Der Weg zur Einheit der Christen als geistlicher Weg

Der Weg zur Einheit der Christen als geistlicher Weg

[31] In wenigen anderen Gesprächen erfuhr ich mich so unmittelbar in Pflicht genommen und weitergeführt vom Geiste Gottes, der im Vermächtnis Jesu drängt, „daß alle eins seien“ (vgl. Joh 17,21), wie in jenen, die ich mit meinem verehrten Mitbruder Dr. Kurt Schmidt-Clausen habe führen dürfen. In ihm legte sich mir die Treue zur eigenen Glaubensüberzeugung als Verpflichtung zur Offenheit, zum Hinhören auf den je anderen aus. In ihm wurde mir Geschichte als durchweht von der Unruhe des Geistes auf Einheit hin offenbar. In ihm zeigte sich mir als Wurzel der Gewissenhaftigkeit und Behutsamkeit theologischen Sprechens die Liebe zu Gottes Wort und in dieser Liebe die Liebe zum Bruder. Der reiche objektive Ertrag, den die Forschungen und Erwägungen von Dr. Kurt Schmidt-Clausen für den Weg der Kirchen und Christen zueinander brachten und bringen, gründen gleichursprünglich in seiner hohen sachlichen wie in seiner – bei dieser „Sache“ freilich davon nicht zu trennenden – geistlichen Kompetenz. Genauer gesagt: Man kann an seinem Denken und Forschen ertasten, daß der glaubende Gehorsam gegen Gottes Wort die treibende und inspirierende Kraft ist, diesem Wort in sich selber nachzugehen, es aber auch in seinen Zeugnissen zu erkennen, welche die Geschichte des Glaubens und der Glaubenden zu einem Weg des Geistes werden lassen. Und gerade so wird es möglich, in den Spuren des Geistes Möglichkeiten zu entdecken und zu entbinden, die das Getrennte zur Einheit hinführen. Die Frage der Wahrheit wird also nicht etwa pragmatisch überspielt, es werden nicht irenisch Kompromisse gesucht, die darunterliegende Unterschiede verschleiern, sondern es geht um das eine Wort, das, in den unterschiedlichen Zeugnissen lebend und bewegend gegenwärtig, so seine Geschichte, Geschichte auf Einheit zu, Geschichte der Einheit, wachsen läßt.

Die mit diesen Sätzen in biographischem Bezug skizzierte Haltung hat indessen maßstäbliche Bedeutung für den Weg der Christen und der Kirchen zueinander. Nichts anderes als die Treue zum Geist und im Geiste zum Wort und im Wort zu dem, der es spricht, kann Grund sein, mit dem andern, der sich um denselben Geist müht, an dasselbe Wort glaubt und denselben Gott Vater nennt, in etwas nicht eins zu sein. Dann aber ist der Grund, der uns voneinander noch getrennt hält, zugleich die Wurzel, die uns bereits verbindet, und die Kraft, die uns zueinander drängt und führt. Und dieser selbe Grund, diese selbe Wurzel, diese selbe Kraft schenkt auch das Licht, neu den Geist und das Wort im andern aufzuspüren und zu finden, so daß er in mir und ich in ihm bin und so das Maß des Ineinanderseins und des Inneseins in der einen Wahrheit wächst.