Philosophisch-Theologische Reflexionen zum Thema: „Unsere Verantwortung für die Welt von morgen“

Der Mensch in der Dramatik der Zeit

Wie steht nun in dieser Dynamik der Weltzeit der Mensch? Der Mensch ist einmal Wesen der Sorge, das vorwegnehmen kann, was später ist, das jenes, was später ist, bedenken kann, Wesen, das dem, was später ist, jetzt Rechnung tragen kann und muß. Der Mensch ist das einzige Wesen, das nicht nur Instinkt hat, sondern in der Offenheit eines freien und nach allen Richtungen hin unbegrenzten Fragen-Könnens und Formen- und Suchen-Könnens Konsequenzen bedenken und aus Konsequenzen Prämissen gewinnen und vorgreifende Handlungsanweisungen entwickeln kann. Aber: Derselbe Mensch ist nicht nur Wesen der Sorge, sondern ist auch Wesen des „Je“. Er ist nur „je“. Keiner kann seiner Lebenszeit eine einzige Elle, einen einzigen Tag zumessen, allen Verlängerungen und Möglichkeiten ist die absolute Sicherheit nie gegeben, und das eigentlich Rätselhafte an allem Rätselhaften ist, daß bei allen Berechnungen die Sonne tatsächlich jeden Morgen neu aufgeht. Wir können nicht machen, daß es wirklich stattfindet, daß Zeit kommt, daß Zeit weitergeht. Das können wir nicht machen. Und mich selber als einen, der morgen so sein wird, vorwegnehmen, das kann ich auch nicht. Wir können viele Prämissen gestalten und fixieren, aber wenn ich morgen bin, so bin ich es nur, weil es mir gegeben ist. Und im Grunde hat alle menschliche Angst, die wir nicht ausrotten können und die wir, wenn wir sie ausrotten wollten, nur vermehren, doch dieses eine als Hintergrund: Ich rechne es aus, ich sorge dafür, aber wird es auch stattfinden?

Seien wir doch auch mit unserer Wissenschaft so menschlich und geben wir zu, daß wir Pläne machen, Rechnungen, aber den Wirt der [31] Zeit, den können wir nie in die Pläne einkalkulieren. Ist das schlimm? Je nachdem. Vielleicht ist es auch gut. Vielleicht ist es das Wunder von Geschichte, daß immer Neues aufgehen und passieren kann, das wir nicht berechnen können.

Übrigens hat das Christentum hier eine seiner Grundwurzeln: Wenn Jesus in seiner Verkündigung sagt: „Die Zeit ist erfüllt, nahegekommen ist die Herrschaft Gottes, kehrt um und glaubt an die frohe Botschaft!“ – Zusammenfassung des Evangeliums in Mk 1,15 –, dann heißt das: Die Zeit ist nicht mehr nur die des ohnmächtigen Vollstreckens ihrer eigenen Ansätze, sondern der Herr der Zeit ist Er. Er gibt sich und schenkt sich. Sicher, nicht als Garantie für eine ewige Dauer dieser Geschichte. Er gibt sich als eine unbegrenzte Möglichkeit, in welcher Menschen leben und sein dürfen und deswegen aus der bloßen Sorge freigesetzt sind in die große Freiheit.

Wenigstens dieses eine können wir menschlich und nicht nur christlich daraus herausziehen: Sorge ja, aber: Sorge allein ist Ohnmacht. „Je“ ja, aber das bloße „Je“ ist Ohnmacht. „Je“ immer nur im Augenblick sein, ist aber auch Hintergrund einer unausrottbaren Hoffnung, daß etwas geschehen kann, was, so oder so, unabsehbar Zukunft gewährt.