. Doch ist das Alles, das sich transzendental erfahren läßt, wahrhaft alles? Wo die Erfahrung und das konstruktive Vermögen des Logos, wo die Nicht-erfahrung des Logos oder die Erfahrung [30] des Nicht-Logos, aber auch wo die bloß transzendentale Offenheit sich absolut setzen, sich als das schlechterdings Letzte behaupten, da schlägt die Weite der Logoserfahrung in eine fundamentale Verengung um: Setzen wir nicht dem, was im Logos, der alles umfaßt, sich zuspricht, von vorneherein Grenzen, wenn wir ihn darauf festlegen, nur im Ganzen und nur über dem Ganzen, nicht aber im konkreten Gegenüber mich angehen zu dürfen?
- Vor-läufige Antwort: Alter Bund
Religion und Logoserfahrung sind Kontexte und Kontraste der Begegnung des Glaubens mit Jesus Christus. Der vorlaufende Anlauf des Eigenen und Eigentlichen dieses Glaubens geschieht im Glauben Israels, in der Jahwereligion.
In ihr wird die Religion eingebracht und überboten, hebt die Vollendung und Überwindung von Religion an. Der Mensch steht Gott gegenüber – aber nicht nur gegenüber. Der Mensch ist nicht mehr alleingelassen; Gott steht auch auf der Seite des Menschen. Denn Gott ist der Gott des Bundes, der den ganzen Bund und somit auch den Partner des Bundes trägt und übernimmt. Das Wehe-mir bleibt mächtig, aber die Einladung, die Ermutigung, die Verheißung Gottes sind mächtiger.
[31] Auch die andere Aporie der Religion wird – zumindest anfänglich – aufgesprengt. Sosehr Jahwe der Transzendente, der Andere, der je Größere ist, so sehr ist er doch der Gott der Geschichte; das Leben selbst wird Raum seiner Offenbarung und Raum der Begegnung mit ihm. Die Beziehung zu Gott schließt die Beziehung zum Nächsten mit ein. Denn der Bund ist nicht mehr ein Lebensbezug neben oder über anderen, sondern umspannt alle Bezüge und Bereiche, durchwaltet alle Bezüge und Bereiche.
Aber auch die Logoserfahrung ist eingebracht und überboten: Jahwe ist der Einzige und Transzendente – aber er steht nicht in Konkurrenz zur Weisheit, die sich in allem spiegelt und vollbringt, zum Logos, der alle Zusammenhänge und Geheimnisse aufschließt. Die Weisheit wohnt bei Gott, das Wort, in dem alles erschaffen ist, liegt bei ihm. Er ist der Gott des Alles, in allem offenbar – und bleibt doch darüber und gegenüber, ist mächtig, konkret zu sprechen und zu handeln, und sein Wort hat das Recht, mehr zu sagen und Neues zu sagen über das hinaus, was wir bedenkend und bestaunend an der Welt ablesen können.
- Die Antwort des Neuen Bundes auf Religion und Logoserfahrung
Christentum ist Radikalisierung und Umkehr von Religion.
[32] Von Gott allein her leben: dies ist die Haltung der Umkehr, die dem Kommen des Gottesreiches entspricht. Die Zeit ist erfüllt, der Rhythmus der bloßen Hoffnung mündet ein in eine neue, unwiderrufliche Gegenwart Gottes. Am Menschen ist es, sich, seine Zeit radikal zu vergessen und zu verkaufen an die neue Zeit, an den in Jesus Christus kommenden und handelnden Gott. Das eine Paradox der Religion, Leben vom Anderen her, gerät so in seine höchste Steigerung.
Auch mit dem zweiten Paradox geschieht dasselbe: Gott tritt, indem seine Herrschaft anbricht, hinein in den Horizont der Geschichte, und er tut es an einer einzigen, konkreten Stelle. Es gibt keine Vielzahl von Epiphanien, keinen Kranz von Offenbarungen des einen Geheimnisses mehr, sondern das Geheimnis des entzogenen Gottes sammelt sich, konzentriert sich an einem Punkt der Geschichte. Dies ist der Anspruch Jesu, dies das Ärgernis seiner Botschaft.
Aber genau in dieser Steigerung erfährt Religion auch ihre Umkehrung. Die entzogene Quelle von allem, der Gott der absoluten Herkunft und Zukunft, bricht ein ins Mit-uns und Neben-uns. In einem neuen Sinn wird unsere Geschichte seine Epiphanie. Nicht mehr nur wie im Alten Bund, wo Gott selber immer wieder Geschichte lenkt und wandelt, sozusagen von oben her seine Hand ausstreckt, um uns zu führen und zu tragen. Nein jetzt ist Gott selber dort, [33] wo wir unsere Antwort zu geben haben. Das Schicksal Jesu ist Gottes Solidarität mit uns und seine Nähe zu uns, mitten im Raum unseres eigenen Erfahrens, genau an der Stelle unserer eigenen Ohnmacht.
Damit ist Religion, damit ist auch Logoserfahrung integriert, umgedreht und überboten. Alles, was ist, tritt in einen umgreifenden Zusammenhang. Aber er erschöpft sich nicht in dem, was mein Denken in Analyse, Entwurf, Kritik oder Besinnung aus den Phänomenen abliest. Das Wort, das die Welt mir sagt, ist nicht nur ihr Wort oder mein Wort. Vielmehr wird die Geschichte zugesprochenes Wort vom darin offenbaren Gott, der an einem Punkt erscheinend und handelnd, den Sinn des Ganzen entbirgt und gewährt. Ihr Zusammenhang wird Zusammenhang meines, unseres Daseins, wird Wort, das ich und wir aus eigenem Ursprung vollziehen – aber als Antwort, nicht als Vollstreckung eines Gesetzes außer uns oder in uns, sondern als gelebtes Auf-zu von personalem Ursprung zu personalem Ursprung.
- Die innere Mitte des Christlichen: das dreifaltige Ereignis
Herrschaft Gottes: Umkehr, Erfüllung, Überbietung von Religion und Logoserfahrung – das zielt zwar in die Mitte des Christlichen, bringt sie aber noch nicht [34] in letzter Deutlichkeit zum Vorschein. In diese Mitte weist der Vätersatz: Ipse est regnum caelorum. Er meint Jesus Christus.
Indem Jesus Christus die Herrschaft Gottes ansagt und bringt und indem sie uns in ihm begegnet, geschieht eine radikale, vorbehaltlose Kommunikation zwischen Gott und uns. Er selbst teilt in Jesus all das Unsere und all das Seine. Nichts von sich ist draußen aus dem Geschenk, das er in Jesus Christus uns macht; nichts von uns ist draußen aus der Geschichte, die Gottes eigene Geschichte ist.
Jesus Christus ist also nicht nur Organ der Gottesherrschaft, die über ihm bliebe; und ebensowenig ist er Gottes Untergehen, Gottes Sich-Verlieren in die Immanenz, in Welt und Geschichte. In Jesus kommt Gott ganz hinein in die Geschichte – und bleibt doch über ihr. Nur wo er über ihr bleibt, ist sein Innesein in ihr heil-sam, erlösend.
Die Position der Religion hat sich verwandelt: nicht Gott über uns, der uns in unser eigenes Nichts hineindrückt oder in sein eigenes Alles aufsaugt, sondern Gott über uns, der dem Gott antwortet und begegnet, der unter uns ist, der uns trägt, auffängt, annimmt: wir zwischen Gott und Gott.
Aber so gerade wir selbst. Gott tut nicht nur etwas an uns, indem er uns seinen Sohn schenkt, ihn unser Fleisch annehmen, ihn an unserer Stelle, gehorsam bis zum Tod, Antwort geben läßt. Er tut etwas für uns, [35] damit wir in ihm und aus ihm „dasselbe“ zu tun vermögen. Was den Gott über uns und den Gott unter uns eint, die unbedingte Liebe, der Heilige Geist ist uns gegeben, damit aus ihm wir selbst, durch den Sohn getragen, seine tragende Antwort geben.
Hier erst ist auch die einsame Logossituation des Allzusammenhangs aufgesprengt in die eine, ganze Beziehung, welche unableitbares Gegenübersein und unzerreißbares Einssein miteinander verbindet.
Trinität ist nicht logische Abstraktion aus übersteigerten Einzelaussagen der Schrift, nicht Spekulation, die scheue Ansätze in verfügender Rationalität hantierend auszieht. Sie ist die Aussage der Grunderfahrung dessen, wie dem Menschen Gott und wie der Mensch sich selbst neu geschenkt ist, indem er Jesus Christus glaubt.
- Konsequenz: Trinitarische Ontologie
Unsere menschliche Grundsituation, unser Denken und Sein, ja alles Sein erfährt eine Umkehrung, wenn Gott der Dreifaltige ist und als der Dreifaltige seine Geschichte hat in unserer Geschichte. Diese Umkehrung überholt die Maße allen vom Menschen „mitgebrachten“ Denkens über Gott, über sich, über die Welt, über das Sein. Die bloße „relecture“ der in den Glauben mitgebrachten ontologischen Vorverständ-[36]nisse holt nicht ein, was sich hier dem menschlichen Sein und Verstehen aufschließt und mitteilt. Die Forderung nach einer „neuen Ontologie“, nach einer „trinitarischen Ontologie“ ist Konsequenz dieses Glaubens selbst.
- Anläufe der Tradition
Wir werden hier erinnert an die großen Trinitätsgedanken zumal der griechischen Väter und eines Bonaventura. Er – wie in gewichtigen Ansätzen auch Augustinus – hat in die Seinsspekulation eine Phänomenologie der Liebe eingebracht und die Liebe als den ontologischen Kern in den Geheimnissen des Christentums, aber auch im Sein des Seienden entdeckt. In denselben Kontext weisen auch die dogmatischen Grundbestimmungen von göttlicher Person als relatio subsistens und von trinitarischer Perichorese. Schließlich gehört hierher auch ein Denken, das – so bei Thomas – den actus oder – so wiederum bei Bonaventura und in etwa beim Cusaner – die proportio in seine Mitte rückte.
Das alles sind Vorstöße in die gezeichnete Richtung, Vorstöße aber, die in der Geschichte noch nicht zum Austrag brachten, wohin sie zielen. Ein Seinsverständnis, dem das Letzte die Substanz, das Stehen-in-Sich, die Widerständigkeit und Selbständigkeit ist, aber [37] auch eines, dem die reditio in se completa, der Kreislauf von Selbstentäußerung und Selbstrückkehr, das Selbstbewußtsein also, führendes Modell ist, sind zu schmal dimensioniert, um die trinitarische Vorgabe christlichen Seinsverständnisses voll einzulösen.