Das unterscheidend Eine
Der Erste und Einzige
Das Eine und Einzige ist Ereignis des Einen und Einzigen, ja ist der Eine und Einzige. Diese Ausschließlichkeit Gottes als des Einenden und Einen schließt freilich gerade den mit ein, in dem sich Gott als der Eine und Einzige erweist, in dem Gott seine Herrschaft heraufführt.
Dies wird indirekt, aber eindrücklich präsent in der Perikope vom reichen Mann in der Fassung bei Markus (Mk 10,17–22). Nirgendwo scheint Jesus das Interesse so radikal von sich weg auf den Vater allein hinzulenken wie hier. Der Mann spricht Jesus an mit dem Titel „guter Meister“, Jesus aber scheint ihn zurückzuweisen, indem er antwortet: „Warum nennst du mich gut? Niemand ist gut außer Gott, dem Einen“ (Mk 10,10–18). Doch indem Jesus den Partner auf die Fährte Gottes und seines Gebotes allein führt, alles und gerade auch seinen großen Besitz am einzig Guten, an Gott selbst relativiert, spitzt sich das Gespräch zu auf den Ruf Jesu: „und folge mir nach!“ (Mk 10,22). Die in Mk 1,15–20 vollzogene Verbindung zwischen Ankündigung der Gottesherrschaft und Ruf zur Nachfolge weist in dasselbe: Gottes Herrschaft, ihr und sein Kommen geschehen konkret, lassen sich nicht ablösen von dem bestimmten geschichtlichen Ereignis, von Jesus, seiner Botschaft, seinem Schicksal, seiner Person.
[342] Dies rückt keineswegs zur Seite, daß Gottes Heilswille allumspannend ist, die Einheit der Menschheit also über den Kreis derer hinaus erfaßt, die unmittelbar mit Jesus in Beziehung treten. Aber dieser universale Heilswille, diese Präsenz Gottes in der Geschichte ist nichtsdestoweniger da in Jesus, und in der Begegnung mit ihm ist sie alles entscheidende krisis und charis zugleich.
Der Eine und Einzige, Jahwe, Gott allein, stellt sich dar, wirkt, ist gegenwärtig in dem einen und einzigen Jesus als Künder und Bringer der Gottesherrschaft. Jesus als der Eine und Einzige ist die Zueignung, das Ereignis des Einen und Einzigen: Gott.
Der Ausdruck, die innere Geschichte, das Sich-Eröffnen und Sich-Zusprechen dieser Wirklichkeit geschieht in vielfältigen Schritten und Schichten, auf die nur knapp hingewiesen werden kann.
Das ist zunächst der immanente Offenbarungsanspruch der Botschaft Jesu, wie er etwa in den Antithesen der Bergpredigt, im „Ich aber sage Euch“ Jesu aufscheint (Mt 5,21–48). In Jesus erweist sich so Gott selbst als der Sprechende und Handelnde (vgl. auch die Vollmacht der Sündenvergebung in Mk 2,1–12 und die Lokalisierung seines Wirkens und Sprechens in dem einzigartigen Bezug zum Vater in Mt 11,27).
Eine nicht weniger wichtige, zweite Linie liegt auf der Ebene des Ereignisses, des Geschehens: Jener, der die Herrschaft Gottes ansagt, ist mit seiner eigenen Existenz der Künder und Anfang der neuen Einheit der Menschheit in Gott und seiner Herrschaft: durch seine Auferweckung von den Toten. Im Kontext jenes Urzeugnisses der Auferweckung, das uns in 1 Kor 15 vorliegt, wird materialiter auch die Auferweckung Jesu mit dem Beginn der Gottesherrschaft und mit der Auferweckung aller in Verbindung gebracht. In unterschiedlichen Kontexten des Neuen Testamentes tritt der Auferweckte so als der Erstgeborene von den Toten, als der Erstauferstandene in den Blick (Röm 8,29; Kol 1,18; Apg 26,23). Als dieser Erste unter den Auferweckten ist Jesus der Stammvater der neuen Menschheit, der neue Adam (1 Kor 15,22. 45; Röm 5,12–21).
Von der Auferweckung her tritt die Ursprünglichkeit und Anfänglichkeit Jesu selber ins Licht, die ihn im innersten Geheimnis Gottes verankert. Im Erstgeborenen von den Toten leuchtet jener auf, „der dem Geist der Heiligkeit nach eingesetzt ist als der Sohn Gottes in Macht seit der Auferstehung von den Toten“ (Röm 1,4). Er wird gar als „der Erstgeborene der ganzen Schöpfung“ bezeichnet (Kol 1,15), und schließlich geht der Erstgeborene von den Toten auf als der „Einziggeborene vom Vater“ (vgl. Joh 1,14 und 18,3. 16. 18; 1 Joh 4,9).
Bei aller Verschiedenheit der Bilder und Traditionen, die sich in den Aussagen über die Erstheit und Einzigkeit Jesu und über die in ihm neu gegründete Einheit der Geschichte und der Menschheit finden, ergibt sich hier doch ein Zusammenhang, der das Spezifische der Einheit in der neutestamentlichen Botschaft erhellt. Die Einzigkeit Gottes und die Einheit [343] des Ganzen allein in ihm brechen elementar auf in der Gottesherrschaft, die Jesus ansagt und heraufführt. Dieses Ansagen und Heraufführen sind aber nicht nur ein äußeres, werkzeugliches Tun, sondern die Gottesherrschaft eignet sich uns zu in der geschichtlichen Einzigkeit und Einmaligkeit des Kommens Jesu, seiner Botschaft, seiner Auferweckung. Die ausschließliche Einzigkeit Gottes schließt die Einzigkeit Jesu mit ein, vermittelt sich in ihr und konstituiert sie zugleich. Wir können sagen: die Einzigkeit Jesu ist die Einzigkeit Gottes, die Einzigkeit Gottes ist die Einzigkeit Jesu. Dies führt zur Erkenntnis, daß Gott in Jesus sich ganz uns zugeeignet hat, daß es also kein Geheimnis Gottes gibt, das unbezogen und uneröffnet „hinter“ dem Ereignis des Kommens Jesu läge. Gott ist dies: uns seinen Sohn zu senden und zu schenken. Nicht daß die Freiheit und Unselbstverständlichkeit dieser Tat in solcher Aussage aufgehoben wäre, sie gehört vielmehr entscheidend zum Verständnis des Geheimnisses Jesu hinzu. Doch in solcher freien und unselbstverständlichen Zuwendung Gottes zu uns in Jesus ist er selber drinnen. Der, den er sendet, gehört nicht erst in der Folge dieser Sendung zu ihm, sondern diese Sendung hat ihr Geheimnis darin, daß Gott den uns sendet, der so zu ihm gehört, daß in ihm er selber da ist. Dies wird uns vermittelt in der „frühen“ Aussage Röm 8,32: „Er hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?“ Alles ist überboten und somit einbefaßt in der Hingabe des Sohnes, in der Selbsthingabe Gottes (Röm 8,38). Eine dementsprechende „späte“ Stelle (Joh 10,28–30) wird uns in anderem Zusammenhang noch zu denken geben.
So versteht es sich denn, daß wir – wiederum in unterschiedlichen Kontexten – auf bekenntnishafte Aussagen im Neuen Testament stoßen, die als Fundament kirchlicher und geschichtlicher Einheit die Einzigkeit Gottes und jene Jesu in einem Atemzug nennen und innerlich miteinander verbinden. (1 Kor 8,6: „So haben doch wir nur einen Gott, den Vater. Von ihm stammt alles, und wir leben auf ihn hin. Und einer ist der Herr: Jesus Christus. Durch ihn ist alles, und wir sind durch ihn“; weiter Eph 4,5–6: „ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der über allem und durch alles und in allem ist“; schließlich 1 Tim 2,5: „Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus.“)
Indem sich in Jesus die Einheit Gottes vollbringt, indem sie in ihm „da“ ist, ist auch die Einheit von allem da. Jesus ist die anakephalaiosis des Ganzen: Gott „hat beschlossen, die Fülle der Zeiten heraufzuführen, in Christus alles zu vereinen, alles, was im Himmel und auf Erden ist“ (Eph 1,10).
Dieser Einschließlichkeit, dieser Einheit des Ganzen in Jesus entspricht freilich seine Ausschließlichkeit: „Denn es ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen“ (Apg 4,12).