Das Wort für uns

Der Vater verherrlicht den Sohn, der Sohn verherrlicht den Vater

Ausdrücke wie Worte und Herrlichkeit im Blick auf Jesus machen fürs erste uns Heutigen etwas zu schaffen. Wir schauen Gott und seine Wahrheit lieber im unmittelbar Menschlichen an. Und mehr als solche großen, bildhaften Begriffe und Symbole sagen uns die menschlichen Haltungen und Handlungen unseres Bruders Jesus. Dennoch sollten wir nicht darauf verzichten, von diesen menschlichen Handlungen und [39] Haltungen her die großen Worte und Zeichen der Schrift für uns neu zum Sprechen kommen zu lassen.

Jesus ist Wort des Vaters: heißt das nicht einfach, daß in seinem Fordern und Rufen, in seinem Verzeihen und Heilen, in seiner Hingabe und seinem Verstummen, in seiner Gelassenheit und seiner Leidenschaft, in seinem Sterben und Auferstehen uns etwas, ja alles von Gott gesagt ist, ja daß darin Gott sich uns selber ganz und gar zu- und ausspricht? Gott hat nichts anderes zu sagen, als was wir an Jesus ablesen können.

Und genauso dynamisch wie dieses Wort vom „Wort“, genauso geschehend und beschenkend können wir auch das andere erfahren, jenes, was in der österlichen Formel von der „Herrlichkeit“ uns gesagt ist. Im Johannesevangelium spielt eine beinahe noch größere Rolle als das Wort Herrlichkeit das Zeitwort „verherrlichen“. Das ganze Leben Jesu wird dort vorgestellt als die eine und einzige Bewegung, in welcher der Sohn den Vater verherrlicht. Und die andere Seite derselben Bewegung: der Vater verherrlicht den Sohn. Nicht der Sohn nimmt sich selber die [40] Herrlichkeit, sondern er läßt sich vom Vater alles schenken, die Verherrlichung des Sohnes ist ganz und ausschließlich Tat des Vaters.

Wie können wir das verstehen? Wir alle streben nach etwas wie Herrlichkeit, will sagen nach Glanz, nach Strahlkraft, nach Geltung, nach Reichweite unseres eigenen Wesens über uns selbst hinaus, nach „Ankommen“ bei den Mitmenschen, in der Öffentlichkeit. Der Mensch braucht, so scheint es, diesen Umkreis, diesen Strahlenkranz, diese Peripherie, in welcher er sich selber als Mitte wohlzufühlen vermag.

Aber da setzt doch auch die Not ein. Wenn ich meine Herrlichkeit suche, wenn ich mich zur Geltung bringen will, dann fange ich bereits an, mich um mich selber zu drehen und so insgeheim mich in mir selber zu verschließen. Ich konzentriere alles auf mich, und im Streben danach, Mittelpunkt zu sein, gerate ich entweder in Konflikt oder in Isolation, allenfalls kommt es zum Kompromiß einer halben oder weniger als halben Herrlichkeit, die ich mit meinen Rivalen recht und schlecht zu teilen habe.

Doch da setzt Jesu Leben das Gegenmodell. Ihm geht es nicht um sich selbst, er sucht nicht [41] sich selbst, er will nicht der Mittelpunkt sein. Sondern Mittelpunkt ist ihm ein anderer, der Vater. Den Vater groß sein lassen, den Willen des Vaters zur Geltung bringen, aus diesem Willen des Vaters leben Stunde für Stunde und Augenblick für Augenblick, das ist der Inhalt seines Daseins. In Jesus ist das Ringen um die Selbst-bestätigung, das Durchziehenwollen der eigenen Lebenslinie um jeden Preis abgebrochen und verwandelt in die Hingabe, die alles einem anderen, alles dem Vater überläßt. Er lebt nicht für sich, sondern für ihn. Und dies bis zur äußersten Tiefe, bis zum stummen, nicht mehr begreifenden Gehorsam am Ölberg und am Kreuz. Er gibt sich in das Schweigen des Vaters hinein. Nur du, nur was du willst, nicht was ich will!

Und genau dort, wo die ganze Torheit, die ganze Ohnmacht, die ganze Absurdität dieses Von-sich-selber-Wegseins, dieses Verzichtes auf die Herrlichkeit, dieses Daseins nur für die an-deren offenbar wird, am Kreuz, wo dieses Verherrlichen das unbedingte Ausmaß des Todes-gehorsams annimmt, in welchem Jesus und der Vater zugleich zu verschwinden drohen: gerade dort wird offenbar, daß auch die Gegenbewe- [42]gung eine unendliche, unbedingte ist. Der Vater verherrlicht ihn. Auf dem Antlitz des Getöteten erscheint die Herrlichkeit Gottes.

Ostern bestätigt es: Das ganze Leben Jesu ist nicht nur der Weg des Sohnes zum Vater, sondern auch der Weg des Vaters zum Sohn und mit dem Sohn. Auch wenn der Vater den Sohn in den Tod schickt, schickt er ihn dorthin, wo er, der Sohn, selbst „Vater der neuen Schöpfung“ wird, wo er selbst aus dem Nullpunkt der absoluten Niedrigkeit in seinem Ja und Du dem Vater den Anfang einer neuen, erlösten Menschheit schenkt. Denn in der äußersten Niedrigkeit des Sohnes ist alles Niedere, alles Dunkle, alles Gegengöttliche hineingenommen ins Leben Gottes, hineingenommen in die Lebensbewegung des Sohnes zum Vater hin, in die verherrlichende Hingabe. Und so ist es zugleich fähig, Ausdruck der Liebe Gottes und Stätte seiner Herrlichkeit zu werden.

In der selbstlosen Hingabe Jesu, in seinem grenzenlosen Verherrlichen wird offenbar, wer der Vater ist: Er selber ist Verherrlichen, er selber ist Sich-Weggeben, Sich-Wenden über sich selbst hinaus, Sich-Verschenken. In diesem Wi- [43]derspiel von Verherrlichen und Verherrlicht-werden zwischen Vater und Sohn im einen Geist geht die neue Wirklichkeit, die endgültige Wahrheit Gottes auf. Weder die egoistische Einsamkeit, die alles auf sich zentriert, noch die tragische Einsamkeit, die heroisch alles leistet, ist göttliches Grundmaß des Menschen, sondern die Gemeinschaft, in welcher das gegenseitige Du-Sagen der Liebe gilt, in welcher der eine den anderen groß sein läßt. Dies ist das Leben Gottes selbst, und dies ist zugleich das Leben des Menschen.