Politik und Ethik

Der perichoretische Charakter von Freiheit

Den angedeuteten Sachverhalt von Freiheit können wir auch von einem anderen Ansatz her erläutern, der ins selbe trifft und den Gedanken weitertreibt: Freiheit als Selbsttranszendenz. Indem ich etwas wirke, veranlasse, mitteile, setze, ist [69] etwas von mir und aus mir jenseits meiner selbst, und je mehr dieses Mitteilen oder Setzen als solches, also frei geschieht, desto mehr bin ich in dem, was ich mitteile oder setze. Ich bin außerhalb meiner selbst als ich selbst anwesend. Freisein heißt außerhalb meiner selbst: ich selbst sein können. Und außerhalb meiner selbst ich selber zu sein, gelingt um so vollkommener, je mehr dieses Außerhalb, je mehr das meiner Freiheit sich verdankende andere eben es selber ist, im höchsten Fall: frei ist, frei eins mit mir.

Freiheit steigert sich also, wenn das andere nicht als das mich Bestreitende und ich nicht als das es Bestreitende erscheinen, sondern wenn beide zueinander als die einander Bestätigenden im je anderen sind.

Zurückgelesen zunächst auf den Ausgang vom freien Ich, vom freien Selbstsein: Freiheit bedeutet sein können als ich selbst außerhalb meiner, so daß dieses Außerhalb, dieses andere in mir ist. Selbsttranszendenz gelingt nur in dem Maße, in welchem Selbstimmanenz universal, will sagen das Ganze, das Sein umfassend geschieht. Nur wenn ich in mir selbst zum andern meiner selbst, zu allem, was ist, gelange, kann ich mich überschreiten, beim anderen sein, anderes sein lassend, gewährend, an sich und seine Freiheit freigebend.

Derselbe Gedanke schließt freilich seine Umkehrung mit ein: Nur in dem Ausmaß, in welchem ich beim andern meiner selbst bin, es sein lasse, frei sein lasse, bin ich wahrhaft bei mir, ist das Prinzip meines Wirkens in mir, bin ich also frei. Auf solche Weise in Selbstimmanenz mich überschreitend zum andern meiner selbst, stifte ich, vom Ansatz her, dem Sein des andern auch die Beziehung zu mir ein. Mein Werk „spricht“ von mir, sein Eigenstand ist Zeugnis der es setzenden Freiheit. Und mehr noch, ins volle Maß gebracht: angesprochene, an sich freigegebene, zu sich selbst erweckte Freiheit ist partnerische Freiheit. Sie ist Freiheit, die in Freiheit, von sich her, Beziehung zu mir aufnimmt, sich zu mir hin übersteigt, zu deren Selbstimmanenz und Selbsttranszendenz also ich gehöre. Selbsttranszendenz stiftet Beziehung, Freiheit stiftet Freiheit und also Dialog.

Dann aber ist Freiheit als Transzendenz der Freiheiten zueinander deren Transzendenz ins Eine; und dieses Eine ist ein seine Pole umfassendes Zwischen, der Raum eines ungetrennten und unvermischten Miteinanderseins.

Freiheit und Einheit sind also nicht Gegensätze, vielmehr ist Freiheit das Qualifizierende von Einheit und Einheit das Qualifizierende von Freiheit. Die – zur Freiheit gehörende, sie gewährleistende – Einheit zwischen dem handelnden Prinzip und dem, was von ihm ausgeht, zeigt sich zuhöchst als Einheit in Gegenseitigkeit: Sie entspringt nicht nur vom handelnden Ich, sondern auch von seinem anderen, von seinem Du her – und so entspringt sie gerade aus sich selbst, als die von sich selber her einsichtige und sich gewährende Plausibilität, Übereinkunft, Zusammengehörigkeit.

Es ist wiederum angezeigt, auf ein theologisches Modell (das, von seiner eigenen Logik her, freilich mehr ist als ein Modell) hinzuweisen und von dort aus das Unterscheidende endlicher, geschaffener Freiheit anzusprechen.

Das „Modell“: das christliche Verständnis Gottes als des Dreifaltigen, des in drei Personen Einen. Vollkommene, absolute, schlechthin ursprüngliche Einheit [70] wird im christlichen Glauben gesehen und in der theologischen Reflexion bedacht als in sich selber vollendete, paradox ausgedrückt: absolute Beziehung. Das reine Selbstverständnis, in dem die Freiheit zur schöpferischen Selbstübersteigung gründet, erscheint hier als Beziehung, bei welcher, gemäß der klassischen Formel, die göttliche Personalität als relatio subsistens zu verstehen ist.

Was wir im Blick auf die Verschränkung von Selbsttranszendenz und Selbstimmanenz ausführten, ist im Kontext theologischer Trinitätslehre eingeholt und überboten durch den Begriff der Perichorese. Die Person, die in sich selber die Beziehung zu sich selbst, also zu ihrem Wesen, in der Beziehung zur anderen Person lebt, hat sowohl die andere Person wie auch dieses Wesen im Selbstvollzug in sich; zur Selbstgegebenheit gehört die Gegebenheit des Wesens, was freilich das entsprechende Innesein in der anderen Person mit einschließt. Das Ursprungsbild des Begriffs Perichorese ist die tanzende Bewegung, in der ich den anderen „umgebe“ und er mich „umgibt“. So ist sie die eine und selbe Gegebenheit des andern, meiner selbst und des in beiden als eines gegründeten und zugleich beide als eines gründenden „Tanzes“.