Geschichte des Glaubens – Geschichte des Geglaubten?

Der hermeneutische Dreischritt: Aneignen, Übersetzen, Weitergeben – der theologische Dreischritt: Auslegung, Bekenntnis, Prophetie*

Lassen wir in einem dritten Schritt, der eigentlich das Ganze eher nur amplifiziert, dies sich noch einmal abschatten in den Traditionsvorgang. Ich möchte es einmal hermeneutisch und zum anderen theologisch sagen. Wenn das bisher Ausgeführte gilt, dann gibt es im Vollzug von Theologie hermeneutisch einen dreifachen Vorrang und theologisch einen dreifachen Charakter des wahrhaft theologischen und verkündenden Redens. Hermeneutisch ist das Maßgebende der Urtext, die Frage nach dem Urtext. Man muß immer nach dem Urtext fragen. Es ist keine historische Genüßlichkeit, sondern eine immanente Notwendigkeit des Glaubens, nach dem Urtext, nach der ipsissima vox, nach dem Wort zu fragen, das ergangen ist. Der Anfang hat seine Verbindlichkeit. Es ist aber ebenso notwendig, damit dieses Wort mir Wort sei, nach dem Verständnis zu fragen, nach dem, was es jetzt sage, was es jetzt heiße, daß es jetzt aufgehe. Dies ist aber nur möglich, wenn ich das Aneignen und Aufschließen des Urtextes zugleich als ein Übersetzen verstehe, das nicht nur ein Übersetzen im Sinn der Ausgleichung bedeutet, sondern das Weitergabe ist, Freigabe in einen weiterführenden, befragenden Prozeß. Ich bin also einer, der sich unter das beugt, was ihn befragt – ich bin zuerst der Befragte, wenn ich es in diesen Kategorien sagen darf –, dann bin ich derjenige, der den Text befragt, um ihn zu verstehen, und schließlich bin ich derjenige, der ihn weitergibt und ihn so befragen läßt. Das ist der hermeneutische Dreischritt, der notwendig ist.

Theologisch heißt dies: Theologie ist erstens Auslegung und wird immer Auslegung bleiben. Das Wort selber drängt zur Auslegung. Theologie ist zweitens die Frage nach dem Bekenntnis, in dem wir uns zu diesem Wort miteinander bekennen. Im Bekenntnis kommt die Vielfältigkeit der Stimmen, von denen keine verlorengehen darf, in die Übereinstimmung miteinander. Daß also Gemeinschaft, Gespräch, Verständnis, Weg miteinander möglich sind, dies ist die zweite Frage: Wie können wir uns als die je Jetzigen gemeinsam zu diesem Wort bekennen? Drittens ist die Theologie immer prophetisch. Sie nimmt immer Zukunft vorweg. [229] Und wenn Prophetie echte Prophetie ist, dann ist nur eines ungewiß, nämlich wie sie in Erfüllung geht. Das ist das einzig Ungewisse echter Prophetie. Es ist das Wesen der echten Prophetie, daß sie die Erfüllung nicht subsumiert, sondern daß sie sich freigibt an die Erfüllung und daß sie die Erfüllung und damit das Angekündigte an seine Geschichte freigibt. Dies ist das eigentlich Prophetische, daß da etwas passieren kann, daß Neues werden kann: Siehe, ich mache Neues! Dieser dreifache Charakter der Theologie liegt in der Konsequenz des bislang Gesagten: Auslegung, Bekenntnis, Prophetie.