Glaubwürdig die Botschaft Jesu Christi leben
Der Weg Jesu: Annahme, Hingabe, Übernahme
Bleiben wir noch einen Moment dabei, wie denn diese Musik aussieht oder wie ich denn erkenne, daß der Geigenbogen Jesus und das Instrument Ich zueinander passen. Im ersten Teil war es so, daß ich die verschiedenen Fragen nach dem „Eigentlichen“ zusammenstellte, und im zweiten frage ich, was bedeutet es, mit diesem Jesus Christus ins Spiel zu kommen. Die drei Stichworte, die zunächst sehr spröde klingen, heißen: 1. Annahme, 2. Hingabe, 3. Übernahme.
[7] 1. Annahme
Es ist für den Menschen heute oft recht schwierig, sich anzunehmen, die Welt anzunehmen: „Warum muß ich so sein? Warum muß ich in dieser Welt leben? Warum muß ich unter diesen Bedingungen leben? Warum in dieser Gesellschaftsordnung? Warum mit diesen geringen Chancen? Warum bin ich in ein solches Elternhaus hineingeboren? Warum bin ich in einer solchen Kirche? Warum?“ Sich annehmen ist ungeheuer schwierig. Denn wir sind alle immer wieder versucht, uns einfach davonzulaufen, von uns selber wegfliehen zu wollen, uns nicht annehmen zu wollen.
Nicht zu allem Ja und Amen sagen, meint Annahme. Ich kann im Grunde auch nur dann etwas verändern, wenn ich es annehme. Wenn ich sage: „Mit dem will ich nichts zu tun haben“, dann kann ich es nicht verändern, dann bleibt es wie es ist und wird gerade übermächtig. Ich kann nur das verändern, was ich im Grunde angenommen habe, auf was ich mich eingelassen habe, was ich nicht einfach weggeschoben habe. Auch wenn ich sage, es geht um Veränderung von Verhältnissen, auch dann ist ganz entscheidend die Annahme. Es geht nie ohne Selbstannahme und grundsätzliche Annahme dessen, daß ich geboren bin, daß ich mir nicht vom Nullpunkt an meine Freiheit geben kann, sondern daß Freiheit Antwort ist, wie wir es auch an Jesus sehen. Jesus, das heißt nicht, daß da irgendein Mensch gelebt hat, der sich schöne Gedanken gemacht hat, wie die Welt noch schöner aussehen könne. Jesus, das heißt vielmehr, daß da einer existiert, der bewußt Mensch geworden [8] ist, den man danach gefragt hat, und der gesagt hat: „Ich sehe, wie das geht, ich sehe die ganze Misere, die in dieser Welt ist, ich sehe alle Abgründe, ich sehe, was sie mit mir machen werden, und ich sage ‚Ja‘!“ Diese Annahme, in der er sein Leben angenommen hat und uns angenommen hat, ist das Entscheidende. Er weiß, was für Leute wir sind, und er nimmt uns an, er kehrt nicht um vor uns. Er sagt ein unaufkündbares Ja: Annahme.
- Hingabe
Das zweite ist Hingabe, sich einsetzen für. Nicht einfach nur fragen, „wieviel habe ich davon?“ Verstehen Sie mich nicht falsch, ich polemisiere nicht gegen Selbstverwirklichung, ich polemisiere nicht gegen Selbstfindung und Selbstrealisierung. Aber wenn ich immer nur sage „ich, ich, ich“ dann bekomme ich nicht den Atem, um mich wirklich zu finden.
Das Licht, das seinen Strahl nur auf sich selber zurückbeugt, löscht sich aus. Ich kann nur hell sein, ich kann nur meine eigene Licht-Qualität entfalten, wenn ich über mich hinausstrahle, wenn ich von mir weggehe, wenn ich mich einsetze, wenn ich nicht aus Angst zurückschrecke, wenn ich die Angstschwelle überwinde, wenn ich mich ins Spiel bringe, wenn ich nicht den „Schnabel halte“, sondern mich aussetze, auch mich für jemanden verwundbar mache, indem ich mich engagiere. Ohne dieses Sich-aussetzen, ohne dieses Hingeben, ohne diese Paradoxie des Verhältnisses, in dem der Strahl zur Lichtquelle steht, ohne das geht es nicht. Sich finden, ja aber sich finden im Sich-geben. Das können wir nicht halbieren: „Zuerst muß ich mich finden, dann kann ich mich geben.“ Oder: „Ich muß einfach alles geben und darf nur ‚Harakiri‘ machen, ich darf nicht nach mir selber fragen.“ Es ist eben dieser doppelte Rhythmus: Nur indem ich aufbreche, finde ich mich. Jesus sagt nicht: „Verliert Euch!“ und Punkt!, sondern: Nur der findet sich, der sich verliert. Beides gehört zusammen.
Jesus hat das Wagnis der Hingabe gelebt: Er hat keine Angst gehabt, sich auszusetzen, sich unkenntlich zu machen, sogar den öffentlichen Beweis dessen zu erbringen, daß er gescheitert ist. Er hat riskiert, sich hinzugeben. Nur derjenige, der dies tut, nur der ist ganz Mensch. Nur der stößt mit Jesus vor bis zu Ostern.
Ich finde es begeisternd, wenn man bei Menschen, die vielleicht sehr autistisch und sehr selbstbezogen sind, und bei Jugendlichen, die verbittert sind, ganz [9] kleine Zeichen, ganz kleine erste Zeichen des Daseins-für entdeckt. Es ist sehr wichtig, daß diese behutsam gepflegt werden und |den Jugendlichen | von uns her auch jene innere Anerkennung, jene innere Zustimmung spürbar wird, durch die sie sich finden und Mut finden, sich zu geben.
- Übernahme
Das dritte, was Jesus tut, hängt nahe mit dem ersten und zweiten zusammen, er übernimmt uns. Er lebt nicht für sich, sondern er übernimmt mit uns, für uns unser Menschsein. Er ist einer, der für uns lebt, der unser Menschsein lebt, der an unsere Stelle tritt. Stellvertretung für den anderen, nicht „Ohne mich“, nicht „Das habe ich nicht getan“, nicht „Sieh du zu“, sondern die Lage der anderen, das Schicksal der anderen adoptieren, Verantwortung übernehmen. Mut zur Verantwortung in Gesellschaft und Kirche, Mut zur Verantwortung in der Familie, Mut zum Übernehmen des anderen. Ich glaube, derjenige, der sich annimmt, derjenige, der sich einsetzt und gibt, derjenige, der übernimmt, der ist im vollen Sinn Mensch und der allein findet sich und lebt den „Grundriß Christi“, der diese drei Bewegungen vollzogen hat. Christus finden, sich in Christus finden und die Welt in Christus finden, das geschieht in diesem dreifältigen Rhythmus, und hier scheint mir über alle Unterschiede hinweg der Punkt zu sein, der Punkt, an dem wirklich wir die christliche und kirchliche Orientierung der Jugendarbeit festmachen. Nicht zuerst fragen: „Wieviel Normen, wieviel hat das Amt in der Kirche zu sagen? Und wieviel haben die anderen zu sagen?“ Das spielt eine Rolle, aber wir dürfen doch nicht einfach das Ganze in einer tragischen Zweiteilung sehen: „Wieviel kann ich selber organisieren und wieviel wird mir von außen vorgegeben – und wie kann ich da schließlich die Fronten verschieben?“ Wenn das der Ansatz ist, dieser duale Ansatz, nur das Ich auf der einen Seite und alles andere und die Institutionen auf der anderen Seite, dann sind beide im vorhinein zerbrochen. Das wäre wirklich eine bedrückende Kirche, die so vorginge, und eine bedrückende Gesellschaft, aber das wäre auch im Grunde ein Ich, das innerlich zerbräche.