Gott und das Denken nach Schellings Spätphilosophie

Der Spielplan des Denkens in den drei Ebenen der Philosophie

Die „Figürlichkeit des Denkens soll uns ein zweitesmal durch die drei Ebenen der Spätphilosophie Schellings geleiten. Ihr Verständnis vom Seienden her – welches Seiende ja die Figur des Denkens ist – entbarg Unterschied und Nähe der Denkweise Schellings zu unserem Denken. Die Einschwingung unseres Mitdenkens in die Figur seines Denkens vermag umgekehrt seine verschiedenen und doch systematisch aufeinander bezogenen Spielarten in diesen drei Ebenen der Philosophie aufzuschließen. Systematik und Methodik, Landschaft und Wegschaft, Zusammenhang und Eigenart dieser drei Ebenen ergeben sich hier auseinander, ja ergeben sich als ein [128] Eines: als den Spielplan, nach welchem die Figur des Denkens sich in die Dimensionen ihrer Bedeutung ausspielt.

a) Reines Denken
Das Denken erbildet sich als Figur, bringt seine Figur hervor und zum – freilich selbst nur figürlichen – Abschluß; es bringt sich für sich selbst zur Gegebenheit: dies ist die Unmittelbarkeit und Reinheit des Denkens, dies ist das reine Denken.

Schelling liest dieses reine Denken in der entgegengesetzten Richtung als das Gelangen seiner selbst vom Seienden zum Prinzip1. Doch beide Bewegungen sind im Grunde eine, sind dieselbe Bewegung. Das Erbilden der Figur ist ihr Erbilden in die Geschlossenheit, in welcher sie einen stehenbleibenden Sinn gewährt, in welcher sie „Prädikat“, geschehende Be-deutung und somit Verweis auf das, was die Figur von sich her bedeutet, aufs Subjekt zum Prädikat wird2, wenn auch dieses Subjekt nur eben „impliziert“, nur potentiell, nur als bedeutet in der Geschlossenheit der Figur anwesend ist. Der Progreß des reinen Denkens ist die Hervorbringung des Seienden in seiner Figürlichkeit und ineins damit Regreß aufs das-Seiende-seiende, aufs Prinzip also.

Von hierher läßt sich die Methode des reinen Denkens bestimmen – der Gang des reinen Denkens, der das absolute Prius selbst unmittelbar sich voraussetzt, kann hier außer acht bleiben, da er nicht eigentlich Weg ist, sondern Sprung, der sich durch die Wasfrage des Denkens erst zu einem Denk-weg vermittelt. Wie kommt das reine Denken zu sich selbst? Was ist das für ein Vorwärtsgehen, das es selbst, darin aber das Seiende, hervorbringt und das in diesem Hervorbringen zurückgeht in die Voraussetzung seiner selbst?

Dieser Frage widmet Schelling in der Philosophie der Mythologie eine über drei Vorlesungen (13–15) hingehende Erörterung; viele ihrer Einzelheiten können für uns hier außer Betracht bleiben, da neben der methodischen Klärung eigenen Denkansatzes eine andere Hinsicht Schelling dabei bewegt: ein „exegetisches“ Interesse [129] an verwandten oder differenten Gedanken bei Platon und Aristoteles.

Den allgemeinsten Umriß des Vorgehens innerhalb des reinen Denkens gibt Schelling in der 5. Vorlesung der Philosophie der Offenbarung, wo er die Voraussetzung für den Gang negativer Philosophie erörtert, deren Aufgabe es ist, das bloß Potentielle, somit Ambivalente aus dem unmittelbaren Begriff des Seienden auszuschließen: „Um aber das tun zu können, muß das Denken vor allem auf diesen unmittelbaren Inhalt der Vernunft eingehen, diesen sich aufschließen, es muß fragen: was ist jenes Seiende, der unmittelbare Inhalt der Vernunft, was gehört zu ihm, daß es das Seiende ist? Denn dies versteht sich nicht von selbst. Der Begriff des Seienden muß also erzeugt werden.“3

Die Aufgabe scheint dem reinen Denken hier von außen gestellt zu sein: Es hat sich, zweifellos sich und nur sich, zu fragen, was das Seiende sei, was zu ihm gehöre. Aber daß es die Frage an sich selbst, mit der das Denken es unternimmt, „sich ganz in sie“ (sc. die Vernunft) „einzuschließen und nichts anzuerkennen, als was in ihr sich entdeckt“4 auf „das Seiende“ zu stellt, dies ist „Programm“, ist Ansatz, welche dem Denken gegeben sind. So sieht es Schelling auch selbst, etwa in der Reflexion zu Beginn der 16. Vorlesung der Philosophie der Mythologie: daß die Sache der Philosophie nur „der vollkommene Gegenstand (l'object accompli)“ sein kann, „ist allerdings nicht selbst schon eine philosophisch gefundene … Bestimmung“, sondern „aus ihrem Verhältnis zu den anderen Wissenschaften abzuleiten“, die sich nur mit partiellen, eingeschränkten Gegenständen, mit Seiendem, nicht mit dem Seienden befassen5.

Indem das Denken sich aber daranmacht, selbst das Seiende mit seinen eigenen Mitteln zu suchen, entdeckt es, daß es nur so in seinem Elemente, daß dieses Suchen also das eigene, immanente Wollen des reinen Denkens ist6. Die Konnaturalität des Seienden und des Denkens zeigt sich, wie schon bemerkt, daran, daß das Denken alles, was es setzt, sofort als „seiend“ setzt: „denn das Seiende hinweggenommen, ist auch alles Denken hinweggenommen“7. So tief reicht diese [130] Entsprechung, daß das Suchen des Seienden dem Denken nicht Suche eines nicht Gehabten und nicht Finden eines schon Gegebenen, sondern daß es Erzeugen des Seienden ist8. Schelling betont ausdrücklich – und dies führt uns weiter hinein in die Methode des reinen Denkens – diese Methode sei „nicht beweisend, sondern erzeugend; sie ist die, in welcher die Wahrheit erzeugt wird“9.

Wie geht dieses Erzeugen vonstatten? Das es von innen her Leitende ist das Wollen des Denkens, das seinen eigenen Inhalt sucht, ihn aber als bleibend und stehend, als vollendet sucht10. Darin aber ist eine Doppelheit dieses Wollens ausgedrückt, dem auch die gesehene Doppelheit des Zieles entspricht, auf welches das reine Denken zugeht. Von dieser Doppelheit ist seine Methode geprägt. Das Denken will seinen Inhalt als den bleibenden, d. h., es will das Seiende, will es aber als festgestellt, will es als „gehalten“, es will also nicht nur das Seiende, sondern das Prinzip, in welchem es ruht und steht, das Wesen und jenes, welches dieses Wesen ist, die οὐσία als die Substanz, als das Bestehende und Standgebende11. Das reine Denken ist so Denken, welches aufs Prinzip zugeht und dem sich sein Inhalt auf dem Weg aufs Prinzip zu entbirgt, das seinen Inhalt auf diesem Weg erzeugt.

Dieser Weg selbst kann daher kein deduktiver sein, er kann nicht von etwas ausgehen, etwas zum Prinzip haben, da er das, wovon sich ausgehen ließe, erst sucht und gibt12. Bleibt also nur das Gegenteil der Deduktion, die Induktion. Diese scheint indessen insofern ausgeschlossen, als das reine Denken in seiner Objektivität keine Erfahrungselemente zuläßt; mögen diese auch subjektiv, im denkenden Subjekt, notwendig dem Denken als Zugang voraufgehen, als Denken konstituiert sich reines Denken nur aus sich selbst13. Doch daß Erfahrung im Sinne der Empirie – äußerer oder psychologischer Daten – das einzige Material sei, aus dem die Induktion schöpfen könne, ist eine unbewiesene Voraussetzung14.

[131] Es gibt eine weitere Gestalt induktiver Methode: jene, die ihre Elemente aus dem Denken selbst nimmt und die durch die im reinen Denken von diesem ablegbare Rechenschaft über sich selbst der Vollständigkeit ihrer Elemente so gewiß zu sein vermag wie keine andere Induktion, die auf Erfahrung als aufs Andere des reinen Denkens angewiesen wäre15. Diese Induktion im reinen Denken ist „nur durch das im Denken Mögliche und Unmögliche bestimmt“16.

Solche Induktion im reinen Denken hat folgenden Hergang, wie die Zusammenziehung der Bemerkungen Schellings ergibt, die er in der 13. Vorlesung der Philosophie der Mythologie unmittelbar anhand der eigenen Gedankenführung, in der 14. Vorlesung im Anschluß an Platons dialektische Methode und in der 15. Vorlesung in der Diskussion der ἁπλᾶ des Aristoteles macht:

Das Denken schaut auf sein Ziel: es will denken, was ist. Das ihm unmittelbar in diesem Bemühen Entstehende wird geprüft, ob es in einem Blick des Denkens zu fassen sei. Durch das Mannigfache des faktisch ersten Erblickens „ist das Denken, um Denken zu sein, also durch sich selbst, zu dem Entschluß gedrungen, was es nicht zumal setzen kann, nacheinander zu setzen, und auf jene schlechthin einfachen Elemente zu gelangen, bei denen keine Fluktuation des Denkens mehr möglich ist ... (wo keine συμπλοκή νοημάτων, also die reinen νοήματα sind)“17. Methode als Methode, Weg als Weg eröffnen sich in dieser Selbstentflechtung des faktischen Denkens, in welcher es in seine Folge, also in seine Ordnung als Denken vorstößt.

Wie aber geht dieses „entflochtene“ Denken seinen sich selbst erbauenden Weg? Es sucht, in welchem einen und somit reinen Blick das Seiende sich zunächst ihm gebe, welches die anfängliche Möglichkeit seiner selbst sei, es zu denken. „Wenn gefragt wird: was ist das Seiende, so steht es nicht in unserem Belieben, was wir zuerst und was wir hernach setzen wollen, von dem nämlich, was das Seiende sein kann. Um zu wissen, was das Seiende ist, müssen wir versuchen, es zu denken (wozu freilich niemand gezwungen werden kann, wie er genötigt ist, das vorzustellen, was sich seinen Sinnen [132] aufdrängt).“18 Auf diesem „Versuchen es zu denken“ als methodischer Grundanweisung beharrt Schelling. „Tentandum et experiendum est.“19

In solchem Versuchen sind selbst zwei Elemente einbegriffen: der reine Hinblick, das Setzen des Seienden in einer Denkbestimmung, und das Messen des Gesetzten am Maß des Gewollten, am Seienden, das es wahrhaft ist, das bleibt und steht. So ist also das dem Denken unmittelbar Entstehende, weil aus nichts anderem als dem Hinblick aufs Seiende Entstehende, das Seiende; wird das so Entstandene aber daraufhin befragt, ob es das Seiende auch wahrhaft sei, so wird offenbar, daß es noch nicht ganz dieses Seiende ist, daß das Seiende in ihm nur mit einer „Beraubung (στέρησις)“20 gesetzt ist. Das am Maß des Seienden Fehlende heißt das Denken, das Seiende auf gegensätzliche Weise, diese gegensätzliche Weise heißt es wiederum, das in der bloßen Entgegensetzung nochmals Fehlende in der vereinenden und ergänzenden Weise zu setzen, bis das Seiende ganz als stehenbleiben könnend gedacht, und bis es so dem zugedacht, dem Prädikat geworden ist, das es ist: dem Prinzip, von dem die einzelnen Bestimmungen gelten.

Die materiale Ausführung dieses Weges bleibt dem Zusammenhang des folgenden Kapitels vorbehalten, seine Methodik tritt indessen hier schon ans Licht: Der leitende Hinblick aufs Seiende, das es ist, zeitigt dem Denken seine Bestimmungen, die zunächst dieses Seiende sind, sodann aber auch nicht sind, und die es so immanent notwendig weitertreiben. Drei Grundverhalte sind in dieser Methode konstitutiv:

  1. Sie verläuft in zwei je aufeinander verwiesenen Grundbewegungen oder Grundakten: im „Setzen“ als „positiver“ und im „Verneinen“ oder „Aufheben“ als „negativer“ Seite21. Das „Setzen“ ist das „logische“, das „Aufheben“ das im engeren Sinne „dialektische“ Element22 dieser im ganzen in Platons Sinn „dialektisch“ genannten Methode23.

    Das „Setzen“ ist das Bereitstellen der Elemente, das sie als Prin- [133] zipien setzt24. Dieses Setzen geschieht als „Erfahrung“ des Denkens25, es hat seine Gewißheit aus sich selbst, ist nicht auf anderes zu reduzieren, sondern unmittelbarer und reiner Hinblick des Denkens auf sein zu Denkendes, daher entgegengesetzter Art einerseits zum folgernden Schließen als logischer Operation mit Elementen, anderseits zur sinnlichen oder psychologischen Erfahrung und auch zur Selbstgewißheit im Sinne des Cartesius26. Dieses Erfahren ist nichts anderes als das Denken selbst, es ist das Logische: „Man muß wirklich denken, um zu erfahren, daß das Widersprechende nicht zu denken ist ... Das Denken ist also auch Erfahrung.“27 Das „Aufheben“ ist sodann das Verhältnis des Denkens_ zu_ den von ihm gesetzten Elementen – wenn auch im weiteren Verlauf notwendig umgekehrt dem Aufheben des Früheren ein Setzen des Nächsten folgt28. Auch im Aufheben lebt schauendes Denken, die Zusammenschau eben des Gesetzten des Denkens mit dem Maß des Denkens, in welcher das zunächst als Prinzip Gesetzte als Stufe zum Prinzip herabgesetzt, in seiner Vorläufigkeit offenbar wird29.

  2. Das Gesetz, das diese beiden Grundakte der Methode, Bejahen und Verneinen, aufeinander bezieht, sie zu Schritten eines Wegs und das von ihnen Geleistete zu Bestimmungen eines und desselben macht, ist das Gesetz des Widerspruchs; Schelling sieht es hier in Erinnerung an Aristoteles über die unfruchtbare Anwendung auf den bloß gegenseitigen Ausschluß kontradiktorischer Bestimmungen erhoben und im Blick auf sich (logisch) folgende, nicht eodem loco gesetzte konträre Bestimmungen desselben als „das Gesetz alles Seienden, also das fruchtbarste und inhaltsreichste aller Gesetze30. Die materiale Bedeutung dieses Gesetzes in der Durchführung der Bestimmung des Seienden wird uns ebenfalls im nächsten Kapitel noch beschäftigen. Es weist – soviel wird hier schon deutlich – auf das von seinen Bestimmungen unterschiedene, selbstseiende Eine, das sie ist31, und darin zugleich auf die in keiner einzelnen und endlichen Bestimmung abzugeltende Eigenart des wahrhaft in sich Stehenden, auf den Charakter des das-Seiende-seienden als Geist und [134] Freiheit, als Mächtigkeit seiner Bestimmungen und Freiheit zu ihnen, als nicht von ihnen prinzipiiert, sondern deren Prinzip.

  3. Der Gang der Dialektik setzt das als Prinzip unmittelbar Gesetzte sich zur bloßen Stufe_ zum_ Prinzip, zu seiner Voraussetzung (ὑπόθεσις) herab32. Darin wird die Differenz des Seienden zu seinem Prinzip als solche offenbar und geklärt, wird offenbar und geklärt auch, was das reine Denken leistet, indem es das Seiende aufs es Seiende zu setzt: das Seiende als Ganzes, in all seinen Stufungen, in den Elementen seines Begriffes ist eben Begriff, Was, ist nicht das Prinzip, sondern sein Attribut und Prädikat33, das Denken setzt, indem es in der dialektischen Folge seiner Hypothesen zum Prinzip hinführt, die „Figur des Seienden“, in der „alle Möglichkeit beschlossen (fini)“ liegt, es erzeugt das Seiende, „aber im bloßen Entwurf, nur in der Idee, nicht wirklich. Wie jedes einzelne Element das Seiende nur sein kann, so ist das Ganze zwar das Seiende, aber das Seiende, das ebenfalls nicht ist, sondern nur sein kann ... Zur Wirklichkeit wird es erst dann erhoben, wenn Eines oder Etwas ist, das diese Möglichkeiten ist, die bis jetzt bloß in Gedanken oder reine Noemata sind“34.

Bis hierhin, bis zur Implikation des Prinzips in seinem Was und Begriff, bis zur „Figur des Seienden“ also führt das reine Denken. Seine Methode bestätigt und vollendet sich in seinem Abschluß: es setzt in der totalen, aus Stufen sich erbildenden und sie vereinenden Figur des Seienden dieses Seiende und verneint so das Gesetzte doch als das wirklich dieses Seiende-seiende, als das Prinzip, setzt es so gerade über sein selbstvermochtes Setzen hinaus.

Die für Schellings Denken eigentümliche Zweiheit von Sein und Denken, die unter dem Gesetz der Einheit beider begriffen, aber nicht in die Ableitbarkeit des Einen aus dem Andern hinein aufgehoben ist, meldet sich so bereits im Beschluß des reinen Denkens: „Auf solche Weise überkommen nun die als Attribute Gesetzten das Sein von dem, dessen sie sind. Also daß sie sind, wie Attribute sein können, verdanken sie dem, das sie ist (dem Prinzip), aber (und dies ist von großer Wichtigkeit) nicht ebenso ist Was sie sind durch [135] dieses bestimmt; dem Was nach sind sie unabhängige und selbständige Mächte. Jenes (das Prinzip) hat für sich die Ewigkeit und Notwendigkeit des Seins, sie haben für sich die Ewigkeit und also Notwendigkeit des Wesens, des Gedankens, sie gehören dem Reich der ewigen Möglichkeiten an und sind erst wahrhaft das, was man die essentiae oder veritates rerum aeternae genannt hat.“35

Hätte die Entwicklung der Methode des reinen Denkens den Verdacht nahelegen können, es handle sich hier, bei dieser Induktion, doch nur um das Denken in der Stellung des transzendentalen Subjektes, so wird doch vom Ergebnis dieser Methode und für ihr Ereignis deutlich, daß reines Denken und seine Methode in Schellings Verständnis das Sich-Vollbringen des Denkens als der ewigen Lichtung des Absoluten selbst meinen. Nur bis zur Figur des Seienden, nur bis zum Verweis aufs das Seiende seiende Prinzip führend, führt das reine Denken doch bis zu jener „Figur“, welche die Figur, das ewige Was des absoluten Prinzips selber ist.

Ehe dieses Denken des reinen Denkens in der absoluten Figürlichkeit Anlaß wird, systematischen Ort und Methode der negativen Philosophie darzustellen, sei noch auf das Licht verwiesen, das von der Methode des reinen Denkens auf das Verständnis der intellektuellen Anschauung beim frühen Schelling fällt.

Wenn im reinen Denken ein „Erfahren“ waltet, wenn es nur durchs Tun seiner selbst sich selbst zu finden und seinen Inhalt zu erzeugen vermag, wenn das „schlechthin Einfache“(und Schelling versteht darunter die im Zuge der Dialektik gesetzten Bestimmungen des Seienden, die – wenn auch hypothetisch – sind, was das Seiende ist) nur „berührt werden“ kann, „so daß im bloßen Sagen und Berühren die Wahrheit besteht“36, so legt sich nahe, für die intellektuelle Anschauung der Frühzeit ähnliches anzunehmen: sie meint nicht die empirische Selbstgewißheit des Selbstbewußtseins, sondern die „phänomenologische“ Gewißheit des Denkens, die vor aller Deduktion reines Zusehen und in diesem reinen Zusehen gehorsames Mittun und so dem Inhalt nach erzeugendes Selbsttun des im Denken sich Zeigenden ist. Der Charakter der intellektuellen [136] Anschauung als freie Einschwingung ins Selbstgeschehen des Absoluten im Identitätssystem und als Einstieg in die konstitutive Konstruktion alles Seins bereits im System des transzendentalen Idealismus bestätigen das37.

b) Negative Philosophie
Der systematische Ort der rein rationalen oder negativen Philosophie und ihr methodischer Charakter als „denkende Wissenschaft“38 zeigten sich bereits in unserem Vergleich ihres Ansatzes mit dem des fragenden Denkens. Unmittelbare über dieses Maß hinaus weiterführende Reflexionen zu ihrer Methode gibt Schelling kaum; so bleibt uns nur, Stelle, Gang und Gangart dieser „ersten Wissenschaft“ aus dem soeben Bedachten zu ermitteln — doch gerade dies entspricht unserem Vorhaben, die innere Konsequenz des Weges der Spätphilosophie Schellings durch ihre drei Ebenen hindurch darzutun.

Die Triebfeder des reinen Denkens, so zeigte sich, ist das Wollen der Vernunft, ihren unmittelbaren Inhalt als unentreißbar und bleibend zu gewinnen, dieses Wollen geht also nicht nur aufs Seiende, sondern aufs Prinzip, auf jenes, welches das Seiende ist39. Das reine Denken bringt sich selbst zum Abschluß, aber erreicht es in diesem Abschluß sein eigenes Wollen?

Ja und nein. Ja, insofern das Gewollte in allen seinen Bestimmungen dem reinen Denken ansichtig wird, insofern seine Elemente und ihr Zusammenhang dem Denken vollständig und unzweifelhaft hervortreten: am Ende des reinen Denkens hat dieses den vollständigen Umriß des „vollkommenen Gegenstandes“40.

Nein aber, insofern der Begriff des Gewollten als solcher die Differenz zwischen dem Wollen und dem Gewollten nicht aufhebt, sondern offenläßt. In ihrer „Figürlichkeit“ schwebt die Idee des Seienden, gerade weil sie in sich beruhigt und geschlossen ist, in der Ambivalenz: Sie ist „das Ganze als Gleichmöglichkeit des außer [137] dem Prinzip gesetzten Seienden (des außergöttlichen Seins) und des außer dem Seienden gesetzten Prinzips – der rein in sich seienden Gottheit“41. Als Figur ist das Seiende die Unentschiedenheit seiner Möglichkeiten zur Wirklichkeit, darin die Unentschiedenheit des Prinzips und so auch die des Wollens des Denkens.

Die Konsequenz aus diesem Verhalt ist uns schon begegnet: die hypothetische Erhebung des in der Figur gegebenen Vorspiels ins Spiel, die Entzündung der in der Idee verborgenen Möglichkeit in die eigene Wirklichkeit, um so das Prinzip „freizuspielen“, es von der Figur zu trennen und seiner unmittelbar ansichtig werden zu können, worin es als Prinzip offenbar werden und von sich her ins prinzipiierende, bestimmende Verhältnis zu den im Seienden gesetzten Bestimmungen seiner selbst gelangen soll.

Aus diesem Ansatz der vom Wollen des Prinzips dem Denken erregten Ausscheidung des Potentiellen bzw. Aussonderung des Prinzips aus der Figur des Seienden ergibt sich apriorisch ein Grundriß des Verlaufs rationaler als negativer Philosophie. Es ist notwendig der Grundriß eines Geschehens, das nicht auf ein Etwas zuläuft, sondern ein Feld eröffnet, in dem alsdann auf nochmals andere Weise etwas geschehen kann: Grundriß einer notwendigen, wesenhaften Geschichte als logisch-ontologische Bereitung des Feldes wirklicher Geschichte.

Welches sind die zu vermutenden – und sich im Gang der philosophischen Einleitung in die Philosophie der Mythologie vollstreckenden – Akte dieser logisch-ontologischen Geschichte? Ihr Prinzip, dies kam auch bereits zur Sprache, ist die im Seienden als Figur reinen Denkens gesetzte und durch Selbstbewegung auszuscheidende „Gleichmöglichkeit“ des prinzipfreien Eigenseins des Seienden und des vom Seienden getrennten Eigenseins Gottes42.

Wie aber kann die in sich selbst gleichgewichtig schwingende Figur des Seienden in solche Selbstbewegung geraten? Sie muß vom Denken aus dem herausgesetzt werden, was ihre Einheit und somit Geschlossenheit ausmachte. Eins waren die dem reinen Denken unterlaufenden Bestimmungen aber durch den Hinblick aufs Prinzip, als das sie unmittelbar gesetzt und zu dessen Hypothesen sie [138] sodann mittelbar herabgesetzt wurden, bis sie sich zum erschöpfenden Was des Prinzips ergänzt und vereinigt hatten.

Nun aber verlangt der Entschluß des Denkens, sein Wollen des Prinzips durchs scheinbare Gegenteil, durch die Verselbständigung des in den Hypothesen des Prinzips Gesetzten zu erreichen, eine neue und umgekehrte Anwendung der dialektischen Methode. Was hier dem Denken entsteht, entsteht zwar im reinen Denken und aus ihm, ist aber selbst kein reines Denken mehr, sondern, wie beobachtet, „Wissenschaft“, weil das Denken sich hier nicht hineinwendet in die konstitutive Notwendigkeit seiner selbst, sondern aus ihr entwirft, was sein kann43.

Der Entwurf dieser Wissenschaft ist in einem anderen Sinne hypothetisch, als die Bestimmungen des reinen Denkens Hypothesen des Prinzips sind. Diese letzteren sind Hypothesen als vom Denken selbst her notwendig gesetzte und im weiteren Gang dieses Denkens erst in ihre Vorläufigkeit gesetzte, in dieser Vorläufigkeit aber konstitutiv bleibende Wesensbestimmungen des Prinzips. Die Entwicklungen negativer Philosophie sind hypothetisch nicht als vorläufig, sondern als „vermutend“: sie folgen in sich zwar notwendig aus dem Denken als solchem, in ihrem Sinn als Bestimmungen dessen, „das sein wird“44 als Vorgriff auf Verwirklichung aber sind sie dieser und also ihrer nicht aus sich selbst gewiß.

Wie kehrt sich nun die dialektische Methode um, indem die Figur des Seienden sich als Vorspiel ihres eigenen Seins, als ihre eigene Partitur versteht? Wenn die vom reinen Denken gesetzten Urbestimmungen aus dem Hinblick auf das in ihnen zu bestimmende Prinzip und so aus ihrer Einheit herausfallen, spielen sie ihre eigene, separate Inhaltlichkeit aus sich hervor: das Seiende „verschwindet, sowie es außer dem Actus des göttlichen Seins gedacht wird. Die Prinzipe aber, die seine Materie sind, bleiben.“45 Die Depotenzierung der zuerst als Prinzip gesetzten Bestimmungen zu prädikativen Hypothesen des wahrhaften Prinzips entfällt, sie treten nach außen in ihrer eigenen Prinzipialität hervor, sie werden selbstmächtig, werden zu Ursachen 46.

[139] Der methodische Gang ist, wie beim reinen Denken, experimentell: „Es muß versucht und erfahren werden: gilt auch bei dieser, wenn gleich apriorischen Wissenschaft.“47 Was aber und in welcher Richtung experimentiert wird, fällt anders aus. Die Frage heißt: Als was stellen sich die im reinen Denken gefundenen Bestimmungen dar, wenn sie als Prinzipien unmittelbarer Verwirklichung angesehen werden? Wie wirken die einzelnen Prinzipien, die ja nicht beziehungslos zueinander gesetzt wurden, aufeinander, wie bestimmen sie sich gegenseitig?

Das Denken setzt also eines dieser Prinzipien in hypothetische Bewegung und nimmt wahr, was mit ihm geschieht. Diesem Setzen folgt hier aber nicht wie im reinen Denken ein Aufheben des unmittelbar Gesetzten, um das eigentliche Prinzip als solches zu bestimmen, sondern das Entgegensetzen der Wirkung der andern Prinzipien, damit die Bewegung als Bewegung des Werdens, der hypothetischen Verwirklichung des in den Prinzipien als möglich Angelegten, verlaufen kann. Das Bemessende der Den[k]bewegung [sic!] ist also das Entstehenkönnen von Wirklichem, d. h. aber das Bestehenkönnen eines aus den Prinzipien Entstehenden.

Somit tritt im Synergismus der Prinzipien eine neue Einheit hervor, in welche die Prinzipen als Ursachen eingehen und sich zusammenbinden, sie streben zusammen in ein Prinzipiiertes als ihr „reziprokes“ Prinzip, als ihr sie seiendes recipiens48.

Solange dieses bloßes recipiens bleibt, ist die hypothetische Wegwendung der Prinzipien von dem Prinzip, somit die Aussonderung des Prinzips noch nicht vollbracht. Ein weiterer Schritt im hypothetischen Gang des Denkens ist hierzu erfordert: das Sich-Setzen dieses recipiens als Prinzip, das die es prinzipiierenden Mächte von sich aus bestimmt. Was widerfährt ihnen und was dem sich darin selbst als Prinzip setzenden Nichtprinzip? Diese Frage bezeichnet das Programm für den Durchgang der negativen Philosophie zu ihrem am Anfang gewollten Ende: „Erscheint das so vom Prinzip unabhängig gewordene Wirkliche dennoch als ohnmächtig gegen das Prinzip (zuerst nur gegen sein nächst Höheres, zuletzt aber gegen das Prinzip), als dessen bedürftig und am Ende ihm unterworfen, [140] so erscheint nun das Prinzip auch als das über alles andere Wirkliche siegreiche und darum an sich Wirkliche, d. h. als Prinzip.“49

Es mag sonderbar erscheinen, den Gang der negativen Philosophie ohne die materiale Vorstellung der ihren Gang bestimmenden Mächte des Seienden und ohne den existentiellen Anlaß, auf den sie zugeht, zu zeichnen. Doch gerade in solch reiner Figürlichkeit werden ihre Komposition, ihre Konsequenz und ihr methodischer Ansatz an sich selbst deutlich.

Kann die Figur sich selbst spielen, oder kann nur das Prinzip sie spielen, und kann es sie so spielen, daß, wenn es selbst vorspielt, „die Anderen“ mitspielen können - die „Anderen“, deren Möglichkeit die negative Philosophie auf eigentümliche Weise entwirft? So formuliert sich die Frage, die es in der negativen Philosophie auszuarbreiten gilt, vom uns leitenden Bild der „Figur“ her.

Die Methode negativer Philosophie, die auf die angedeutete Weise die dialektische des reinen Denkens umkehrt, wird nicht mehr im selben Sinne wie diese induktiv heißen dürfen. Sie hat ja ein Prinzip, hat, wovon sie ausgehen kann. Gleichwohl ist sie noch nicht im endgültigen und eigentlichen Sinn „deduktiv“: sie leistet nicht schlechthin die Ableitung dessen, was ist, aus seinem Prinzip. Solche ohnehin erst hypothetische und wesentliche Ableitung ist nur der eine Strang dessen, was in ihr geschieht, und das Denken folgt ihm zudem nur um eines anderen willen: Es geht in der Deduktion dessen, was sein und geschehen kann, um die Induktion des wahrhaften Prinzips als eines solchen50.

c) Positive Philosophie
Die Induktion des Prinzips, das dabei jedoch im Seienden impliziert bleibt, und die Klärung der Elemente dieses Seienden: dies wies sich als die Aufgabe des reinen Denkens. Die stufenweise Explikation des Prinzips aus dem Seienden, zunächst in der Erhebung der Elemente des Seienden zu selbstwirkenden Ursachen, sodann in der Selbsterhebung des von ihnen Verursachten, die Versuch der Trennung der Ursachen vom Prinzip und ihrer Umkehrung gegen [141] das Prinzip bedeutet, und schließlich in der Ohnmacht solchen Versuches, der die bleibende Verwiesenheit des von den Ursachen Gegründeten aufs Prinzip und damit die bleibende Mächtigkeit des Prinzips als eines solchen gerade bestätigt: dies zeigte sich als die systematische Funktion negativer Philosophie.

Von hier aus ergibt sich die – auf andere Weise bereits ermittelte – Stellung der positiven Philosophie von selbst: ihre Sache ist nun die wahrhafte Deduktion dessen, was ist, aus dem Prinzip mit Hilfe der in der negativen Philosophie in ihre Selbständigkeit geführten „Prinzipien“, die sich so als Potenzen des Prinzips erweisen, das in ihnen, durch sie und über ihnen es selbst, so aber wahrhafter Beziehung zum Anderen seiner selbst wie auch wahrhafter Freiheit vom Anderen seiner selbst mächtig und zugleich „alles in allem“ ist: göttlicher Gott.

In solcher Deduktion erreicht das Denken Schellings das, was es von Anfang an suchte: universale, alles begreifende und einbegreifende genetische Ableitung, totales System.

Schelling erreicht es aber anders, als er es in seiner Frühzeit erstrebte: das System ebnet nicht mehr die Differenz ontologischer Wesensgeschichte und wirklicher Geschichte ein, sondern begreift sie als solche; die Ableitung wird freie, die Freiheit Gottes gerade wahrende Ableitung; das Denken wird zum menschlichen Nach-denken, das zwar nichts anderes als das Denken selbst, als das Denken Gottes denkt, das sich aber nicht erschöpfend in dieses Denken Gottes einholt, sondern das in der wirklichen Geschichte selbst seine Geschichte hat, sofern diese noch nicht in ihr endgültiges Ende gekommen ist, in welchem Philo-sophie erst zur Sophia, zur vollendeten Einigkeit mit dem in sich je schon vollendeten Sich-Wissen des freien Gottes als zu ihrem Wesen drängt.

Diese systematische Stellung der positiven Philosophie bestätigt sie – wenn auch mit etwas anderem Akzent als bei Walter Schulz – als die „Vollendung des deutschen Idealismus“ und nicht den Bruch mit ihm, zeigt zugleich aber an, in welchem Sinn er sich in ein anderes hinein überholt: die Vollendung des Denkens in seiner Deduktion der Wirklichkeit aus dem Absoluten ist das gerade nicht mehr aus dem Denken allein zu Leistende und zeitlos im Denken allein zu Vollendende.

[142] Um den methodischen Vorgang positiver Philosophie zu bestimmen, ergibt sich so ein notwendig zweifacher Ansatz zugleich: Das Denken setzt in der positiven Philosophie an beim Prinzip – hier erst vermag das Denken dies, denn hier erst hat es das Prinzip zum Prinzip. Das Prinzip zum Prinzip zu haben, schließt fürs Denken aber gerade seine Nachträglichkeit zum Prinzip ein, jene Stellung, in der das Prinzip ihm ein solches, also ein schlechthin vorgängiges ist. Als Prinzip stellte das unvordenkliche Daß sich heraus in der Situation, in welcher das Denken seinen Inhalt, das Seiende, vom Prinzip getrennt und ihm aus eigener Setzung entgegengesetzt hatte, in welcher es also in ein anderes Prinzip, ins Ich, als seine Stelle hinübergewandert war. Die Setzung und also Trennung des Ich vom Prinzip, die Usurpation des Denkens durchs Ich ist die systematische Vorbedingung, damit das Prinzip dem Denken zum Prinzip werde. Es wird ihm aber nur zum Prinzip, indem das Ich sich und also das Denken und also die Mächte des Seienden nicht festhält, sondern sich dem Prinzip anheimgibt, nicht um sich nur wieder kontemplativ in den Wesenszusammenhang reinen Denkens zu flüchten, sondern um sein getrenntes Sein vom Prinzip her zu verstehen und von ihm her mit sich und ihm vermitteln zu lassen. Die systematische Ortung der „existentiellen“ Grundsituation positiver Philosophie tritt hier in Sicht.

Der Ansatz des Denkens beim Prinzip, die höchste Mächtigkeit und Aktivität des Denkens, impliziert also den gleichzeitigen Ansatz des Denkens bei seiner Nachträglichkeit zum Prinzip, bei der Gegebenheit dessen, woran es das Prinzip als Prinzip erweist.

Die Thematik positiver Philosophie klärt sich. Sie kann, allgemein, heißen: Deduktion des wirklichen Seins vom Prinzip aus und darin Erweis seiner Göttlichkeit (als Herrschaft über das Sein). Sie heißt konkret aber: Aus der Annäherung der hypothetischen Entwicklung negativer Philosophie an die erfahrene Wirklichkeit „getrennten“, „gesonderten“, vom Prinzip gespaltenen, ichhaft vereinzelten Seins wird das Faktum des „Falls“ bestätigt und aus seinen zuvor hypothetischen Voraussetzungen wirklich begreifbar. In diesem Positivum „Fall“ als dem Ort des Einsatzes „positiver“ Philosophie ist aber der Blick auf zwei andere Positiva eingeschlossen und so ihr Begreifen aufgegeben: Fall ist die Verkehrung, zu- [143] mindest die Umstellung eines ursprünglichen Verhältnisses der Zugehörigkeit des Gefallenen zum dem, von dem es fiel, zum Prinzip, Fall verweist auf Gründung aus dem Prinzip, auf Schöpfung zurück, und Fall weist voraus auf seine Zurückvermittlung, auf mögliche Erlösung, um Namen zu gebrauchen, die in der erfahrbaren geschichtlichen Wirklichkeit (hier: innerhalb des Datums Offenbarung) auf Positiva hinzielen, die vom Denken nicht zu erstellen, aber de facto, vom Faktum seines wirklichen Sich-Findens im menschlichen Ich her, zu vermuten sind. Fall, Schöpfung, Erlösung sind, aus der wirklichen Situation des Ich, zu der das Denken seine Möglichkeiten hinentwickelte, die drei wesentlichen Positiva positiver Philosophie. Positiver Philosophie: das heißt also einer Philosophie, in der das Denken vom Prinzip ausgeht, aber nicht selbstmächtig, sondern in einer vollzogenen, „praktischen“ Hinwendung zum Prinzip, die sich die Facta selbst vom Prinzip zuerst geben läßt, auf die sie vom Prinzip herleitend zudenkt.

Gegeben sind dem Denken in der positiven Philosophie demnach: a) die Facta Schöpfung, Fall, Erlösung; b) durch diese Facta die wirkliche Wirklichkeit; c) somit aber das Prinzip in der Stellung des Prinzips; d) infolgedessen schließlich die Ermächtigung, Denken im Sinne der Herleitung vom Prinzip zu sein.

In dieser Anerkenntnis und Annahme der Gegebenheit spielt das Denken an sich selbst indessen eine entscheidende Rolle: im Denken werden die Facta erst verständlich, dem Charakter der facta bruta entrissen und in ihren Zusammenhang hineingestellt. Und indem dies geschieht, wird das Positivum schlechthin, das vor und über den drei genannten Positiva „gegeben“ ist, wird das absolute Prius, das reine Daß selbst, erst der „heiligen Ananke“ seiner blinden Verschlossenheit entrissen und gelichtet als der wirkliche und göttliche Gott. So versteht sich, daß in Schellings Sinn das Denken in seiner Stellung als positive Philosophie nicht Zusatz zur Religion als geschehender Beziehung zwischen Gott und dem Anderen Gottes und zur Offenbarung als dem Gebenden bzw. Wieder-Gebenden dieser Beziehung ist, sondern ihre sie vollendende Helle. Es geht Schelling im Ganzen seiner Entwicklung positiver Philosophie um die Gewinnung der „freien“, der „philosophischen Religion“, welche die Offen- [144] barung nicht ausschließt oder negiert, sondern als ihre Voraussetzung in sich trägt51. Wie Gott erst durchs Denken seiner Ananke entrissen, wahrhaft „Gott“ wird, so die Offenbarung erst durch das Denken, konkret: durch die positive Philosophie, wahrhaft Offenbarung. Ausgang vom Prinzip, kraft der Gegebenheit der Positiva erschaffenen, gefallenen und erlösten Seins als Ausgang des Denkens, das diese Positiva vom Prinzip aus und so dessen Göttlichkeit begreift: dies ist die positive Philosophie.

Wie aber kann das Denken solchen herleitenden Ausgang vom Prinzip und hinleitenden Zugang aufs „Aposteriorische“, auf die Positiva zu leisten? Es hat als seinen ihm identischen Inhalt die Elemente des Seienden, die in ihrer hypothetischen Verselbständigung und Trennung sich als die Ursachen dessen, was ist, entbargen, wenn dieses ist, zugleich aber als das vom Denken, das vom Ich usurpiert wird, Selbstgesetzte, das in dieser Selbstsetzung Macht und Ohnmacht des Denkens und des Ich vollstreckt: das Ich, das denkt, „erschafft“ darin seine Welt, setzt sie, wie es im transzendentalen Idealismus Fichtes und des frühen Schelling geschah52, aber diese Setzung ist bloß potentiell, vermag nicht die Wirklichkeit, denkt zwar das Wirkliche, aber versöhnt die wirkliche Sonderung dieses Wirklichen nicht aus sich mit dem Prinzip, das Denken bleibt in bloßer, machtloser Figürlichkeit. Das in dieser Figürlichkeit Anwesende, die Elemente des Seienden, müssen also im umgekehrten, vom Ich dem Prinzip wieder anheimgegebenen Denken selbst umgekehrt, als die – in der Geschichte des Denkens zum Ich hin bestätigte – Mächtigkeit des Prinzips neu verstanden werden und bilden in dieser Stellung alsdann das Interpretament der wirklichen Geschichte.

So ergibt sich eine Reihe von Fragen, der entlang das nachbegreifende Ableiten positiver Philosophie geschieht:

Wie sind die Elemente des Seienden nicht in der Induktion zum Prinzip hin, nicht in ihrer selbständigen Entzündung zur Eigenkausalität, sondern vom Prinzip her als Grundlage der Deduktion des möglicherweise Seienden und Geschehenden aus ihm zu denken?

[145] Welches ist ihr Verhältnis zum Prinzip an sich, „vor“ und außer dem Auftauchen der Möglichkeit des Anderen Gottes in ihnen?

Wie geschieht in solche anfängliche Stille Gottes in und außer ihnen hinein dieses Auftauchen der Möglichkeit des Anderen?

Welche Alteration widerfährt ihnen und widerfährt dem Prinzip, wenn dieses sich zum Sein seines Anderen entschließt? Bewährt sich der von der Ohnmacht seines verselbständigten Anderen als Gott, als Herr des Seins bewahrheitete Gott hier auch von sich her in seiner Herrschaft über diese Elemente des Seienden? Wie wirken sie als Ursachenmächte Gottes in der Schöpfung?

Wie vermag das sich zu sich erhebende Andere Gottes sie und Gott selbst in solcher Erhebung zu alterieren? Wie und durch welche Operation mit diesen Elementen kann Gott solche Alterierung überwinden, auf daß er der Herr bleibe und sein Anderes ins Heil, in die Versöhnung und Ordnung komme?

Solches sind die Grundfragen des Ganges positiver Philosophie, der Selbstdurchführung des Denkens, seiner eigenen Elemente als Interpretation der Geschichte, welche Geschichte die Geschichte der Beziehung zwischen Gott und seinem Anderen ist.

Die Elemente des Seienden, das Seiende also in seinem Auseinandertreten, in seiner Verwandlung in die Struktur möglicher Beziehung, das heißt aber die negative Philosophie, sind das „Bewußtsein“, welches die positive Philosophie in sich setzt53.

Der Gang der Fragen und das Instrumentarium ihrer Antwort in der positiven Philosophie sind so ermittelt. Welcher Art aber ist die „Deduktion“, als welche sich die Methode der positiven Philosophie versteht? Sie entspricht der zunächstliegenden Vorstellung von Deduktion sowenig, wie die induktive Methode des reinen Denkens eine solche im Sinne der empirischen Induktion war. Deduktion ist hier nicht selbstmächtige Entwicklung des Denkens, sondern Nachvollzug, dem Ausgang und Ziel gegeben sind und der nur den Weg vom Woher zum Wohin aus den immanenten Gesetzlichkeiten des Denkens nachzuzeichnen hat, die indessen als Gesetzlichkeiten nicht mehr nur des Denkens, sondern als dem Prinzip übereignete Mächtigkeit dieses Prinzips begriffen sind.

[146] Das Denken trifft hier in sein Ziel: Es zeigte anfänglich die Differenz zwischen Inhalt und Gemeintem, zwischen immanent logischer Figur und zweifach, vor sich und hinter sich, gerichtetem ontologischem Sinn und Verweis. Nun ist diese Differenz grundsätzlich aufgehoben, indem der Verweis kein bloßer Verweis, sondern begreifende Anzeige des Verwiesenen, „wirkliches“ Denken des Wirklichen geworden ist.

So ist das Denken über seine bloße Figürlichkeit hinaus: die Figur enthält das, was sie nach- und was sie vorzeichnet, ist die geschehende Konkretion des Nach- und Vorgebildeten, das gelichtete Spiel der Beziehung zwischen Ursprung und Entsprungenem, Gott und Welt.

Um am Schluß dieser Betrachtung der immanenten systematischen und methodischen Konsequenz der drei Ebenen des Denkens in Schellings Spätphilosophie auf den Einsatz unseres Mitdenkens beim „Seienden“ als dem Grundinhalt des Denkens im Sinne Schellings zurückzukommen: In der positiven Philosophie scheint das Seiende, die beruhigte Wesensfigur des Prinzips und alles aus ihm Prinzipiierbaren keine ausdrückliche Rolle mehr zu spielen. Vielmehr geht es hier doch um Geschichte und Beziehung. Geschichte und Beziehung sollen indessen begriffen werden54, und sie werden begriffen durch die Elemente, die dem Denken als seine eigenen Grundelemente im Bestimmen des Seienden aufs Prinzip hin unterliefen. Sie sind, was das Seiende ist. Beziehung und Geschichte sind Spannung dieser Elemente, Aufhebung ihrer Einheit, aus der sie jedoch in neue, vermittelte, endgültige Einheit zurückstreben, das Seiende also restituieren, das jetzt aber nicht mehr „pantheistisches“ Einerlei von Gott und Welt bedeutet55, sondern das einend-unterscheidende Zugleichbestehen beider. Beziehung ist also gedacht, gedacht als Selbststand der Bezogenen, gedacht aber aus der Struktur des Seienden heraus, vom Modell der Gegenständlichkeit her.


  1. vgl. bes. XI 297 u. 363. ↩︎

  2. Vgl. XI 362: „das Subjekt zum Attribut“. ↩︎

  3. XIII 77. ↩︎

  4. XIII 74. ↩︎

  5. S. XI 360/61, vgl. auch XI 295. ↩︎

  6. S. XI 295 Anm. u. 296. ↩︎

  7. XI 304. ↩︎

  8. „Der Begriff des Seienden muß also erzeugt werden“ (XIII 77). ↩︎

  9. XI 330. ↩︎

  10. Vgl. XIII 66/67 u. 69/70. ↩︎

  11. Vgl. XI 362/63, ferner XI 335: „die Usia, die Substanz, das Subjekt ist eben das Warum der Philosophie, das Einzige, um dessen willen sie ist, und das ihr ganz Eigne“. ↩︎

  12. Vgl. XI 296/97. ↩︎

  13. Vgl. XI 297/301. ↩︎

  14. Vgl. 301. ↩︎

  15. Vgl. 302 ↩︎

  16. Ebd. ↩︎

  17. XI 325, vgl. 352 Anm. 3. ↩︎

  18. XI 302. ↩︎

  19. XI 330, vgl. zum experimentellen Charakter der Methode reinen Denkens 326 u. 329/30 im Ganzen. ↩︎

  20. XI 302. ↩︎

  21. S. XI 327/28. ↩︎

  22. 328. ↩︎

  23. Hierzu XI 320–339. ↩︎

  24. S. 327. ↩︎

  25. S. 326. ↩︎

  26. Vgl. hierzu 326 u. auch XI 301. ↩︎

  27. XI 326. ↩︎

  28. Vgl. 327. ↩︎

  29. Vgl. ebd. ↩︎

  30. XI 305, vgl. 312, 318. ↩︎

  31. Vgl. XI 318. ↩︎

  32. Vgl. XI 323/24, 328/29. ↩︎

  33. Vgl. XI 313, 317, 331. ↩︎

  34. S. XI 313. ↩︎

  35. XI 331, vgl. 587. ↩︎

  36. XI 355. ↩︎

  37. Vgl. III 365, 369–372; für das Identitätssystem s. z. B. IV 347, 361–372. ↩︎

  38. XI 376. ↩︎

  39. Vgl. XIII 66–71. ↩︎

  40. XI 360. ↩︎

  41. XI 366. ↩︎

  42. S. XI 365/66. ↩︎

  43. Vgl. XI 365. ↩︎

  44. XIII 204. ↩︎

  45. XI 387. ↩︎

  46. Vgl. XI 386–408 im Ganzen, s. bes. 387 Anm. ↩︎

  47. XI 386. ↩︎

  48. Vgl. XI 399–402. ↩︎

  49. XI 365. ↩︎

  50. S. hierzu XIII 69/70. ↩︎

  51. Vgl. XI 255, XIII 192, XIV 234. ↩︎

  52. Vgl. z. B. XIII 352/53, 364. ↩︎

  53. Vgl. XIII 152. ↩︎

  54. Vgl. XIV 12. ↩︎

  55. Vgl. XI 366, 373. ↩︎