Bildung und Bistum
Der Vorgang der Bildung*
Wie verhält sich nun diese Sicht auf das Bistum zur leitenden Frage nach der Bildung? Ich bin überzeugt: Bistum ist ein Realsymbol von Bildung. Fragen [20] wir nach einem ihrem Anspruch gemäßen Begriff von Bildung, so stoßen wir wiederum auf jene Strukturmomente, die wir im Blick auf das Bistum in den drei Dimensionen entfaltet haben.
Bildung geschieht dort, wo das Ganze im Einzelnen und der Einzelne über das Ganze ins Bild kommt: Das Ganze will auf diese Weise präsent werden. Reduziert sich der Einzelne auf das bloße Funktionieren, so daß er zwar weiß, wie es geht, den Zusammenhang aber aus dem Blick verliert, kommt der Bildungsvorgang nicht in seine Helle, denn stets geht Bildung vom Ganzen aus: Das Ganze ist im Einzelnen gegenwärtig.
Bildung kann sich auch nicht auf formale Qualifikation zur Kenntnis im Repetierbaren beschränken, damit Inhalte jederzeit abfragbar seien: Solches Verständnis depotenzierte den zu Bildenden zum bloßen Objekt von Bildung und unterböte so deren eigenen Anspruch. Bildung, die auf das Ganze aus ist, beansprucht auch ganz und ist gerade so Bildung: Das Ganze wird wirksam, indem es im Menschen etwas ausrichtet; gebildet ist der Mensch, der sich selber bildet. Erst das Wirksamwerden des Ganzen in ihm und durch ihn schließlich bekundet Bildung, die in diesem Sinne wesentlich plastisch ist. Auf diese Dimension der Bildung verweist das griechische Verb plassein (bilden), welches das aktive Formen von Lehm und Ton konnotiert: Etwas findet in seine Form, indem es die Dimension des Greifbarwerdens und Greifens, also des Angehens und des Handelns, gewinnt, somit aber über sich selbst hinausreicht. Das Geformte hat eine wesentliche Potentialität des Formens in sich.
Wird das Ganze aber in dem Einzelnen gegenwärtig, baut dieser jenes mit anderen auf: Er ist immer nur mit anderen im Bilde über das Ganze und hat so am Ganzen teil; der Einzelne wird nur in Partnerschaft mit anderen zusammen seine Verantwortung für das Ganze übernehmen können. Der Bildungsvorgang gewinnt im Blick auf die erste, im Nachdenken über den Canon 369 eröffnete Dimension seine Kontur: Das Ganze wird im Einzelnen gegenwärtig; das Ganze kommt in seine Fülle, indem es den Einzelnen ganz beansprucht und zum Ganzen befähigt; der Einzelne und die Einzelnen fügen sich ins Ganze.
Bildung ist stets einer Gegenwart des Ganzen verpflichtet, das sich von sich her unverfügbar in einer epochalen Gnadengestalt eröffnet und gewährt. So aber stiftet das Ganze geschichtlich Einheit, Zusammenhang. Jede Zeit hat ihre [21] spezifische Botschaft, welche zu thematisieren – ob ausdrücklich oder unausdrücklich – sich jedem, der am Bildungsvorgang teilhat, auferlegt. In einer solchen Sicht können auch die konkreten Inhalte, die dem Einzelnen im Bildungsvorgang aufgegeben sind, die Dignität des Symbols gewinnen: Indem der Einzelne sich als er selbst zu ihnen verhält, findet er seine Relation zum Ganzen. In solche Relationalität freilich ist nicht aus einsamem Verhältnis zum Ganzen und den je konkreten Inhalten vorzustoßen, sondern der Raum der Bildung ist der Raum des Gespräches, der Kommunikation: der gemeinsamen Teilhabe an Welt und Teilgabe von Welt. Die drei Elemente: die unverfügbare, einheitstiftende Gewähr des Ganzen, der symbolische Charakter der Inhalte der Bildung und die Kommunikation kommen in der Achtsamkeit auf die im Canon 369 eröffnete zweite Dimension in Blick, die Botschaft, Sakrament und Gemeinschaft als wesentliche Momente des Bistums herausstellte.
Wir finden schließlich in der bedachten kirchenrechtlichen Bestimmung des Bistums auch einen Verweis auf die Grundform von Bildung: den Zusammenhang. So hat der Bildungsvorgang die Einzelnen zusammenzuführen und ihnen ihren Ort gerade angesichts der Gegebenheit des Ganzen anzuweisen: Wer sich bilden läßt, auf den kommt etwas zu; er ist rezeptiv vor aller Produktivität. Wer nur produktiv ist, ohne zu empfangen, findet seinen Ort im Ganzen nicht; aber das Ganze muß doch re-produziert werden – nicht im Sinne einer bloßen äußerlichen Repetition, sondern in einer dynamischen und steigernden Wiederholung, welche in der Gegenseitigkeit des Gespräches Neues werden läßt.
Es zeigt sich: Bistum ist das Realsymbol von Bildung. Der Bildungsvorgang kann im Blick auf das Bistum in seine Gestalt finden. Wie aber läßt sich die Kontur dessen ausmachen, welcher zugleich Adressat und Subjekt dieses Geschehens im Raum von Bistum ist?