Gerufen und verschenkt. Theologischer Versuch einer geistlichen Ortsbestimmung des Priesters
Der Priester als Diener der Einheit
Wo soll der Priester sein? Es ist seine Not, daß er überall sein soll, daß er „absolut dazwischenhängt“. Er soll den Glauben den anderen verkünden, bei denen sein, die draußen sind. Er soll vor Gott stehen und ein Mann des Geistes, ein Mann des Gebetes sein. Er soll sich um die Kirche kümmern, um ihren Zusammenhalt, der Einheit in der Vielheit ihrer Dienste, der Entfaltung dieser Einheit in die Vielheit der Dienste dienen, allen zugleich nahe sein. Er ist in dieses Zwischen hineingekreuzigt, und dies kann ihm nicht abgenommen werden. Wo wird dieses Zwischen lebbar, wo hat seine vielfältige Richtung ihren einen Schwerpunkt? Ich wage zu sagen: Der Priester ist vor allem Diener der Communio, Diener der Einheit. Ohne die voraufgegangene Besinnung über das 17. Johanneskapitel könnte dies arg mißverstanden werden. Es könnte gedeutet werden als Rückzug in die Binnenkirchlichkeit, als Draußenlassen der Welt. Es könnte auch gedeutet werden als eine andere Art von Rückzug; als Rückzug von der ausgesetzten Spitze des Berges, wo es gilt, sich in das Geheimnis hineinzuhalten und fürbittend, stellvertretend für alle vor Gottes Antlitz dazusein; als Rückzug also in den behäbigen Dunst des Kommunikativen im überschaubaren Kreis. Eine solche Weise von Communio widerspräche indessen ihrer Verankerung im dreifältigen Geheimnis Gottes und ihrer Orientierung auf das Glaubenkönnen der Welt hin. Mir scheint, es gibt zwei Testfragen, die genauso geeignet sind, Communio als Lebensform der Gemeinde allererst sich bilden und wachsen zu lassen, wie sie für die beiden anderen Dimensionen, das Außen und das Oben, offenzuhalten. Sie lauten: Ist er damitten unter uns? Sindjene da, die nicht da sind? Er kann nur dasein (so schließt sich die Redeweise an Mt 18,20 an) bzw. die Fülle seiner Liebe und er selber sind [130] nur in uns (so schließt sich die Redeweise an Joh 17,26 an), wenn es zwischen uns so geht, wie es zwischen dem Sohn und dem Vater geht. Wir können nur als die von innen her Versöhnten wahrhaft beten, wir können nur als einer den anderen in sich tragend Raum sein, den er erfüllt, der offen ist für ihn. Die Leidenschaft dafür, dort, wohin er gestellt ist, beständig die Gegenwart des Herrn zu ermöglichen, ihr den Weg zu bereiten, für sie die Herzen zu gewinnen, das ist eine Grundaufgabe des Priesters als Diener der Communio. Gottesdienst, Gebet sollen nicht nur objektiv ablaufen, sondern Schritt um Schritt, mehr und mehr, Ausdruck dessen sein, daß der Herr selber in unserer Mitte zum Vater betet. Und zugleich wird missionarisches Zeugnis, wird Sorge um jene, die draußen sind, nur in dem Ausmaß gelingen, wie wir selber anziehende glaubwürdige Gemeinde sind. Allenthalben wird auch von jenen, die nicht viel von Christentum halten und wissen, das Maß der gegenseitigen Liebe spontan als das Testmaß überzeugten und überzeugenden Christentums an unser Verhalten angelegt. Was wir sagen und tun, erscheint als hohl und phrasenhaft, wenn es nicht gedeckt wird durch die gegenseitige Liebe. Eine Gemeinde, in welcher innere Einheit herrscht, strahlt aus. Die innere Stärke des Lichtes bestimmt die Kraft und Reichweite seiner Strahlung. Sicher, darin erschöpft sich die formulierte Frage nicht: Sind jene da, die nicht da sind? Der Ansatz bei der Communio nach dem Maß der Einheit zwischen Vater und Sohn trägt noch mannigfache andere Frucht für das missionarische Zeugnis einer Gemeinde. Sich einsmachen mit dem anderen ist die missionarische „Methode“ – sie kann nur erlernt werden in der gegenseitigen Einheit derer, die den Herrn bezeugen und weitergeben wollen. Nur wenn wir gegenseitig einer den anderen im Herzen tragen, kann jenes paulinische Maß gelingen: allen alles werden (vgl. 1 Kor 9,23b). Trage ich jene in mir, tragen wir jene in uns, für die Jesus Christus [131] gestorben ist? Beunruhigt es mich, ob sie verstehen können, sich eingeladen fühlen, angezogen sind, Nähe erfahren oder nicht? Zugehen aufeinander, sich einsmachen miteinander, dies gelingt nur, wenn wir in der beständigen Einübung, im beständigen Leben solchen Einsseins innestehen. Und dies ist der Rhythmus des neuen Lebens, jenes Lebens, das eben darin besteht, daß wir den Vater erkennen und den Sohn, den er gesandt hat, ihr Zusammengehören, ihr Einssein miteinander, ihre gegenseitige Liebe. Der Priester ist in solcher Sicht also einer, der das beständige „ceterum censeo“ des Herrn, der unter uns gegenwärtig sein will, und der anderen, die eingeladen sein sollen, einzubringen hat. Er ist der Anwalt des Herrn und der Anwalt der anderen, derer die draußen sind, indem er Anwalt der gegenseitigen Einheit ist. Das lebendige Sicheinüben in solche Einheit, das Sehen und Denken von ihr her, ermöglicht es ihm, nicht nur das Kreuz, sondern auch etwas von österlicher Zuversicht, von Freude des Geistes, vom Frieden, also vom Gleichgewicht des Auferstandenen in sich zu tragen und auszustrahlen. Wenn er sich dem höheren Anspruch solchen Dienstes an der Einheit und solchen Lebens in der Einheit und für sie stellt, so gelangt er an einen Punkt, von dem aus er leichter das Ganze bewegt, als wenn er die vielen Bewegungen, die er vorzunehmen hat, je einzeln in Gang zu bringen und zu besorgen sich bemüht. Von der bewegenden Mitte aus erreicht man am ehesten und am leichtesten das Ganze. Zwei Gegenfragen drängen sich auf. Die erste: Ist es nicht Sache aller – der Kirche und der Gemeinde insgesamt und eines jeden einzelnen –, dem jeweiligen Punkt Communio zu fördern, der Einheit zu dienen? Ganz gewiß. Doch gerade damit das geschehen kann, muß es Menschen geben, die genau dies immer neu einbringen, die darin den Sinn ihrer Existenz und ihres Dienstes haben: daß Kirche Communio [132] sei in der Offenheit für den Herrn und für alle. Wieder einmal liegen das Besondere priesterlichen Dienstes und das allgemein Christliche dicht beieinander. Die andere Rückfrage: Hat der Priester nicht doch zuerst einmal die objektiven Voraussetzungen, die dem Vollzug des einzelnen vorausgehen, für die Communio bereitzustellen: Verkündigung des Wortes, Feier der Sakramente, Einfügung ins Gesamt der Kirche und auch Hirtendienst an Not und Heilsbedürfnis des einzelnen? Dieser Einwurf ist bedeutsam, um ein Mißverständnis auszuschließen. Priesterlicher Dienst ist nicht ein menschliches und auch nicht ein spirituelles „Machenkönnen“ der Einheit. Sie ist von Jesus Christus her vorgegeben, sie ist der Kirche eingestiftet. Und auch dann, wenn die Kirche in ihrem Lebensvollzug das Maß dieser Einheit erbärmlich unterbietet, bleibt sie das Sakrament der Einheit ein für allemal. Der Herr kommt nicht „automatisch“ in unsere Mitte, wenn wir uns nur äußerlich versammeln und es nicht wahrhaft im Maß und in der Kraft seines Namens tun. Aber er bleibt bis zum Ende der Tage bei seiner Kirche (vgl. Mt 28,20), auch wenn ihm diese immer wieder davonläuft. Sein Wort, seine Sakramente sind ihr für immer gegeben; sie ist in seiner Wahrheit gehalten und von ihm als Heilszeichen für die Völker aufgerichtet. Der Priester ist für die Communio der Kirche in Beschlag genommen, ist wirksames Zeichen seiner Gegenwart in der Kirche, auch dann, wenn er in seinem persönlichen Tun verdunkelt, was der Herr selber in ihm und durch ihn tut. Wird aber die Welt zum Glauben kommen, werden die Glieder der Kirche die Kraft des Zeugnisses haben, wenn nicht in den Gaben und Aufgaben des Herrn er selber sichtbar wird, wenn wir seinem Greifen nach unseren Herzen es nicht erlauben, daß er sie nach dem Maß seines Herzens zusammenführt, so daß wir ein Herz und eine Seele (vgl. Apg 4,32) werden? Ist dies in der Tat nur ein wünschens-[133]werter „Anhang“ oder vielmehr Bedingung der Fruchtbarkeit der Gaben Gottes und zugleich Frucht, die aus ihrem Samen wächst? „Ahme nach, was du vollziehst!“, so sagt der Bischof bei der Weihe dem Priester. Und nochmals: Erdrückt den Priester nicht gerade die Fülle des Objektiven, wenn er sich nicht verankert in dem einen Herz- und Mittelpunkt des Ganzen? Dieses Objektive, all unser Tun, Gott sei Dank, Überragende, ihm Zuvorkommende und es Vollendende hat in sich selbst seinen Grund, seinen Sinn und seinen Gravitationspunkt in der Communio.