Gerufen und verschenkt. Theologischer Versuch einer geistlichen Ortsbestimmung des Priesters
Der Priester – Zeuge für die Liebe
„Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe! Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben, so wie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe bleibe. Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird. Das ist mein Gebot: Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe. Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt. Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage. Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe. Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, daß ihr euch aufmacht und Frucht bringt und daß eure Frucht bleibt. Dann wird euch der Vater alles geben, um was ihr ihn in meinem Namen bittet. Dies trage ich euch auf: Liebt einander!“ (Joh 15,9–17)
Dieser Text gilt gewiß für die Kirche im ganzen und im Ansatz für jeden Christen. Er wendet sich jedoch besonders an jene, die vom Herrn dazu bestellt sind, als seine unmittelbar Gesandten sein Erbe weiterzugeben, auf daß viele, alle aus ihm leben können. Es ist also legitim, ihn auf den Priester hin zu lesen. Wir können in ihm den Ansatz des Ganzen wiederfinden, der uns geleitet hat. Die Kreuzeshingabe Jesu steht im Mittelpunkt. Jene, die Jesus erwählt hat, finden sich von dieser Mitte her in drei Richtungen ihrer Existenz gewiesen. Einmal haben sie aus Jesu Hingabe die Freiheit und Vollmacht, sich an den Vater zu wenden, ihn zu bitten. Ihr Leben ist in Jesus und mit ihm ausgerichtet auf den Vater. Zum anderen sind sie gesandt, um sich aufzumachen, um hinzugehen und Frucht [189] zu bringen. Sie müssen also weiter, über sich hinaus, in die Welt; sie sind nicht für sich da, sondern für die anderen. Diese Hingabe Jesu für seine Freunde setzt ihnen das Maß. Ihr Leben und Wirken ist nach außen und unten gewiesen. Und schließlich (dritte Richtung) sind sie hineingenommen in das Band der Freundschaft mit Jesus, in die innige Lebensgemeinschaft mit ihm. Sie teilen seine Geheimnisse und gehören so mit ihm und miteinander zusammen. Wir haben indessen das eine, in diesem Abschnitt alles zusammenbindende und sich in allem entfaltende Grundwort noch nicht genannt, welches das Grundwort des Johannesevangeliums selber ist: Liebe. Der dreifache Weg ist nichts anderes als das Bleiben in der Liebe. Sie ist die große Gabe, die Jesus den Jüngern für sie selbst und für die Welt vermacht; sie ist zugleich ihr Auftrag, sie ist sein Gebot, das Gebot. Sie ist jenes Maximum, in welchem Gott selber offenbar ist. Eine größere Liebe hat niemand als der Sohn, der sein Leben hingibt für die Freunde. Die Leidenschaft für dieses „Mehr“, für diesen alles hinter sich lassenden Komparativ ist die Grundkraft der Existenz und des Wirkens der Jünger. Und diese Liebe ist das Geheimnis schlechthin, das in Gott verborgen ist. Jesus offenbart dieses Geheimnis den Jüngern, es gibt nichts, was er von seinem Vater weiß und ihnen nicht weitergegeben hätte. Er gibt ihnen aber nur dieses eine weiter: seine Liebe bis zum Äußersten. In ihr ist alles, in ihr der ganze Gott gegenwärtig. Es ist eindeutig: Der Gesandte – nochmals: wir dürfen es im besonderen an wenden auf den Priester – ist der Zeuge für die Liebe. Der Sprache nach ist dies johanneisch formuliert, der Sache nach ist es Gemeingut des Neuen Testamentes. Wer sein Leben hingibt als Lösegeld für die Vielen und sich zum Diener aller macht, zeigt an sich selber an, wie seine Jünger zu leben, ihren Dienst und ihre Gemeinschaft zu verstehen [190] haben (vgl. Mk 10,42–45; 9,33–37). Paulus tut den Dienst der Versöhnung aus der drängenden Kraft der Liebe Christi (vgl. 2 Kor 5,11–21). Der Priester als Zeuge der Liebe: Wer auf die Liebe in der neutestamentlichen Botschaft schaut, dem ist sie zwar auch Gebot, aber sie ist zuerst Geschenk; sie ist zuerst das, was durch Gott in die Welt kommt und worin Gott sich selbst und das offenlegt, was der Welt das Heil bringt und was, als Lebensform und Lebensinhalt angenommen, selber Heil ist. Nur die Liebe kann Gott verherrlichen, nur die Liebe treibt dazu, sie weiterzugeben an die Menschen, damit sie das Leben haben; nur die Liebe stiftet, erhält und erfüllt jene Gemeinschaft, in welcher wir mit Gott verbunden sind und Gottes Leben in unserem Leben vollbringen und spiegeln. Wir möchten nun in einem dreifachen Durchgang die Liebe zur Sprache bringen: die Liebe als das Leben, das Gott ist und das Gott gibt – die Liebe als die Lebensform des Priesters – die Liebe als die Lebensform der Kirche, welcher der Dienst und das Zeugnis des Priesters gelten.