Unterscheidungen

Der Mensch als Wesen der Unterscheidung*

Die drei genannten Strukturen sind indessen, wie von der Intensitätsstruktur her deutlich wird, in einer differenzierten Klimax miteinander verbunden. Die Sorgestruktur ist die „elementarste“ Struktur menschlichen Transzendierens, der Rhythmus des Daseins ist als solcher bereits Rhythmus der Sorge. Sosehr der sich sorgende Mensch selbst, in seiner Freiheit, der „Täter“ seiner Sorge ist, so wenig kann seine Freiheit doch dem Grundmuster des Sich-Sorgens entrinnen. Auch die Kommunikationsstruktur gehört zwar unabdingbar zum menschlichen Dasein. Der Mensch ist sich voraus je schon eingelassen in die transzendierenden Bezüge der Kommunikation. Daß Kommunikation aber wahrhaft Kommunikation sei, hängt von ihm selbst ab. Anrede und Annahme sind nicht erzwingbar, Offenbarung und Glaube (vortheologisch verstanden) sind das je Überraschende, das nie einforderbare Geschenk. Wenn bei der Sorge die Aktivität ganz auf seiten des Sorgenden liegt, begegnen sich in der Kommunikation gleichgewichtig, auseinander unerrechenbar, die Initiativen mehrerer Partner. Die Freiheit ist dort, wo sie höher ins Spiel kommt, mehr auf andere Freiheit angewiesen, sie ist weniger allein in ihrem Vollzug. Seine Spitze erreicht dies indessen bei der Struktur der Intensität. „Maßgebend“ ist hier nicht mehr der Mensch, sondern das, was ihn angeht. Es kann gar dazu kommen, daß jener, der sich dem Angang des Unbedingten öffnet, sagt: Ich kann nicht anders, ich muß! Und doch steht er in der höchsten Freiheit, ist das, was ihm widerfährt, und ist auch das, was er tut, unter Menschen das Unselbstverständlichste. Die Freiheit steigert sich – und immer weniger spielt der Mensch, dessen Freiheit sich steigert, den „führenden“ Part.

Das „allgemeinste“ Phänomen unter Menschen ist die Sorge, seltener gelingt schon die Kommunikation, das Ungewöhnliche ist die Intensität des Aufgangs des Unbedingten. Und doch gehören [29] alle drei Strukturen wesenhaft zum Menschsein hinzu, und die unselbstverständlichste zuhöchst. Denn gerade dies, daß es menschlicher Freiheit um eines in allem gehen kann, daß von einem her sich alles sehen läßt, alles seinen Stellenwert erhält, ist unterscheidend menschlich. Oder umgekehrt, im Rückgriff auf die fundamentale Erörterung dessen, was Unterscheidung heißt, gesagt: Der Mensch ist das Wesen der Unterscheidung; er ist jener, der sich zu seiner eigenen Daseinsgestalt zu entscheiden vermag und in ihr sich zu allem verhält, in ihr alles, was ist, mitgestaltet. Allverhältnis und Selbstverhältnis, Öffnung und Entscheidung sind Grundzüge menschlichen Daseins.