Bildung und Bistum

Der Mensch als Bild Gottes und der Welt*

Die Frage nach dem Bild des Menschen soll im folgenden nun nicht aus dem Codex Iuris Canonici erhellt werden. Vertrauen wir uns jener Quelle an, ohne die das Rechtsbuch der Kirche toter Buchstabe wäre: Welche Aussagen über [22] den Menschen als Bild Gottes finden sich in der Heiligen Schrift, näherhin in den Schöpfungserzählungen? In solcher Perspektive zeigt sich, inwiefern Bildung zu Gott selbst gehört und Gott selbst im Menschen in dieser Welt ins Bild kommt und gebildet wird.

Blicken wir zunächst auf den Menschen. Der Mensch ist Bild Gottes. Es darf nicht verwundern, im Glauben Israels, der in der steten Verweigerung eines idolatrischen Gottesbildes seine aktuelle Botschaft behält, mit einer so weitreichenden Aussage über Gott und den Menschen konfrontiert zu werden. Der Ewige und aller Geschichte Transzendente, der bilderlos verehrt wird, kommt plötzlich ins Bild: in seiner Schöpfung – im Menschen. Gott wird inmitten seiner Schöpfung durch den Menschen angerufen. Worte, die menschliche Lippen formen, lassen den schlechthin allem Denken und Vorstellen Entzogenen nambar werden. In dieser Welt ist Gott gegenwärtig in dem, der Ihn beim Namen rufen, mit Ihm sprechen kann. Das Ganze ist in der Schöpfung da, weil es ein Wesen gibt, das den Namen Gottes nennt. Das Ganze ist im Bild.

Dieses dramatische Geschehen vollzieht sich nun nicht als ein bloß äußerlicher Abbildungsvorgang. Der Mensch, der den Namen Gottes nennen kann, verhält sich als er selbst zum Ganzen – aus seinem Verhältnis zu Gott. Ob er diese Beziehung in ihrer Ausdrücklichkeit vor sich hält oder nicht – der Mensch gestaltet Welt aus dieser Beziehung. Im Kern der Aussagen der Schöpfungserzählung stoßen wir auf das Verständnis des Menschen als desjenigen, der die herrscherliche Würde Gottes in dieser Welt gegenwärtig setzt: Der Mensch ist Statthalter Gottes. Das Wort „Macht euch die Erde Untertan!“ (Gen 1,28) legitimiert deshalb gerade nicht herrischen Zugriff, sondern fordert die Gegenwärtigkeit Gottes, der überhaupt erst dasein läßt und Leben schafft. So kommen die Sicht auf den Menschen als Herrscher und Statthalter Gottes im ersten Kapitel der Genesis und die andere auf den Menschen als den Gärtner der Welt im zweiten Kapitel überein (vgl. Gen 2,15). Die Welt existiert als Zusammenhang, der ins Licht und Bild kommt in jenem Wesen, in dem Gott selber ins Bild kommt: Im Menschen kommen Gott und die Schöpfung ins Bild. Der Mensch ist gebildet, weil er das Ganze repräsentiert – Gott und die Welt.

Der Mensch ist jener Teil, in dem das Ganze gegenwärtig ist. Dies geschieht nicht auf die Weise abstrakter Ideenbildung, sondern der Mensch handelt, hat [23] Verantwortung, ist lebendige Gestalt, Plastik. Diesem seinem Wesen entspricht der Mensch, indem er, die Welt nicht substituierend oder auf sich allein reduzierend, dazu vorstößt, Teil des Ganzen zu sein, sich einzufügen in die Bezogenheit auf das Ganze. Nur in der Bezogenheit auf das Ganze kann er wahrhaft auch das Ganze gestalten.

Der Mensch steht als Bild Gottes in einer dreifachen Beziehung, die wohl keiner so tiefgründig bedacht hat wie der jüdische Religionsphilosoph Franz Rosenzweig (vgl. den Duktus seines Hauptwerkes „Der Stern der Erlösung“): Der Mensch ist die Beziehung zu Gott, zur Welt, zum Menschen; der Mensch ist das Wesen, in dem Gott, Welt und Mensch in eine lebendige Perichorese vorgehen: Im Menschen hat Gott mit der Menschheit und der Welt zu tun; im Menschen hat die Welt mit Gott und mit der Menschheit zu tun; in jedem Menschen hat die Menschheit mit Welt und Gott zu tun. Die drei Partner dieses universalen Spieles verlieren sich nicht ineinander, sondern setzen sich jeweils in Beziehung zum Menschen.