Christliche Spiritualität in einer pluralistischen Gesellschaft

Der Weg: Nachfolge und Unterscheidung

Auf welchem Weg erbildet sich das Maximum, das die Mitte bestimmbar macht? Die beiden Richtungen hei- [96] ßen: Nachfolge und Unterscheidung. Nachfolge, die zur Gemeinschaft des Glaubens führt, zum Beieinanderbleiben um den, der verheißen hat, durch seinen Geist in der Mitte zu bleiben; Unterscheidung als Unterscheidung der Geister, Ausschluß von falschen Deutungen, von Verkürzungen und Verkennungen der Mitte.

Die beiden Zugangsfragen lauten also: Wozu bekennt sich die Gemeinde, wenn sie sich zu Jesus bekennt? Wogegen wendet sich die Gemeinde, wenn sie den lauteren Ursprung wahren und schützen will? Das ist zugleich der „Sitz im Leben“ für die Glaubens- und Bekenntnisformeln des Neuen Testaments und für die theologischen Reflexionen, die das Neue Testament im ganzen durchziehen.

Es ließe sich aufweisen, daß von Anfang an zwei Grundmißverständnisse im Spiel waren, gegen welche die neutestamentlichen Schriften bei aller Vielfalt sich eindeutig wenden: Leistung und Gnosis. Nicht Leistung des Menschen, der von sich aus zu Gott durchstößt, der sich das Heil und die Gerechtigkeit verdient; nicht Erkenntnis des Menschen, der sich in ein göttliches Geheimnis einschwingt oder zur göttlichen Wahrheit emporläutert, aber auch nicht „Leistung“ von seiten Gottes, der durch eine Machttat sein Reich, die vollkommene Welt aufrichtet – nein, Erniedrigung und Kreuz sind der Ort, an denen Gott sein Heil, an denen Gott sich selber schenkt. Und schließlich nicht Aufleuchten Gottes in unserer Vernunft, vermittelt durch die Lichtgestalt eines überirdischen Wesens – nein, der Offenbarer ist Mensch wie wir, Gottes Wahrheit kommt in unserem Fleisch.

Wenn wir in der Spannung solcher Antithesen, die „naiven“ Gestalten des anfänglichen Bekenntnisses zu [97] Jesus als dem Herrn, zu ihm als dem Gekreuzigten und von Gott Auferweckten lesen, dann rücken sie in den unmittelbaren Kontext zu einer der spätesten, zur „maximalen“ Formel des Neuen Testaments, die uns in der Folge die Mitte des Christlichen aufschließen soll.