Der dritte Weg im kirchlichen Dienst

Der Sinn und Ort kirchlicher Institutionen in unserer Gesellschaft hier und jetzt

Um den Sinn und Ort von Institutionen zu bestimmen, in welchen die Kirche ihren Dienst an den Menschen inmitten der Gesellschaft wahrnimmt, ist eine zweifache Blickrichtung erfordert: von der Kirche auf die Gesellschaft zu, von der Gesellschaft auf die Kirche zu. Setzen wir, scheinbar entgegen unserem leitenden theologischen Interesse, bei letzterer Sichtweise an. Wir wählen sie aus praktischen Gründen: Es geht uns um die gemäße institutionelle Verfaßtheit kirchlicher Initiativen in dieser Gesellschaft. Zwei Umstände sind in unserem Zusammenhang wichtig.

Zunächst: Viele Aufgaben, die früher allein durch spontane und freie Initiativen wahr- [322] genommen wurden, sind heute öffentliche Aufgaben, für die planmäßig von unserem Gemeinwesen Sorge getragen wird. Erinnert sei an die Gründungssituation vieler religiöser Genossenschaften, die großenteils aus sozialen und pädagogischen Anliegen erwuchsen, für welche seinerzeit niemand sonst da war.

Zum andern: Unsere Gesellschaft prägt – in der Bundesrepublik Deutschland mit einer ausdrücklichen grundgesetzlichen Verankerung – einen Konsens der Grundwerte. Sie ist zugleich aber weltanschaulich pluralistische Gesellschaft; die Überzeugungen, aus denen heraus die gemeinsamen Werte begründet werden, sind nicht für alle dieselben; sie fallen in eine Vielzahl von Welt- und Menschenbildern auseinander. Mit solcher Pluralität ist ein breiterer Dialog, zugleich aber eine geringere Intensität des Wertekonsenses als in einer Gesellschaft verbunden, die eine hohe Übereinstimmung in den tragenden Auffassungen besitzt.

Was sagen diese beiden Momente: Wahrnehmung der sozialen, pädagogischen, kulturellen Grundbedürfnisse durch die verfaßte Gesellschaft selbst – unterschiedliche Begründungen und Überzeugungen derer, die in der Gesellschaft die entsprechenden Aufgaben wahrnehmen?

In der Bundesrepublik entwickelte sich ein – auch anderwärts analog bestehendes – gesellschaftliches Modell: Der Staat, das verfaßte Gemeinwesen, trägt die Sorge dafür, daß die Aufgaben in den genannten Gebieten auf der Grundlage der gemeinsamen Werte und Maßstäbe wahrgenommen werden. Das geschieht zum einen durch Institutionen in öffentlicher Trägerschaft, in welchen Glieder der Gesellschaft mit unterschiedlichen Überzeugungen zusammenwirken. Zum andern gewährt der Staat, das Gemeinwesen, den Raum, in welchem freie Träger sich an diesen Aufgaben der Allgemeinheit beteiligen. Sie haben, in dem gesetzten Rahmen, die Freiheit, das jeweilige Gesicht und Gewicht der eigenen Überzeugungen und Motivationen in ihren Dienst einzubringen. Der „Grundwasserspiegel“ der einen Dienst tragenden geistigen Kräfte vermag innerhalb einer solchen freien Institution höher zu sein als dort, wo der Kompromiß zwischen unterschiedlichen Weltanschauungen und Menschenbildern im gemeinsamen Tun gefunden werden muß.

Die Partnerschaft freier Träger untereinander und mit öffentlichen Trägern ist das gesellschaftliche Modell, welches Einheit und Freiheit, gemäßes Miteinander in unserer pluralistischen Gesellschaft optimal verwirklicht. Hierbei ist freilich von höchster Bedeutung, daß die Freiheit der freien Träger, will sagen eine Wirkmöglichkeit gemäß dem Besonderen, was sie einzugeben haben, gewährleistet und nicht etwa nivelliert wird.

Was bedeutet nun von der Kirche her die Möglichkeit, durch Trägerschaft von Institutionen in der Gesellschaft gegenwärtig zu sein?

Wir stehen, wie schon bemerkt, hierzulande nicht mehr in jener Epoche, in welcher viele wichtige Aufgaben für das Wohl des Menschen nur durch kirchliche Initiativen wahrgenommen wurden. Aufgabe der Kirche und Interesse der Kirche in der gegebenen gesellschaftlichen Situation ist es vielmehr, jenes durch ihren Dienst zu geben, was nur sie zu geben vermag. Strebte die Kirche danach, soviele Institutionen in der Gesellschaft wie möglich zu tragen, so könnte sie dadurch in Konflikt geraten zu ihrem durch niemand sonst auszufüllenden Auftrag: unmittelbar das Evangelium zu verkünden und das Heilsangebot Gottes allen Menschen nahezubringen. Andererseits gehört es zu diesem Heilsangebot Gottes notwendig hinzu, daß es Heilsangebot an den ganzen Menschen ist und daß die Liebe Gottes zum Menschen nur durch die Liebe der Glaubenden zum Menschen, durch Einsatz für den Menschen und seine Menschlichkeit, ganz bezeugt wird. Sofern die Kirche aber diesen Dienst am Menschen durch eigene Institutionen aufgreift, wird sie darauf bedacht sein müssen, daß es ihr gelingt, das Eigene ihres Auftrags um des Menschen willen auch unverkürzt in der Gestalt und Wirkweise dieser Institutionen zur Geltung zu bringen.