Gerufen und verschenkt. Theologischer Versuch einer geistlichen Ortsbestimmung des Priesters

Der Knecht

Paulus macht in der Grundschrift des Neuen Testamentes über den apostolischen Dienst, im 2. Korintherbrief, die Aussage: „Wir verkündigen nämlich nicht uns selbst, sondern Jesus Christus als den Herrn, uns aber als eure Knechte um Jesu willen“ (2 Kor 4,5), und er führt dies noch deutlicher aus im 1. Korintherbrief: „Da ich also von niemand abhängig war, habe ich mich für alle zum Sklaven gemacht, um möglichst viele zu gewinnen“ (1 Kor 9,19). Worin besteht dieses Sklavesein? Paulus ist sozusagen hineingegangen in die unterschiedliche Situation derer, für die er da ist: „Den Juden bin ich ein Jude geworden, um Juden zu gewinnen; denen, die unter dem Gesetz stehen, bin ich, obgleich ich nicht unter dem Gesetz stehe, einer unter dem Gesetz geworden, um die zu gewinnen, die unter dem Gesetz stehen. Den Gesetzlosen war ich sozusagen ein Gesetzloser – nicht als Gesetzloser vor Gott, sondern gebunden an das Gesetz Christi –, um die Gesetzlosen zu gewinnen. Den Schwachen wurde ich ein Schwacher, um die Schwachen zu gewinnen. Allen bin ich alles geworden, um auf jeden Fall einige zu retten“ (1 Kor 9,20–22). Es handelt sich bei solchem Vorgehen nicht um eine äußere Technik der Anpassung, sondern um ein inneres Sich-Einsmachen. Dabei ist freilich die Bindung an das Gesetz Christi, an seine Liebe, die Verantwortung eines jeden Schrittes von ihm her entscheidend. Aber gerade diese Verantwortung treibt über den eigenen „Standpunkt“ hinaus, erfordert ein Dasein vom anderen her. So ist der Weg der Selbstentäußerung des Sohnes Gottes. Er läßt sich ein auf [148] unsere Daseinsbedingungen, lebt aus unserer „Perspektive“ her. Mir kommt immer wieder das Wort des Bernhard von Clairvaux hierfür in den Sinn: „Was er (sc. Christus) von Ewigkeit her wußte durch sein Gottsein, das wollte er auf andere Weise durch ein zeithaftes Experiment erlernen im Fleisch.“ (Vgl. Bernhard von Clairvaux, De gradibus humilitatis et superbiae, III, 6–10; vgl. M. Blondel, L’action 1893,619.) Übersetzt auf unseren Dienst: Es geht darum, die ganze Wahrheit zu „sein“, aber sie zu sein vom anderen her. Wie der Sklave gewissermaßen aus sich herausgenommen ist, um das zu sein, als was der andere ihn braucht, so macht es in höchster Freiheit die Liebe. Sie wird dadurch radikal arm und doch zugleich unendlich reich. Denn in dieser Umkehrung in die Perspektive des anderen gewinnt sie ihr Innerstes, das, wovon sie lebt, den Herrn selber, der die Liebe ist, in einer neuen Spielart, Sprache, Möglichkeit. Das Knechtsein, Sklavesein ist nicht Selbstzweck, sondern Ausdruck der Liebe, die sich entäußert, wie eben der Sklave entäußert, dem anderen übereignet ist. Im Sklaven scheint die Würde und Kunst der Liebe, des Göttlichsten, Herrscherlichsten also, auf: Sich-Einsmachen. Wir können eine Art Klimax dieses Sich-Einsmachens aufstellen, die folgende einzelne Stufen umfaßt: „Zugehen auf...“ Der erste Schritt ist bei mir. Das ist Sklavenart und zugleich die höchste Souveränität des Gottes, welcher der Anfangende ist. Im Zugehen aber erfolgt der zweite Schritt, der dieses Zugehen nicht zupackend und vergewaltigend geschehen läßt, sondern ihm die Zartheit des Wartens und Verstehens einstiftet: sehen vom anderen her, sein vom anderen her. Gerade diesen Schritt hat Paulus in dem zitierten Text beschrieben. Wenn so dieselbe Ebene erreicht ist, kann erst das intendierte Sein für den anderen erfolgen. Wenn ich nur von oben herab für ihn da bin, bedrücke ich ihn, überschütte ich ihn, bringe mich und [149] nicht, was er braucht. In diesem „Dasein für...“ geschieht keineswegs die bloße Anpassung oder gar der Service nach Belieben. „Sein für..das heißt durchaus auch: das Unbequeme, den Dissens, das Fordernde mitbringen – aber eben in dieser den anderen als ihn selbst ernst nehmenden und annehmenden Gebärde, die auch noch die Zumutung zum „Dasein für...“ werden läßt. Geschieht Annahme, so erfolgt ein weiterer Schritt, jener, der den Dienst in die Communio verwandelt: „Dasein mit...“ Der Dienst nimmt sich zurück, macht sich überflüssig, so daß der andere selber sein und selber gehen kann. Paulus nennt es: nicht Herr sein über den Glauben der anderen, sondern Helfer, wörtlich Mitarbeiter, zu der Freude des anderen (vgl. 2 Kor 1,24). In solchem Miteinander, das den anderen an sich selber freigibt, nicht mehr an seiner Stelle tut, sondern ihn in seine Stelle einsetzt und ihm dabei in Gemeinschaft, Communio, Freundschaft, Brüderlichkeit verbunden bleibt, erfolgt als letzter Schritt die Gegenseitigkeit: Ich bin neu vom anderen her, empfange nunmehr mich selbst von ihm, von seinem Zeugnis und Dienst, werde ihm Schuldner. Wiederum ist es Paulus, der diesen Schritt beschreibt. Am Anfang des Römerbriefs drückt er seine Freude aus, den anderen geistige Gaben zu vermitteln, damit sie dadurch gestärkt werden (vgl. Röm 1,11; aber er korrigiert sich sofort: .. oder besser: damit wir, wenn ich bei euch bin, miteinander Zuspruch empfangen durch euren und meinen Glauben“ (Röm 1,12). Nochmals: Es geht weder um psychologische Verbrämung des harten Kerns der Botschaft – dies ginge nicht, denn ohne Entscheidung kommt Glaube nicht zustande, die Herausforderung kann nicht erspart werden, Gottes Liebe „schluckt“ man nicht – noch geht es auch um einen Verzicht auf den Anspruch der Botschaft. Doch nur in der Demut sich entäußernder Liebe wird sie nicht als unsere Selbstherrlichkeit, sondern als die Herausforderung Gottes den anderen er-[150]reichen. Die Leidenschaft Gottes ist der andere, und so kann es für meinen Dienst keinen anderen Weg geben als den dieser Leidenschaft, die zu ihm geht, die von ihm her denkt, die für ihn da ist, die mit ihm da ist, die sich von ihm beschenken läßt.