Kirche und Kunst – heute
Der Grund und die Möglichkeit der Bilder: die Braut
Ja, Jesus Christus ist die einzige Ikone Gottes. Die Einzigkeit Gottes kommt in ihm zur Darstellung – und neben ihm, außer ihm gibt es keinen anderen, in dem Gott sich ganz und verbindlich uns zusagt, uns zeigt, uns schenkt. In Jesus Christus ist uns der ganze Gott geschenkt und in Jesus Christus ist die ganze Schöpfung in ihrem Grund und Urbild gegenwärtig. Er ist das eine Bild von Gott und Welt zugleich. Aber seine Ausschließlichkeit ist nicht die des Systems, das alles in sich aufzehrt und in dem alles auf- und untergeht. Seine Ausschließlichkeit – nochmalige Selbstüberbietung der Liebe, die Gott ist – ist die der sich schenkenden, sich mitteilenden Liebe. Liebe schenkt alles und nimmt alles an; Liebe zehrt aber nicht auf, wenn sie beschenkt und annimmt, Liebe läßt sein.
So aber, als gönnende, schenkende, um Antwort werbende Liebe wird die Liebe Jesu zur Liebe des Bräutigams und wird die erlöste Menschheit, wird die Kirche zur Braut. Der Bräutigam schmückt sie mit allen Gaben des Geistes, legt alles von sich selbst in sie hinein, wiederholt sich selbst in ihr, gewinnt in ihr nochmals Gestalt – ganz durch seine Liebe und zugleich ganz von ihr, von ihrer Antwort, von ihrem antwortenden Glauben, Hoffen und Lieben her.
Das innerste Geheimnis Gottes, Aufbruch, Überschuß, Ursprung, Liebe zu sein, wird ewig und gleichwesentlich in Gott sichtbar durch sein Wort, durch seinen Sohn. Und dieses Wort und Bild findet nochmals Wort und Bild für uns, indem das Wort Fleisch wird, der Sohn unser Bruder wird, Gott eintritt in unsere Endlichkeit, sich in ihr uns verschenkt. Diese liebende Selbsthingabe des göttlichen Wortes aber wird im Leben und Sterben Jesu nochmals zum Wort und Bild in der Braut, in der Kirche. Es ist der eine und selbe Heilige Geist, Gott von Gott, den Vater und Sohn sich ewig schenken und der in der Menschwerdung und in der Hingabe Jesu am Werk ist – und dieser selbe und eine Heilige Geist formt die Kirche, ist ihr Brautschmuck und ist ihr Leben, so sehr, daß diese Braut der Leib Christi, der in der Geschichte fortlebende Christus selber ist. Liebende Einheit und liebendes Gegenüber, Leib und Braut, das sind die Kennmale der Kirche. Sie ist ganz Gegenwart Christi, ist er selbst, ist sein lebendiges Bild – sie ist aber auch Kunstwerk, Kunstwerk, das er formt und Kunstwerk zugleich, das sich ihm schenkt, indem sie, die Braut selbst, sich ihm schenkt.
Hier ist jene Spannung eingeholt und verwandelt, die uns beim Kunstwerk Jahwes, seinem Volk, so dramatisch in die Augen sprang. Sicherlich, auch Kirche bleibt in ihrer menschlichen Antwort, bleibt in uns, bleibt im Leben ihrer Glieder je hinter dem zurück, was ihr Bräutigam [18] ihr schenkt und zudenkt. Und doch ist ihr Leben das seine. Er schenkt sich ihr und schenkt ihr in seinem Geist zugleich, daß sie sich schenken kann, daß ihre Antwort über sich selbst hinauswächst in seine Treue und Liebe hinein. In der Eucharistie schenkt sie ihn selbst dem Vater als ihre Gabe und mit ihm sich selbst. Hier ist sie die reine und makellose Gabe, hier der reine und ganze Ausdruck dessen, was er in sie hineinlegt. Hier ist sie das Kunstwerk Gottes schlechthin: Braut, geschmückt mit all seinen Gaben, ja mit ihm selbst, durchwirkt mit ihm selbst und verwandelt in ihn selbst und doch zugleich eben sie, Braut, Gegenüber.
Und in dem Kunstwerk, das sie ist, hat auch die christliche Kunst, Kunst als Ausdruck christlicher Existenz ihren Grund und ihr Recht.
Immer ist von der Kirche mehr erwartet als nur das, was sie kann. Immer schuldet sie dem Herrn als Antwort nicht etwas, sondern sich, ja ihn. Aber nur der schenkt dem anderen sich selbst, nur der gibt ihm wahrhaft alles, der zugleich mehr als nur sich und mehr als nur alles ihm schenkt: das Etwas, die einzelne Gabe gehört hinzu. Dies ist eine merkwürdig doppelte Dialektik. Nur der gibt alles, der mehr als etwas gibt, der sich selber gibt. Nur der gibt sich und wahrhaft alles, der nicht nur sich gibt, sondern auch etwas. Wer die Liebe zum andern mit äußeren Werten, mit noch so kostbaren Gaben und Geschenken abgelten wollte, der bliebe draußen aus seinem Geschenk. Wer nur sich selber dem anderen, nur alle seine Zeit, nur sein ganzes Leben ihm schenken wollte und nicht auch die Zuwendung im einzelnen Augenblick und nicht auch die Aufmerksamkeit im Dies und Jenes und im Hier und Jetzt, der ließe das nicht Gestalt werden, was Liebe meint. Solange wir in der Welt der Dinge und der Augenblicke leben, wollen Dinge und Augenblicke Spiegel werden für das Eine, um das es in allem geht, wollen sie Ausdruck werden und Zeichen, in denen die Liebe sich vollbringt.
Gewiß, solche Geschenke, solches Etwas, solche Zeichen sind Unterbietung des ganzen Maßes der Liebe – aber nur in solcher Unterbietung offenbart sich Überschuß und Überfluß dessen, was je größer ist. Und so gehört eben zum Vollzug von Kirche dies hinzu: Ihre Liebe malt den Geliebten und das Geliebte ins Bild und hält es dem Bräutigam hin. Darum geht es zuerst, um die Gestaltwerdung der Liebe, ums Antwortgeben, ums Geschenk, um jenen Überfluß, in welchem das „einzig Notwendige“ Gestalt wird. Und deswegen kann Kirche nie ohne Kunst sein, und deswegen trifft Epiphanius in seinem „Lied nach dem Bildersturm“ eben doch die tiefere Wahrheit: „Recht hast du, Braut des Königs der Welten, des Sohnes, des Wortes, daß du sein Kommen im Fleisch in menschlich begreifbaren Bildern darstellst, denn nur so erkennt man dich als Braut dieses Königs.“