Franz von Baaders Weg philosophischer Gotteserkenntnis

Der Schritt zur „Ursache“*

Das Cogito, von dem aus Baader die erste Stufe philosophischer Gotteserkenntnis betritt, ist bereits zurückgefallen auf sich selbst, auf das betroffene „Ich“ sich ergreifenden Vollzuges. Was warf das Denken in seinen entscheidenden Anfang, was das Ich in den Ernst seiner Betroffenheit zurück? Die Begegnung mit etwas, das ist. Sie ist die Stätte, an der Baader die zweite Stufe seines Weges erreicht.

Das Ich findet sich dem Begegnenden gegenüber, ist von ihm angezogen als von seiner „Lust“ und hineingestoßen in die Bezüglichkeit seiner „Begierde“ (vgl. XVI, 306f. unter „Lust-Begierde“). Das Auseinandertreten der Momente, das der „Blitz“ geglückten Vollzuges überwindet, läßt sich indessen nicht nur als Bestimmung des zum Vollzug gerufenen Subjektes, sondern auch am begegnenden und in der Begegnung sich zur Erkenntnis bringenden Objekt ablesen. Das Erkennen ist das Ereignis nicht nur des erkennenden Selbst, sondern auch der erkannten Sache. „Wenn die Mitte einer Sache diese selbst ist als deren Konkretheit, so denkt man sich dieselbe nicht als unmittelbar, sondern durch Aufhebung ihrer ersten Unmittelbarkeit, somit durch Vermittlung entstehend und fortbestehend, nämlich so, daß die unmittelbare Einheit sich in zwei Abstracta aufhebt, und diese Aufhebung aktuos sich reproduziert. Auf solche Weise koinzidiert das Sein mit dem Werden oder das Seiende wird als lebendig und aktuos gefaßt“ (I, 222). Die Mitte der Sache ist deren „konkreter Begriff“; von ihm gilt, daß er „in seinem Entstehen weder erblindet (sein Anschauungsmoment tilgend) noch kalt und gefühllos (sein Gefühlsmoment aufhebend) wird“ (II, 157).

In meiner unmittelbar einfachen Bemerkung: Da ist etwas!, die das Begegnende wahrnimmt, Begegnung also konstituiert, teilt sich das Begegnende dahinein, Erscheinung und Eindruck zu sein, von sich her Aufgehendes, das sich im mitteilenden Aufgang gerade bei sich hält, auf der einen und mich Betreffendes, Angehendes, das in seiner betreffenden Nähe mich gegenüber hält, auf der anderen Seite, etwas an sich und so gerade auch etwas für mich. „Es selbst“ aber ist erst da, wo Anschauung und Empfindung, distanziertes „An sich“ und ankommendes „Für mich“ sich in ihrer, somit aber in seiner Mitte, in ihm als Mitte treffen.

Der Blitz meines Erkennens läßt aufgehen, was die Sache „ist“, er bringt so nicht nur mich zur Deckung mit mir und ihr, sondern vollzieht darin die Deckung der Sache mit sich selbst, ihr Aufgang in sich und ihr Aufgang für mich ereignen sich als derselbe Blitz. Gerade deshalb ist „objektive“ Erkenntnis nicht ohne meinen Anteil und ist die Sache als sie selbst nicht anwesend ohne ihre betreffende Zueignung an mich selbst. Die „Affektion“ ist Bedingung „organischer“, „lebendiger“ Erkenntnis: „Was wir nicht verlangen, lieben, hassen, was uns nicht affiziert (rührt), das ist nichts für uns. Unser ganzes Dasein ist in der Affektion“ (XII, 341). Die uns selbst ins Spiel bringende Berührung bringt erst das ins Spiel, aus dem das Erscheinende vollbracht, wahrhaft objektiv, seiner bloßen „Figürlichkeit“ (vgl. z. B. II, 260, 421) enthoben wird.

[288] Die Ansprache des Begegnenden an mich, die „Affektion“ erweckt in meiner Befindlichkeit die bereits erörterte Dialektik des in der „Attraktion“ gedoppelten Strebens, die der Blitz versöhnt. Vonseiten dessen, was affiziert, was aus seinem Erscheinen her und durch dieses sich zur Berührung mit mir bringt, hat mein so erweckter „Erkenntnistrieb“[2] zwei mögliche Richtungen. Entweder ich finde mich aufgefordert, ins Berührende einzudringen und es meinem Zusehen zu unterwerfen (Impuls zur „Erkenntnis“ im engeren Sinn) – solches „Engagement“ meines Selbstseins liegt auch dem „neutralen“ theoretischen Akt zugrunde –, oder ich bin umgekehrt von dem Berührenden in Anspruch genommen, mich ihm zu öffnen und von ihm durchdringen zu lassen, mich selbst aus ihm zu verstehen (der Impuls zur „Anerkenntnis“) (vgl. I, 42).

Genau besehen eröffnet jedes Begegnende zwar beide Richtungen: überall wo ich gerufen bin, Endlichem die Entsprechung meines Gedankens zu bereiten, ist der unbedingte Ruf Anerkennung fordernd gegenwärtig; jedem Gedanken eines Denkenden anderseits eignet es, sich und so sein Gedachtes zu fassen und zu bestimmen, sich und ihm Gestalt zu geben – „durch den wahrhaften Gedanken überwältigt er (cogit – cogitatio) die Endlichkeit“ (VIII, 36). Dennoch scheidet die Weise der „Affektion“, welche den Vollzug zum Angeschauten, Erscheinenden hin entbindet, die Gegenstände der Erkenntnis, sofern „ich nicht auf die selbe Weise, sondern auf eine andere Weise das, was über mir ist und dem ich subjiziert bin, auf eine andere Weise das erkenne, was mir subjiziert ist“ (I, 257, vgl. II, 113).

Aus der Tatsache, daß ich im affizierten, betroffenen Erkennen „notwendig bei mir selber sein und mich selber wissen muß, da ich nichts zu erkennen vermag, ohne – unterscheidend – zugleich mich zu erkennen“, folgert Baader, daß „diese meine Kenntnis eines andern, von mir Unterschiedenen, jene der Relation zu diesem andern in sich schließen“ müsse (I, 256). Das Andere, mit dem ich zugleich mich weiß, hat bestimmend Anteil an meinem Mich-Wissen, es geht mich an, und dieses Angehen hat zwei Grundweisen: Entweder es ist mir, meiner Mächtigkeit, zugeordnet, es verfügend zu durchschauen, ist eine Sache, auf deren Wissen ich gerade deshalb allenfalls verzichten kann, weil sie mir ohnehin grundsätzlich erschlossen ist. Ich stehe dieser Sache gegenüber aufseiten der Wahrheit, die sie sein läßt, vollbringe die Wahrheit der Sache aus der „Indifferenz“ der Wahrheit selbst dem gegenüber, was kraft ihrer wahr ist: der „neutral“ gestimmte theoretische Grundakt, von Baader „Erkenntnis“ genannt. Der Ernst, der diesem Akt in Baders Verständnis gleichwohl eignet, kommt ihm „indirekt“ zu, nicht aus der Sache an sich, sondern aus der Wahrheit, die im Blick auf die Sache mich hoheitlich auf ihre, der Wahrheit, Seite zieht. Baader spricht von der „selblosen Natur“, die „ohne ihr Zutun dem Erkennen eines anderen sich exponiert und subjiziert“ findet (I, 220). Oder was auf mich zukommt, ist gerade nicht eine „endlich-überwältigbare“ Sache, sondern vollbringt das Zukommen der Wahrheit selbst zu mir, dessen, was mich allererst [289] sein läßt; es steht mir gegenüber aufseiten der mich gründend-einfordernden Wahrheit, muß sich mir von sich her erschließen, sich zu mir „herablassen“, um die Verfüglichkeit des Erkennbaren anzunehmen. Solches Zukommen ist Mitteilung eines Ursprungs, der „ohne seine selbstische Manifestation allem andern ein Geheimnis bleibt“ (ebd.). Die neutrale Sachlichkeit, die das personal Mitgeteilte als verfügbaren Gehalt aufarbeiten will, verfehlt gerade die Wahrheit, Voraussetzung und Weise der Erkenntnis ist hier vielmehr die „Anerkenntnis“.

Bin ich auch nicht im ontischen Verstande Ursache der Sachen und Verursachter der Mitteilung meines sich erschließenden Du, so doch in einem höheren, ontologischen Sinne, in der je verschieden gerichteten Weise meiner mich konstituierenden Teilhabe an der „Wahrheit“. Die Sache ruft danach, begriffen zu sein, sie ist da in meinem Griff: ich als „Ursache“; ich bin im Gespräch da von deinem mir geschenkten Wort her, im Vernehmen: du als „Ursache“. Baader radikalisiert den beschriebenen Verhalt auf den Satz hin: „Omnis intelligentia scit, quod est supra se, in quantum est causata ab eo, et quod est sub se, in quantum est causa eius“ (I, 256). Der äußerste und zugleich grundlegende „Fall“ von Mitteilung ereignet sich so in der scheinbaren „Einsamkeit“ mit mir selbst, darin „daß z. B. im Gewissen niemand sich des Wissens des Gewußt-, Erkannt- oder Durchschautwerdens seiner selbst von einem höheren Agens zu erwehren vermag“ (ebd.). Was von mir „Erkenntnis“ verlangt, verlangt, daß ich es aufhebe, es bewältigend in meine Ursprünglichkeit einbeziehe. Was meine „Anerkenntnis“ fordert, fordert umgekehrt von mir, meine Ursprünglichkeit aufzuheben, verdankend zurückzubeziehen in die seine. „Wie ich nämlich in meinem Aufgehobensein … das Aufhebende überhaupt als solches, d. h. als Objekt innewerde, und wie mir das Lassen meiner selbst (als Kausalität) die Objektivität dessen beweiset, an den ich diese lasse oder lassen kann, so beweiset mir die totale Aufhebbarkeit meiner selbst, daß dieses Objektive nicht selbst wieder ein Endliches (eine Kreatur), wie ich, ist, sondern der Unendliche selber … ‚Nur Gott‘, sagt Jakob Boehme, ‚vermag die Speise (den Willen und das Vermögen einer freien Kreatur) zu essen‘“ (II, 458f., vgl. XIII, 326ff.).

Mich selber wissend bin ich restlos nur eins mit mir, wo ich es in der Restlosigkeit der Anerkennung bin, die nichts mehr vorenthält, die mich allererst mit allem, was in mir ist, zur „Gegebenheit“ bringt, indem sie mich selber hingibt. Zu mir selbst entbunden bin ich erst, wo mein ganzes Sein und mein ganzes Denken antwortend, entsprechend, verdankend sich über sich hinaus bezieht, sich nicht von sich her und auf sich hin versteht, sondern als sein gelassen, angefordert und getragen von der Hoheit und zugleich Herablassung des sich mitteilenden unbedingten Grundes. Mein Sein wird seine Epiphanie. Was die erste Stufe der explikativen Gedankenschritte Baaders als das konkret bestimmende, sich selbst gehörende Allgemeine zeigte, bewährt sich auf dieser zweiten in einem ebenso konkreten wie auch das gängige ontische Verständnis überschreitenden Sinn als „Ursache“, deren verursachender „Akt“ den Charakter des Er- [290] eignisses, der Epiphanie, oder, wie Baader sagt, der „selbstischen Manifestation“ annimmt.

Die Herablassung der Epiphanie des Unbedingten hat, entsprechend jeder „Auslieferung“ personalen Sich-Erschließens, die Gestalthaftigkeit, verendlichende Bestimmtheit des Sich-Offenbarenden in der bezeugenden Aussage zur Folge. Zugleich aber eröffnet sie über sich allererst den Abgrund des unerschöpflichen Geheimnisses, aus dem sie geschieht. Mitteilung mindert nicht, sondern bewahrt und steigert das Geheimnis, ohne Mitteilung ist es nicht Geheimnis, sondern nichts. Das Wort läßt je sein „Woraus“ hinter sich, das es doch vorweist und erschließt, so daß es „das Aussprechliche unter sich setzend das Unaussprechliche über sich gesetzt findet“ (IX, 162 Anm.). „Auch den vollendeten Geistern wird Gott als Zentrum und unité principe doch immer unsichtbar bleiben, weil Gott sich nicht als manifestatus (Sohn) herunterlassen kann, ohne als manifestans (Vater) in demselben Verhältnisse sich zu erheben“ (II, 183).