Wie im Himmel so auf Erden

Der „springende Punkt“: Gott und sein Wille

Auf diesem Hintergrund kommt die Vaterunser-Bitte zum Leuchten: „Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden.“ Das Problem des Zusammenhangs zwischen Himmel und Erde ist nicht in einem neutralen Es, sondern nur im konkreten Du des lebendigen Gottes, unseres Verhältnisses zu ihm zu lösen. Und in diesem Verhältnis kommt alles darauf an, daß Gott Gott bleiben, Gott unser Gott sein und - im Blick auf unsere Gottferne gesprochen - „Gott werden“ darf. Gott ist der Lebendige, der Wollende, jener, der von sich aus ein Ja sagt, das nur mit einem Ja beantwortet werden kann. Dieser Wille ist so mächtig, daß von ihm her schon unwiderrufbar und vom Menschen unzerstörbar Heil gewirkt ist. Doch nur im Eintreten In dieses Ja Gottes, nur in der Annahme dieses Willens, und, durchaus im Sinne Jesu gesprochen, im Tun des Willens Gottes erreichen wir den Eintritt In diese neue Wirklichkeit der Herrschaft und des Reiches Gottes (vgl. Mt 7,21; 12,50; Mk 3,35; Mt 21,31; 26,42).

[90] Nur wenn wir nach Gott fragen, nach dem lebendigen Gott, und nur wenn diese Frage nicht eine Frage an unser Bescheidwissen, sondern an unsere ganze Existenz wird, eine Entscheidungsfrage an uns selbst, die uns zugleich zum Annehmen des Willens Gottes und zum Handeln nach dem Willen Gottes herausfordert, können wir die Frage nach der Zukunft des Menschen und der Welt lösen, besser: das Unsere zur Lösung dieser Frage beitragen. Wenn Gottes Wille in uns lebt, wenn er der Wille unseres Willens wird, dann ist die unüberholbare Unterschiedenheit zwischen Gott und Geschöpf gewahrt. Gott ist allein Gott, allein maßgeblich, er ist eben, der er ist. Aber indem dieser Wille Gottes, der „Ja“ zu uns und zum Ganzen heißt, in uns lebt und wirkt, wird Gottes Leben in der Tat unser Leben, werden wir ihm Partner, werden wir in unserer von dem Willen Gottes inspirierten und durchdrungenen Freiheit mit ihm eins, ihm gleich. Gott und Menschgeraten, unbeschadet ihres Unterschiedes, in die innigste Gemeinschaftmiteinander, in die Gleichung, auf die hin unser Wesen angelegt ist. Und so werden Gottes ihm vorbehaltene Zukunft, die nur er uns zu öffnen hat, und diese Erde nicht vermischt und vermengt, und doch kann der Himmel auf die Erde, die Erde in den Himmel kommen: Wie im Himmel so auf Erden. Die ganz Nüchternheit und Bescheidenheit des Glaubens an das kommende und nur von Gott her kommende und zu vollendende Reich Gottes verbinden sich mit jener unbegrenzten Zuversicht, die uns der Geist in Jesus erschließt.