Zur Situation des pastoralen Dienstes*
Der Hintergrund: Was ist anders geworden?
Es wäre zu enggeführt, zu sehr nur Rückzugsgefecht, wollten wir uns auf die organisatorische Frage beschränken: Wie kann die Sorge für genausoviel Gläubige wie früher von wesentlich weniger Priestern wahrgenommen werden? Wie können Notbehelfe gefunden werden, um die „Löcher zu stopfen“? Und wie kann der schlimmste Schaden für die Gemeinden vermieden werden?
Der Komplex dieser Fragen steht in einem größeren Zusammenhang, auf ihn müssen wir zuerst schauen. Und ohne rosa zu färben, dieser größere Zusammenhang läßt uns auch die positive Herausforderung unserer Situation erkennen. Lassen Sie mich einige Grundzüge herausgreifen, um den Wandel deutlich zu machen, dem wir mit unserem persönlichen Einsatz und mit unserer Planung zu antworten haben.
1. In der Gemeinde sind nicht mehr alle da – aber Gemeinde ist für alle da.
Der Kreis derer, die sich in ihrem Denken und Verhalten bewußt an Lehre und Beispiel der Kirche orientieren und die sich intensiv und regelmäßig am Leben unserer Gemeinden beteiligen, nimmt ab. Als Christ und als Glied der Gemeinde zu leben, das erfordert immer mehr persönliche Entscheidungskraft, das ist immer weniger getragen vom Herkommen, von den Kräften, die die allgemeine Meinung bestimmen, von den Institutionen der Gesellschaft. Es braucht immer mehr Einsatz, um Menschen zur Entscheidung für Christentum und Kirche zu befähi- [5] gen, es braucht immer mehr Sorge um jene, die am Rande stehen oder „ausgewandert“ sind. Pastoral kann nicht heißen: Beschränkung auf den bewahrenden Service für die Restgemeinde. Pastoral heißt vielmehr: das Dasein Jesu für alle mit-tun. Damit seine Botschaft alle erreichen kann, braucht es heute eine differenzierte pastorale Bemühung um die unterschiedlichen Gruppen und braucht es zugleich eine Pastoral, die von vielen mitgetragen wird.
2. Die Zukunft des Glaubens lebt vom Zeugnis des einzelnen – sie lebt vor allem aber vom Zeugnis der Einheit, des Miteinander, der Liebe.
Wenn die Kräfte und Institutionen der Gesellschaft nicht mehr in dem Maße wie früher die Annahme christlichen Denkens und Verhaltens fördern, so kommt es mehr und mehr auf das Zeugnis des einzelnen an, der christliches Denken und Verhalten vormacht und plausibel macht. Wo aber soll dieser einzelne ins christliche Denken und Verhalten hineinwachsen, wenn nicht in einer gemeinsamen Erfahrung! Er muß in unseren Gemeinden lernen, wie man als Christ ist, wie man als Christ zueinander ist, wie man als Christ zu anderen ist. Er muß dieses Zeugnis in seiner Umwelt geben können, doch dazu muß er selber zuvor dieses Zeugnis im Leben der Gemeinde finden.
Diese Überlegung hat einen theologischen Hintergrund. Die Kurzformeln dafür im Johannesevangelium: Daran, daß wir einander lieben, wie der Herr uns geliebt hat, sollen alle uns als seine Jünger erkennen (vgl. Joh 13,34f.) – dadurch, daß wir eins sind miteinander, wie Vater und Sohn eins sind, soll die Welt zum Glauben kommen (vgl. Joh 17,21). Sicherlich, es kommt darauf an, daß wir den wahren und den ganzen Glauben verkünden, gelegen oder ungelegen. Der wahre und ganze Glaube aber ist Glaube an die Liebe, die Gott zu uns hat (vgl. 1 Joh 4,16). Doch Liebe wird nur durch Liebe glaubhaft. Und deshalb kommt es genauso darauf an, daß wir der Welt die Wahrheit Gottes vorleben, die eben Liebe ist: Liebe, wie er uns geliebt hat, Liebe, wie Vater und Sohn einander lieben im Heiligen Geist.
Dann aber ist es keine bloß organisatorische Frage, ob die Zusammenarbeit in unseren Gemeinden klappt, die Zusammenarbeit zwischen Priestern und Laien, die Zusammenarbeit zwischen den Priestern, die Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden und auch die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Verbänden, Gruppen, Zellen. Zusammenarbeit ist nicht nur Form, sondern auch Inhalt unseres Zeugnisses, das wir der Welt schulden. Nur wenn wir so zueinander sind, daß der Herr in unserer Mitte sein kann, ist er eben da. Nur so wird er in unserer Pastoral wirksam, kommt er in ihr zum Zuge.
[6] Übrigens: wo Gemeinden zu diesem Miteinander und Füreinander hinwachsen, da fallen Sorge um die Kerngemeinde und Sorge um jene am Rand nicht mehr auseinander. Brüderliche Gemeinde wird von selbst zur missionarischen Gemeinde. Die gegenseitige Liebe macht die Menschen offen und setzt die Kräfte frei, sich über den eigenen Kreis hinaus für die anderen zu interessieren und einzusetzen.
3. Unsere Pastoral wird immer mehr geistlich – und immer mehr weltlich sein müssen. Sie braucht als ihre Träger Priester – aber auch Laien.
Je weniger das Christsein auf Stützung und Zustimmung in der Gesellschaft rechnen kann, desto wichtiger ist es, aus der Mitte, aus dem Evangelium zu leben. Nicht mit einer „Ermäßigung“ des Christentums wäre es getan. Notwendig ist vielmehr der Durchblick auf die eine Mitte, das Leben aus der einen Mitte. Konsequenzen für die Verkündigung: sie muß die vergessenen Wahrheilen ans Licht heben, sie muß die Vielfalt des Christlichen durchsichtig machen auf die Grundlinien des Evangeliums, sie muß uns helfen, unser Leben aus dem Evangelium zu gestalten. Verbindliche, klärende, durch vollmächtige Sendung getragene Verkündigung für alle einerseits und vielfältiges, zumal gemeinsames Glaubenszeugnis, in dem sich die vielen Situationen des Lebens und der Gesellschaft aufschlüsseln aufs Evangelium hin, andererseits müssen einander ergänzen. Gemeindekatechese (zur Vorbereitung auf die Sakramente, aber auch darüber hinaus), Glaubensgespräche, Glaubenskreise, lebendige Zellen sind nicht Notbehelf oder Modeerscheinung.
Was für die Verkündigung gilt, das gilt für die Pastoral insgesamt. Es ist dringend notwendig, genügt aber nicht, die Heilssorge Jesu und die Gabe seiner Sakramente den Menschen anzubieten. Sie müssen in diesen Verhältnissen und Situationen Rat, Information, Hilfe, Nähe erfahren von solchen, die unmittelbar neben ihnen stehen. Der Priester soll gewiß kein welt- und menschenferner Koordinator werden, keiner, der sich geistlich vertieft – und nebenan läuft beziehungslos das Leben der Menschen ab; keiner, der die Wahrheit zeitlos sagt – und die Zeit kann nichts verstehen von solcher Zeitlosigkeit. Aber er soll ebensowenig einer sein, der die Nähe Jesu zu allen und zu jedem selbst und allein leisten will. Nicht er ist die Gemeinde, sondern die Gemeinde. Er soll sammeln und einen, inspirieren und Sorge tragen durch Wort, Dienst und Beispiel, daß die Glieder der Gemeinde die Nähe und Solidarität Jesu einander erweisen. Gemeinden brauchen ihn, brauchen den ordinierten Träger des Amtes, der in der Gemeinde und ihr zugleich gegenübersteht, um sie stets offenzuhalten für Angebot und Anspruch des Herrn – Gemeinden brauchen genauso die Laien, die den anderen zur Seite sind, um von innen her die Situationen des Lebens und der Gesell- [7] schaft aus dem Evangelium zu verstehen und zu bestehen und sie anderen verstehen und bestehen zu helfen.
„Geistlich“ und „weltlich“ – das läßt sich freilich nicht auseinandersortieren – das eine für den Klerus, das andere für die Laien. Auch der Priester bleibt in der Welt, soll und muß in ihr bleiben, den Fragen, Nöten und Erwartungen aller nahe. Und auch der Laie ist ein „Geistlicher“, durch Taufe und Firmung mit dem Geist begabt, nicht nur um die Welt mit dem Evangelium zu durchdringen, sondern ebenso, um aus ihrem Stoff Kirche aufzubauen und um seine Welt-Erfahrung in sie einzubringen.
Natürlich wäre es auch ein Mißverständnis, den Laien für die Pastoral, gar für die Pastoral allein „vereinnahmen“ zu wollen. Christliches Weltzeugnis erschöpft sich nicht in der Hilfe beim Aufbau der Gemeinde. Diese Hilfe kann nur gelingen, wenn sie mitgetragen wird vom unmittelbaren Einsatz des Christen für die Welt. Pastoral steht in der wirklichen Welt, nicht in einer Sonderwelt.
So haben gerade auch jene freien Vereinigungen – Verbände, Organisationen, Bewegungen, Gruppen – ihre unübersehbare „pastorale“ Bedeutung, deren Schwerpunkt nicht im unmittelbaren pastoralen Einsatz, sondern im Dienst an der Gesellschaft und in der geistlichen Durchdringung ihrer Lebensbereiche liegt.
4. Pastoral heute kann nur geschehen im einmütigen Zusammenwirken vieler und unterschiedlicher Dienste.
Ich stehe nicht an, den priesterlichen Dienst als heute besonders dringlich zu bezeichnen. Je vielfältiger das Leben, je unterschiedlicher die Anforderungen an unser Christsein werden, um so mehr bedarf es der Einung, der Sammlung, der Verbindung zwischen den vielen einzelnen und den vielen Zellen von Glaubenden in der einen Gemeinde und der Verbindung der Gemeinden untereinander in der einen Kirche. Priesterlicher Hirtendienst hat also seine brennende Aktualität. Aber aus demselben Befund ergibt sich noch eine andere Konsequenz: Eine bloß passive Haltung des Konsumierens, des Sich-Versorgen-Lassens ist den Anforderungen an den Glauben immer weniger gewachsen. Wer nicht Zeugnis gibt, dem zerrinnt sein eigener Glaube. Wer nicht Christ ist für andere, der vermag auch nicht mehr Christ zu sein für sich selbst. Taufe und Firmung machen uns nicht zu passiven, sondern zu lebendigen, tragenden, selber „bauenden“ Bausteinen jenes Hauses, in dem der Herr mitten in der Welt wohnen will. Christsein für andere aber heißt Dienst für andere. Taufe und Firmung sind Befähigung zu solchem Dienst. An jedem liegt es, daß andere glauben können, daß Gemeinde sich aufbaut. Jeder hat seine Berufung zum Dienst an den andern: ein Geist und viele Gaben, ein Leib und viele Glieder, und alle dienen einander.
Schön gesagt, wird mancher erfahrene Seelsorger denken. Aber die Frage drängt sich ihm auf: Nimmt nicht gerade heute das bloße Konsumdenken Oberhand, fragt sich nicht jeder zuerst, was er „geboten“ bekommt? Doch wenn wir uns auf diese Mentalität einstellten, dann glichen wir jenem, der dem Erfrierenden das Viertelstündchen Schlaf statt des Weitergehens gönnen wollte. Andererseits aber gibt es Bereitschaft, ja Sehnsucht, aus diesem bloßen Versorgungs- und Anspruchsdenken auszubrechen, gibt es Zeichen dafür, daß Einsatz, Hingabe, Dasein für andere wieder gefragt sind und daß auf Dauer allein solche Haltung den Menschen erfüllt. Übrigens: Den glimmenden Docht nicht löschen, das steht nicht im Gegensatz zum Appell, das Feuer den anderen weiterzugeben. Das geknickte Rohr nicht brechen, das steht nicht im Gegensatz zum Appell, selber stark zu werden, indem ich andere trage.
Es wäre allerdings grundverkehrt, die Gemeinden von gestern und heute als bloß passiv und träge, als bloß angepaßt und nicht zum Dienst bereit abzuqualifizieren. Grundverkehrt auch, zu übersehen, was der Pastor guten alten Stiles nicht nur selber in der Seelsorge geleistet hat, sondern was er auch in seiner Gemeinde zu wecken vermochte an Mitarbeit, Einsatz, gestalterischer, mittragender Kraft. Nein, wir können uns an vielen Gemeinden und Priestern früherer Generationen ein Beispiel nehmen, auch wenn die Formen und die Felder dienender Mitarbeit in den Gemeinden sich ändern.
5. Gemeinde trägt die Pastoral mit – das erfordert mit Vorrang viele ehrenamtliche Dienste.
Die Forderung nach vielen und unterschiedlichen Diensten in der Pastoral soll alles eher sein als Startzeichen zu einer bloßen „Kirche der Hauptamtler“. Vorrang muß – und zwar ganz unabhängig von finanziellen Gesichtspunkten – der ehrenamtliche Dienst in unseren Gemeinden haben.
Ich habe da bei den Besuchen im Bistum bereits erfreuliche Erfahrungen gemacht: Pfarrgemeinderäte und Kirchenvorstände, die ohne leidige Kompetenz- und Prestigefragen unkompliziert Zusammenarbeit mit dem Pfarrer verwirklichen und weiterführende, selbständige Initiativen ergreifen; Lektorenkreise, die geistliches Leben aus der Liturgie und aus der Schrift in die Gemeinde hineintragen; Caritaskreise, die sich um leicht übersehene Not, um Randgruppen, um das Hineinwachsen ausländischer Mitbürger in unsere Gemeinden vorbildlich bemühen; Kreise von solchen, die die Neuzuziehenden aufsuchen und ihnen Wege in die [9] Gemeinde bahnen; Laien, die sich in die offene Jugend- oder in die Bibliotheks- oder in die Altenarbeit so hineingeben, daß Heimat, Bildung, Kontakt, Leben wird; schließlich Kreise von solchen, die Gemeindekatechese mittragen und jenen Prozeß fördern, der auch für einen Paulus bereits so wichtig war, wie es Röm 1,11f. oder Phlm 5–7 zeigen. So wächst Gemeinde, und manchmal wächst sie sogar um so mehr in einer Notsituation (kein Kaplan, ja vielleicht nicht einmal mehr ein Pfarrer im Ort!).
Auch hier klingen mir mancherlei Einreden im Ohr, die ich nicht einfach abtun, die ich aber auch nicht einfach stehen lassen will. Eine davon: „Ehrenamtliche Mitarbeiter in Ehren! Aber man hat viel mehr Arbeit, als wenn man alles allein tut. Entlastung bringen diese Räte und Kreise nicht!“ Drei Dinge möchte ich antworten: Zum einen ist die Entlastung des Priesters nicht der einzige, ja nicht einmal der erste Zweck der ehrenamtlichen Dienste in der Pfarrei. Es geht wirklich darum, daß Gemeinde zur dienenden Gemeinde wird, daß Glaube zum zeugenden und bezeugenden Glauben wird. Zum anderen: Die Befähigung der Gläubigen zum Dienst wird immer mehr eine Aufgabe des Priesters sein müssen. Sicher soll der Priester nicht in eine luftdicht abgeschlossene Führungskabine abgedrängt werden. Aber er allein kann das Bedürfnis der einzelnen Gemeindemitglieder nach personalem Kontakt nicht erfüllen. Er muß solchen Kontakt In Gang bringen und muß für viele Aktivitäten die geistliche Mitte bilden. Das erfordert Loslassen, erfordert Bereitschaft, nicht sofort dazwischenzufahren, wenn einmal die anderen es nicht so perfekt „können“ wie er. Das fällt nicht leicht; aber es ist ein geistlicher Dienst, einer, bei dem wir ernstmachen, daß nicht wir die Herren der Gemeinde sind, daß nicht wir den Erfolg vermögen, sondern ein anderer. Und schließlich, wenn wir die Geduld nicht verlieren; wenn wir eine Anfangszeit der Mühe und der doppelten Arbeit durchstehen; wenn wir bei Mißerfolgen nicht gleich den Mut sinken lassen und anderen den Mut nehmen; wenn wir uns ein bißchen einfühlen in die Situation derer, die bereit sind, einen Dienst zu übernehmen und sie nicht gleich als ehrgeizig oder eigensinnig abqualifizieren: dann wird doch auch eine Entlastung des Priesters eintreten, er wird frei für die wesentliche, geistliche Mitte seines Dienstes.
6. Heute und erst recht morgen ist „Priester“ nicht der einzige pastorale Beruf. Wir brauchen Diakone und Laien in pastoralen Berufen auch unabhängig vom Priestermangel.
Mein Plädoyer für das Ehrenamt braucht noch eine Ergänzung: Ehrenamtlicher Dienst ist die Hauptsache, aber nicht die ganze Sache. Denn es müssen jene Dienste in Gang gebracht werden, von denen ich oben sprach. Der Kontakt der verschiedenen Gruppen und Kreise miteinander [10] und mit der Gemeinde muß gewährleistet werden; Rat und Hilfe müssen auch in jenen Situationen angeboten werden, in denen ehrenamtliche Helfer überfordert wären; möglichst jedermann soll in den verschiedenen Sach- und Lebensbereichen, in die er hineingestellt ist, Orientierung und Solidarität aus dem Glauben erfahren. Für solche Dienste aber braucht es auch den beruflichen Einsatz von Laien und von Diakonen.
Schon lange leisten in unserem Bistum viele Frauen und Männer – etwa als Religionslehrer, Katecheten, Küster und Organisten oder Kindergärtnerinnen, in Beratungsstellen und in der Bildungsarbeit, nicht zuletzt als Mitarbeiter in Pfarrbüro und Pfarrhaus – beruflich wichtige Dienste, die Atmosphäre und pastorale Aktivitäten in den Gemeinden entscheidend mitprägen. Sie verdienen unsere Dankbarkeit, unser Interesse, unsere Achtung und Zusammenarbeit. Ihr Dienst bedarf aber der Ergänzung durch unmittelbar pastorale Berufe im engeren Wortsinn.
Ich darf besonders auf die Beschlüsse und Grundsätze zur Ordnung der pastoralen Dienste verweisen, die von der Deutschen Bischofskonferenz in ihrer Frühjahrsvollversammlung 1977 verabschiedet wurden und Ihnen in einer Broschüre zugegangen sind. Sie bilden auch den verbindlichen Rahmen für die Planung in unserem Bistum. Ich bin froh, daß es hiermit zu einem Ansatz des gemeinsamen Handelns in allen Bistümern, zur Entwicklung eines Konzeptes gekommen ist, das nicht bloß von Zufällen oder aktuellen Notsituationen diktiert wird.
Auch in unserem Bistum soll der ständige Diakonat über die bisherigen kleinen Anfänge hinaus gefördert werden; dabei ist nicht nur an Diakone im Hauptberuf, sondern auch an Diakone mit Zivilberuf zu denken. Hier haben wir noch einiges zu klären und zu entwickeln.
Ich möchte indessen heute auf zwei Berufsbilder von Laien im pastoralen Dienst kurz eingehen, die sich bereits in der Praxis unseres Bistums abzeichnen: Gemeindereferent(in) und Pastoralreferent(in).
Die Gemeindereferenten(innen) haben ihren Dienst vor allem in der einzelnen Gemeinde. Wir wissen, welch unersetzlichen Dienst die Seelsorgehelferinnen, wie sie bislang hießen, bereits geleistet haben. Es braucht Menschen, die dorthin kommen, wohin der Pfarrer nicht kommt, Menschen, die der Gemeinde helfen, Gemeinde zu sein, und den Priestern helfen, ihr Amt wahrzunehmen. Daß in der Jugend und bei den älteren Menschen, in der Katechese und bei den Eltern, in den Wohnvierteln und in der Vorbereitung auf die Sakramente die Sache „losgeht“ und „weitergeht“: das liegt doch vielerorts seit langem an diesen Frauen, die sehr still und dienend, aber mit einem ungemeinen Einsatz in unseren Gemeinden wirken.
[11] Wir werden solche Männer und Frauen als Gemeindereferenten(innen) noch mehr brauchen als bislang; und ich bitte Sie, meine lieben Mitbrüder, von Herzen, in ihnen nicht bloßes „Hilfspersonal“ zu sehen, das man herumschieben kann. Natürlich tut Zusammenarbeit not, und die heißt auch: Hinordnung auf den Pfarrer. Natürlich ist der Dienst der Gemeindereferenten(innen) helfend nicht nur der Gemeinde, sondern auch dem Amt zugeordnet. Aber denken wir, welch wichtige und eigengeprägte Aufgabe es ist, Wege zu bauen, Atmosphäre zu bereiten. Wege, damit die anderen zu uns und wir zu den anderen finden, Atmosphäre, in der wirklich Geistliches gedeihen kann. Diesen Dienst der Gemeinde-referenten(innen) sollten wir in unserer inneren Einstellung und unserem äußeren Verhalten achten und mittragen!
Pastoralreferent(in) ist ein verhältnismäßig neuer Beruf. Die Ausbildung dafür ist in der Regel das akademische Theologiestudium, oft (ich möchte sagen: womöglich) durch zusätzliche Sachqualifikation erweitert. Es ist nur zu verständlich, wäre aber verhängnisvoll, aus dem Pastoralreferenten den Ersatzkaplan, den Minipriester zu machen. Gerade gegen diese Tendenz hat sich – und darüber bin ich besonders froh – im letzten Frühjahr die Bischofskonferenz gewandt. Wir dürfen nicht Erwartungen bei den Betroffenen und den Gemeinden wecken, die zu einer tiefen Unzufriedenheit führen können; das geschähe, wenn wir Laien einsetzten wie Priester, und doch fehlt ihnen auf Dauer das Herzstück priesterlichen Dienstes.
Pastoralreferenten werden ihren Ort haben vornehmlich in Dekanaten, in sehr großen Gemeinden oder in einem Verbund zwischen mehreren Gemeinden, für pastorale Aufgaben, die sinnvollerweise „großräumig“, also für einige Gemeinden, wahrgenommen werden, zumal für solche, die einen spezialisierten Einsatz verlangen, also etwa in Jugendarbeit, Bildung, Familienarbeit, Beratung.
Hier wird der Schwerpunkt des Dienstes der Pastoralreferenten liegen; doch wird sich gleichzeitig die besondere Nähe eines jeden Pastoral-referenten zu einer bestimmten Gemeinde und die Mithilfe in ihr empfehlen. Eine jeweils klare Zuordnung zum Dechanten bzw. Pfarrer ist dabei notwendig, aber ebenso die relative Eigenständigkeit im jeweiligen Sachbereich. Gegenseitige Abstimmung, Absprache, gemeinsame Planung, vor allem aber gegenseitiges Vertrauen und Offenheit füreinander sind die Grundbedingung, daß es nicht zu gegenseitiger Enttäuschung kommt.
Das hier nur in gröbsten Strichen skizzierte Konzept bietet am ehesten Gewähr dafür, daß man pastorale Berufe der Laien – und Entsprechendes gilt vom Diakon – nicht zum Priesterersatz degradiert und ein „nie- [12] derer Klerus“ mit all seinen Problemen institutionalisiert wird. Umgekehrt dürfen auch die Priester nicht in eine Rollenunsicherheit hineingedrängt und auf die „Restfunktionen“ von Eucharistie und Lossprechung reduziert werden. Daß Eucharistie und Bußsakrament zentral sind für ihren Dienst der Einung und Versöhnung, daß priesterliches Wirken vom Altar her seine bleibende Identität gewinnt, daran soll durch die Rede von den „Restfunktionen“ keineswegs gerüttelt werden. Wenn ich nichts anderes mehr tun könnte, als jeden Tag zu zelebrieren, so hätte ich keineswegs den Eindruck, umsonst Priester zu sein. Und ich meine, daß wir gerade aus dieser Haltung heraus befähigt werden, als Priester auch das Ganze dessen zu tun, was uns aufgegeben ist. Also: Priester sind nicht nur da für die Eucharistiefeier, aber in ihr und von ihr her sollen wir das „Ganze“ tun!
7. Pastoral muß ansetzen beim überschaubaren Lebensraum – sie muß aber, wie das Leben selbst, immer mehr über die Zäune hinausreichen. Anders gewendet: die Pfarrgemeinde von heute ist auch morgen nicht überholt — die Verbindung zwischen den Gemeinden wird indessen immer dringlicher werden.
Die Strukturen kirchlichen Lebens stehen notwendig in einem Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Entwicklung. Der Mensch soll ja dort, wo er lebt, vom Anspruch und Angebot Gottes erreicht werden, soll dort, wo er lebt, Zeugnis geben für sein Christsein und zur Gemeinschaft in Christus finden.
Immer müssen freilich zwei Dimensionen sich gegenseitig ergänzen, damit christliches Leben und christliche Gemeinschaft ihr Maß erreichen. Man könnte sie bezeichnen mit den beiden Worten „Bergung“ und „Öffnung“; man könnte auch sagen: „Sammlung“ und „Sendung“. Schon der Apostel sammelt die Menschen, die an einem Ort zum Glauben kommen, so daß sich aus ihnen neue Gemeinschaft bildet: Gemeinde. In ihr soll das Evangelium gegenwärtig werden für die konkrete Umwelt, in der diese Menschen leben. Normalerweise ist dies die polis, das antike Gemeinwesen. Es ist indessen bezeichnend: Nicht nur der Apostel zieht weiter, um das Evangelium auch anderen zu predigen, sondern die Gemeinde begleitet den Apostel und trägt seine Sorge für die anderen Gemeinden mit. Das Evangelium muß auch anderswo ankommen: überall auf der Welt. Aber wir dürfen auch den überschaubaren Kreis, die nächsten Gemeinden der Umgegend, mit unserer weltweiten Sorge nicht übergehen.
Wechseln wir sofort zu unserer Gegenwart hinüber. Gesellschaftlich spielt sich ein tiefgreifender Wandlungsprozeß ab, der durch die fortschreitende Industrialisierung und die damit zusammenhängende Ent- [13] wicklung des Verkehrs- und Wirtschaftslebens mitbedingt ist. Die Fluktuation, die Mobilität in unserer Gesellschaft nehmen zu. Die kleine bürgerliche Gemeinde verliert, auch ohne künstliche Eingriffe von Planung und Verwaltung, immer mehr an Funktionen. Man mag über Verwaltungsreform und ihre Folgen geteilter Meinung sein – ausschließlich aus dem bösen Willen oder der Borniertheit von Bürokraten ist sie nicht geboren. Vernünftigerweise kann nicht das Daß, sondern nur das Wie eines Zusammenrückens bisher selbständiger Gemeinwesen in Frage gezogen werden. Der Mensch lebt nicht mehr nur in der einzelnen Gemeinde, sondern muß andauernd über ihren Rahmen hinaus, um die für sein Leben wichtigen Funktionen zu erfüllen.
Das hat weittragende Folgen auch für die Präsenz der Kirche beim einzelnen und für die Präsenz der Kirche in der Gesellschaft. Die Kirche darf nicht den gewachsenen Lebensraum verlassen, der zwar an Funktionen verarmt ist, aber doch noch etwas wie „Nestwärme“ in sich hält. Denn sonst verließe die Kirche gerade jene Zonen des Menschlichen, in denen vital die Frage nach dem personalen Heil und die unmittelbare Ansprechbarkeit durch die Botschaft des Evangeliums verwurzelt sind. Der Mensch bliebe ohne Bergung, ohne Heimat. Die Kirche darf sich jedoch auch nicht auf diesen Raum beschränken. Denn sonst blieben andere wichtige und immer wichtiger werdende Gebiete menschlicher Verantwortung und menschlicher Erfahrung ohne ihre Gegenwart. Sie ließe den Menschen in vielen brennenden und bedrängenden Fragen und Zonen seines Lebens allein. Auch unabhängig von aller Priesternot ist es von daher ein Erfordernis der Stunde, zu einem Zusammenwirken der Pfarrgemeinden zu kommen und viele ihrer Funktionen in einer dichten Kooperation wahrzunehmen. Andernfalls fehlte es an der Öffnung, und Kirche fiele zurück ins bloße Idyll, wenn nicht gar ins Getto.
Die gewordene Gemeinde behält also ihren Sinn und ihre Bedeutung, sie muß sogar weithin noch näher zum Menschen hinwachsen; dazu bedarf sie überschaubarer Substrukturen, lebendiger Zellen. Die Einzelgemeinde bedarf aber zugleich der übergreifenden Kooperation mit anderen Gemeinden, vieles muß gemeinsam für mehrere Gemeinden geplant und durchgeführt werden. Über solche Kooperation hinaus muß es allenthalben aber die Öffnung fürs Ganze, die Gegenwart des Ganzen in jeder einzelnen Gemeinde und jeder einzelnen Zelle von Gemeinde geben; so sehr Kirche Gemeinde ist, so wenig ist sie nur Gemeinde.
Eine Konsequenz aus diesem Sachverhalt haben wir bereits angesprochen: Die spezialisierten Dienste, die zumal von Pastoralreferenten(innen) wahrgenommen werden, geschehen am sinnvollsten auf der Ebene des Dekanates, der größeren Pfarrei oder des Verbundes mehrerer [14] Pfarreien. Eine noch wichtigere Konsequenz muß hinzugefügt werden: Kooperation der einzelnen Gemeinden ist zuerst und zumal Kooperation der Priester. Sie müssen in besonderer Weise um die Einheit in der Gemeinde und über die Gemeinde hinaus bemüht sein. Das Bild vom Priester als „Kleinbischof“ kann nicht mehr das Priesterbild von heute sein. Dieses muß sich vielmehr vom Presbyterium her bestimmen, von der brüderlichen Gemeinschaft um den Bischof, von der gemeinsamen Sorge, die kein Halt an der eigenen Gemeindegrenze kennt.
Hier besteht erheblicher Nachholbedarf. Am guten Willen von irgend jemand zu zweifeln, wäre Unrecht. Aber es gibt offenbar etliche Barrieren, die zu übersteigen sind. Wer sich mit ganzer Kraft für seine Gemeinde einsetzt, wer sein Eigenstes und Innerstes in seine Arbeit investiert, ohne zu rechnen und zu zählen, der tut sich verständlicherweise nicht so leicht, von seinem Stil, von seinen Vorstellungen, von seiner Verantwortlichkeit Abstriche zu machen. Er tut sich schwer, von innen her Ja dazu zu sagen, daß er sein eigenes Tun aufs Tun anderer hin orientieren, mit anderen abstimmen muß. Übrigens fällt dieser Sprung über den eigenen Schatten den Jüngeren oft keineswegs leichter als den Älteren. Wir alle müssen uns da gegenseitig viel helfen. Und jeder muß bei sich selbst anfangen, dem anderen gegenüber aber viel Geduld, Fingerspitzengefühl und auch Mut aufbringen: Denn oft fehlt es nicht am Wollen des anderen, sondern einfach daran, daß seine Nächsten ihm nicht zu sagen wagen, wie er auf Dritte wirkt, worüber man sich bei ihm ärgert, wo er seine „blinden Flecken“ hat.
Im Gespräch höre ich freilich oft: Es liegt gar nicht allein an den Mitbrüdern, es liegt auch an den Gemeinden. Sie haben ihren Stil und Stolz, ihr altes Eigenprofil – und daß diese Gemeinde mit jener nun zusammenwirken soll, das ist einfach eine Überforderung! Ja, auch da stellt sich eine Aufgabe: schrittweise Mentalitäten zueinander hinzuführen, alte Gräben zuzuschütten, gemeinsame Schritte zu tun. Ich sehe in solcher Zusammenarbeit zwischen den Mitbrüdern und zwischen den Gemeinden einen der schwerwiegendsten, aber drängendsten Problempunkte für die nächste Zeit!
Dies alles gälte sicherlich auch dann, wenn es den Priestermangel nicht gäbe. Aber es gilt um so dringlicher, weil es ihn gibt. Ohne ihn könnte man das Wachstum neuer Strukturen der Zusammenarbeit gelassener vorantreiben; man könnte da oder dort auf schmerzliche Einschnitte ins Leben von Gemeinden verzichten. Nun muß aber alles zielstrebig und verhältnismäßig rasch geschehen. Sicher ohne vermeidbare Härten und Übereilungen. Aber wenn die Zahl der Priester in Planstellen der Gemeindepastoral während des nächsten Jahrzehnts sich um die Hälfte verringern wird, dann duldet die planerische Vorsorge keinen Aufschub. [15] Und wenn dabei an dem Grundsatz festgehalten wird, daß Laien im pastoralen Dienst keine Ersatzkapläne sind, dann ist das keine theologische Prinzipienreiterei; es ist vielmehr die Sorge um Sie persönlich und um die Laien im pastoralen Dienst persönlich. Sie, liebe Mitbrüder, wären die Enttäuschten, wenn sie sich keine rechte Antwort mehr auf die Frage geben könnten, wozu Sie Priester sind. Und die Laien wären es ebenso, wenn ihr Dienst nur unter der einen Bedingung Sinn hätte: daß ihnen die Priesterweihe „nachgereicht“ würde.
Der dargelegte Befund hat in der Realität seine Konsequenzen. Zwar wird auch in Zukunft jede Gemeinde eine eindeutige Zuordnung zu einem für sie primär verantwortlichen Priester behalten, und entsprechend muß jeder Priester im Seelsorgedienst auch wissen, für welche Pfarrei – oft genug wird es auch heißen müssen: für welche Pfarreien – er der primär Zuständige ist. Aber viele Priester im Gemeindedienst werden im Verbund mehrerer Pfarreien bzw. mit Schwerpunkt im Dekanat ihren Dienst zu tun haben; sie werden gemeinsam die Sorge für ein größeres Gebiet wahrnehmen. Sicher wird es da unterschiedliche Dienstformen geben, solche bei denen die Zuordnung zur Einzelgemeinde, solche bei denen die Zuordnung zu einem größeren Gebiet im Vordergrund steht. Und dies wird auch durch den Ort und die Weise des Wohnens zum Ausdruck kommen. Es ist beileibe nicht daran gedacht, vom grünen Tisch aus ein Planspielchen mit dem Leben und Schicksal der Priester zu veranstalten. Daß es Schritte und Entschlüsse zu einer größeren Flexibilität und Mobilität auch seitens der Priester geben, daß die Verfügbarkeit innerhalb des Presbyteriums größer geschrieben werden muß, darauf werden wir uns gleichwohl alle einzustellen haben.
Noch einmal: ich bin fest davon überzeugt, daß diese Notwendigkeit kein Unglück ist, sondern für unseren priesterlichen Dienst sogar eine Chance. Denn – bei aller Verschiedenheit der Typen und Charaktere – von seinem innersten Wesen her ist der Priester nicht bloßer „Einzelkämpfer“. Er ist hineingenommen in eine brüderliche Gemeinschaft, die dem Bischof hilft, den Dienst des Evangeliums im Bistum wahrzunehmen. Das Dasein für alle, die Verfügbarkeit, die leeren Hände, die sich nirgendwo festmachen, das ist doch auch die „funktionale“ Seite jenes Lebens nach den evangelischen Maßstäben von Armut, Jungfräulichkeit, Gehorsam, die unsere geistliche Lebensorientierung kennzeichnen. Wir werden in unserer Situation ernster beim Wort genommen – und das könnte doch eine Chance der Glaubwürdigkeit sein. Und vor allen Dingen werden wir bei dem einen Wort genommen, das wir so oft verkünden: beim Wort von der gegenseitigen Liebe als dem entscheidenden Gebot und Vermächtnis des Herrn (vgl. Joh 15,12), von der Einheit als dem entscheidenden Zeugnis der Jünger für die Welt (vgl. Joh 17,21). [16] Nicht nur in den Gemeinden, nicht nur zwischen den unterschiedlichen Diensten, sondern zwischen den Gemeinden und vor allem zwischen uns Priestern muß diese Liebe, dieses Dasein füreinander, dieses Einreißen der Zäune und Überspringen der Gräben geschehen. Wir haben den Anfang zu machen.