Franz von Baaders philosophischer Gedanke der Schöpfung
Der zweifache Weg zum Ort der Vertrautheit
Soll die vorgängige Vertrautheit des Willens mit dem Gehalt seines Entscheids erschlossen werden, so gilt es zunächst, den Ort innerhalb des menschlichen Daseins aufzusuchen, an dem sie sich anzuschauen gibt. Richtung weisen kann hierzu die Frage nach der Stellung des Erkennens im Übergang von Vertrautheit zur Entscheidung. Entscheidendes Annehmen oder Ablehnen setzt voraus, daß ich erkenne, was sich mir anbietet. Fällt das Angebot eines Gehaltes an mein Wollen demnach zusammen mit seinem Eintritt in meine aktuelle Erkenntnis? Wollen schließt ein, daß man weiß, was man will; doch schließt anderseits das Wissen auch ein, daß man das will (bzw. entschieden nicht will), was man weiß? Nur dann läßt sich das fordernde Angebot an den Willen einfachhin mit aktueller Erkenntnis gleichsetzen und die Vertrautheit vor dem entschiedenen Wollen mit jener Ruhe des Geistes, dem als Geist Erkennen zwar Wesensmöglichkeit bedeutet, der aber als noch ruhend sein Erkennbares nicht erkennt1. Die Antworten, die sich ergeben, weisen in zwei sich entgegengesetzte Richtungen.
Bezeichnend für die Situation von Angebot und Entscheidung ist, wie gesehen, das unumgängliche Entscheidenmüssen. Dies aber scheint mit dem Erkennen eines Gehaltes nicht notwendig verbunden. Ich kann schon längst einen Gehalt kennen und mit ihm umgehen, ohne daß er mich je in die Situation des Entscheidenmüssens gebracht hätte. Solchem Wissen und Erkennen eignet der Charakter des nicht Entscheidenden, sondern Beiläufigen und Selbstverständlichen. Also fallen in dieser Sicht Erkenntnis und meine Entscheidung rufendes Angebot nicht notwendig ineins, und demnach wäre der Raum der vorgängigen Vertrautheit meines Willens weiter als die unerweckte Möglichkeit des Erkennens; aktuelle Erkenntnis läge nicht notwendig außerhalb. Dies ist die eine Richtung der Antwort.
Anderseits schließt die aktuelle Erkenntnis eines Gehaltes durchgängig [19] die Möglichkeit ein, daß er sich mir zum Entscheid anbietet, was vor der aktuellen Erkenntnis ausgeschlossen war, so daß diese unverkennbar einen Schritt näher zum Angebot führt. Ja, eine Schicht tiefer und entsprechend verborgener gefaßt, ist das Erkennen, auch das beiläufige und selbstverständliche, stets Situation von Angebot und Entscheidung; denn erkennend gehe ich ein auf das Erkannte, selbst wenn es mich bezüglich der zuvor beobachteten Schicht in entscheidungsloser Ruhe beläßt. Es steht als erkannt im Horizont meines Vollzugs; es bestimmt meine Verantwortlichkeit; ich muß ich sein angesichts alles von mir Erkannten, bin insofern in entscheidendem Vollzug auf es bezogen.
Ein Beispiel: Ich kann Gedanken eines Denkers schon lange zur Kenntnis genommen haben, ohne je in eine entscheidende Auseinandersetzung mit ihnen geraten zu sein. Wenn ich aber nach diesem Kenntnisnehmen meine eigenen Gedanken zu gleichen Gegenständen denke, so bin ich darin grundsätzlich von diesem zur Kenntnis Genommenen beansprucht, ja abhängig. Es erhebt den Anspruch der Denkwürdigkeit an mich. Mein Denken heißt zugleich seiner gedenken oder vergessen – und vergessen ist dabei kein neutrales Geschehen, sondern grundsätzlich Verfehlen eines Anspruchs. Was meinem Erkennen begegnet, bestimmt meine Freiheit und fordert sie heraus. Wird dadurch die erste Richtung der Antwort rückgängig gemacht, ist es bloße Täuschung der Oberfläche, von einem Erkennen zu reden, das entscheidungslos verläuft? Nein. Denn die grundsätzliche Eröffnung der Situation von Angebot und Entscheidung in jedem Erkennen kommt nicht auch in jedem Erkennen schon beim Vollzug an. So ergibt sich als vorläufige Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis von Vertrautheit vor dem Entscheid und vor dem Erkennen: Aktuelles Erkennen eröffnet die Situation von Angebot und Entscheid und hebt darin die vorgängige Vertrautheit auf in der Ebene seinshafter Grundlegung, nicht notwendig aber auch in der Ebene des Ankommens beim entscheidenden Vollzug.
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Zum gegenseitigen Verhältnis von voluntas und intellectus vgl. Thomas v. A., Summa theologiae I qu. 82 a. 4. ↩︎