Vorspiel zur Theologie

Der Gang des Interesses: das Spiel

Greifen wir nochmals zurück auf die Beobachtung, daß das Eigene, Erregende eines jeden Interesses mit einer scheinbaren Leerformel, einer Tautologie zur Sprache kommt: Fishing is fishing. Nicht umsonst nimmt das, was nach innen Dynamik ist, nach außen die Gestalt der statischen Gleichung, der Selbstverständlichkeit an. Ein anderes Wort als Interesse erhellt den Grund: das Wort Spiel.

Dieses Wort trifft den Charakter eines jeden Interesses. Wer z. B. Briefmarken sammelt, der läßt sich auf ein [17] Spiel ein: Was finde ich, wie kombiniere ich, wie tausche ich, wo spielt sich mir etwas zu, wo mache ich einen guten Fang? Um von Fußball, Musik und Reisen zu schweigen, auch Politik ist ein solches Spiel. Und wer sich auf Gott einläßt, der läßt sich auf ein Abenteuer ein, der Glaubende darf sagen: aufs Spiel aller Spiele. Alle nur denkbaren Interessen lassen sich als Spiel verstehen.

Ein Spiel erschließt sich nur von innen, im Mitspielen. Es hat seine merkwürdige Identität, seine eigene Logik, seine Stimmigkeit – und gerade das kommt in der Sprachform der Gleichung, des identischen, analytischen Satzes zum Vorschein: Fußball ist eben nicht Schachspiel, sondern Fußball. Aber diese Identität, diese innere Ordnung mit ihren Spielregeln steht im schärfsten Gegensatz zur Selbstverständlichkeit eines bloßen Funktionierens, eines bloß geregelten Ablaufs nach festem Programm. Was im Spiel passiert, ist überraschend, einzigartig – und der Ablauf selbst ist „offen“, will sagen: es gehört zur Identität des Spiels, daß in ihm Neues, Unvorhersehbares passiert.

So aber wird Spielen zum Gegensatz von Leisten. Wer nur eine glänzende Leistung erbracht hat, der hat nicht eigentlich gespielt. Der Glanz der glänzenden Leistung im Spiel ist der Glanz des Geschenks, der den Einsatz und das Können nicht mindert, sondern mehrt. Nicht: Ich habe es geschafft, sondern: Es ist gelungen, ist geglückt.

Dies ist die Differenz, der Überschuß des Spiels übers Interesse, in dem gerade das Wesen des Interesses hell wird: Im Spiel herrscht Einheit und Ordnung auf die Weise der Überraschung; im Spiel bin ich ganz engagiert, und doch ist das Entscheidende Geschenk.

Alles, was wir am Interesse abgelesen haben, ist da im [18] Spiel, zeigt sich – nur noch schärfer – am Spiel. Wie aber geht Spiel, nun einmal nicht im Blick aufs Interesse, sondern spielerisch in sich selbst gelesen?

Spiel ist immer Zusammenspiel. Auch wenn ich allein spiele. Gesetzt den Fall, ich spiele Klavier. Natürlich erklingt kein Ton, den ich nicht erspiele – aber ich spiele Mozart. Er spielt sich mir zu, er, seine Musik kommt zum Klingen durch mich. Sie nimmt mich mit in ihren Gang hinein. Mozart ist der aktive Part, dem ich mich als aufnehmender Raum zur Verfügung stelle. Nicht um mich und mein Können geht es, sondern um ihn. Aber gerade das fordert mich heraus, bringt mich als den Spieler ins Spiel. Interpretation ist mehr als Reproduktion, sie ist Aktivität, Ursprünglichkeit. Nur dann spiele ich Mozart, wenn Mozart dabei Mozart bleibt – aber wenn ich gut Mozart spiele, wird Mozart durch mich mehr Mozart und werde ich durch ihn mehr ich.

Zwei Ursprünge und ein Spiel. Leiser, aber eher noch mächtiger spielt freilich ein dritter Ursprung mit. Jener, der mich und Mozart, mich und seine Musik einander zuspielt. Daß ich einer bin, der eines anderen Musik spielen kann als meine Musik, und daß ein anderer Musik komponieren kann, die Musik für mich und durch mich wird: dies läßt sich nicht addieren, sondern es ist eine Einheit, die weder Mozart gemacht hat noch ich mache. Gerade diese Dynamik, die uns zusammenbindet und in eins spielt, ist die inspirative Kraft für den, der komponiert, und den, der interpretiert. Daß Musik nicht nur Zusammenklang vieler Töne in der dreifältigen Einheit von Melodie, Harmonie und Rhythmus ist, sondern auch Zusammenklang verschiedener Ursprünge ins eine Geschehen von Erfinden, Hören und Interpretieren: darauf spielt die Rede vom Genius der Musik an, von jener ge-[19]heimen dritten – oder ersten? – Ursprünglichkeit, die des Komponierenden und hörend Interpretierenden Ursprünglichkeit steigert, ja allererst entbindet.

Bleibt dreierlei nachzutragen. Einmal, daß jedes Hören Mitspielen und so anfanghaft Interpretieren ist. Zum anderen, daß grundsätzlich dieselben Verhältnisse auch dort noch gelten, wo ich nicht Mozart spiele, sondern nur improvisiere. Auch dort geht die Musik nicht nur von mir aus, sondern auch in mich ein. Mir zuhörend, bin ich überrascht, getroffen, herausgefordert zur Antwort auf die Situation, die ich im Weiterspiel ergreife. Und auch dort ist es gerade das Zusammen von Spielen und Mir-Mitspielen, von Tat und Geschenk, das mir den Raum der Improvisation eröffnet, das meine Musik aus mir und mich aus meiner Musik aufgehen läßt. Zum dritten bleibt nachzutragen, daß Spiel am meisten Spiel ist, wenn ich mit anderen spiele. Aus demselben Spiel ist jeder sich zugespielt, ist jedem seine Rolle zugespielt, sind wir einander zugespielt. In unserem Miteinander gewinnt, was wir spielen, seine Kontur, seine Identität, aus unserem Miteinander geht es auf. Und in der Einheit dieses Spiels werden wir eins miteinander, aber nicht ein Einerlei, wir heben uns voneinander ab. Jeder wird mehr, was er ist, indem das, was wir spielen, mehr wird, größer wird. Auch hier die drei Ursprünge: wir (und im Wir: ich, du, wir), das Gespielte, der Genius des Spiels.

Der Übersicht wegen mag es gut sein, die am Phänomen abgelesenen Verhältnisse formal zusammenzufassen. Die Struktur des Spiels ist gekennzeichnet einmal durch drei aktive Ursprünge, aus denen das eine und selbe Spiel hervorgeht und so hervorgeht, daß die drei Ursprünge in je unterschiedlicher Stellung nacheinander ins Spiel kommen, sich gegenseitig ins Spiel bringen. [20] Konkret angeschaut: Das Schachspiel geht von den Spielern aus, es geht vom Schach aus, es geht von der Konstellation zwischen dem Schach und seinen Spielern aus. Zum anderen ist die Einheit, die Identität des Spiels von einer merkwürdig anderen Art, als gemeinhin Identität verstanden wird. Das Spiel bleibt es selbst, indem es sich verändert. Die Einheit ist Einheit des Geschehens, und dieses Geschehen hat die beiden Grundzüge der Überraschung und der Steigerung. Konkret angeschaut: Das Schachspiel läuft nach klaren Spielregeln ab. Aber das Interessante sind die überraschenden Situationen. Das Spiel wächst in sich selbst, und die Spieler wachsen in ihm, und überdies macht jede neue Partie das Schach reicher und die Spieler reicher.

Man könnte sagen: Das Interessante am Spiel ist, daß es Spiel ist – und gerade so wird deutlich: Das Interessante an jedem Interesse ist, daß es Spiel ist.