Verkündigung und Dialog

Dialog als Vorgeschichte der Verkündigung*

Der Dialog ist aber – so unsere These – nicht nur das Geschehen von Verkündigung, sondern zugleich ihre Vorgeschichte. Ehe das Wort der Verkündigung als zu glaubendes Wort Gottes eintrifft, ist es ein Menschenwort auf dem Markt der anderen Worte, wird es mit ihnen verglichen und gegen sie abgehoben. Glaube wählt dieses Wort der Verkündigung als jenes, dem es sich ganz anzuvertrauen und auszuliefern, dem es bedingungslos zu folgen und von dem es das Heil zu erwarten gilt. Dann aber hat der Glaube eben seine Vorgeschichte: Menschliche Fragen und Erwartungen suchen nach ihrer Lösung und Erfüllung, befragen das, was auf sie als Angebot oder Anspruch solcher Lösung und Erfüllung zukommt – und dahinein geschieht der Entscheid des Glaubens.

[70] Hier müssen allerdings zwei – faktisch nicht seltene, sondern, zumindest gilt dies für den zweiten, gängige – Grenzfälle in Betracht gezogen werden. Zum einen kann es geschehen, daß die Vorgeschichte des Glaubens sich zeitlich zusammenzieht auf den Nullpunkt. Da wird das Wort Gottes verkündet, es trifft einen Menschen, der sich zuvor nicht ausdrücklich mit der Frage beschäftigt hat, was die Antwort auf seine Lebensfragen sei, ja der diese Lebensfragen nicht einmal als solche hat ausdrücklich werden lassen. Aber wie im Blitz geht ihm auf: Da erreicht dich ein unabdingbarer, dich ganz und gar einfordernder, dir dich und alles schenkender Anspruch – öffne dich, sag ja! Und er tut es. Aber auch hier hat sozusagen das Wort der Verkündigung diese Vorgeschichte des Glaubens ausgelöst, die im augenblicklichen Glauben aufgehoben ist in die Geschichte des Glaubens, aber in dieser Geschichte des Glaubens zugleich bewahrt bleibt. Denn nun kann ja der Glaubende sagen: Das, was ich glaube, ist die Antwort auf die Fragen, die zu mir gehören, auf die Erwartungen, die mir eingeboren sind, auf die Linie meines Lebens, die ich bislang noch nicht verstanden habe, von der ich jetzt aber weiß, daß sie hier, im Glauben an Gottes Offenbarung ihre endgültige Richtung gefunden hat. Der Dialog zwischen den Fragen und Erwartungen des Menschen und dem, was als Anspruch der göttlichen Offenbarung auf sie zukommt, bleibt als die erfüllte Vorgeschichte in der Erfüllung selber gegenwärtig, lebt in ihr als ihre Voraus-Setzung.

Zum anderen gibt es eben jenes Hineinwachsen aufgrund von Kindertaufe und christlicher Erziehung in einen Glauben, der nicht problematisiert wird, sondern der positiv Schritt um Schritt reift. Hier läßt sich indessen im Grunde dasselbe sagen: Mit dem Glauben wächst auch seine dialogische Vorgeschichte, der Glaube wächst in jene Fragen hinein, denen er Antwort ist. Der aus dem Glauben geborene intellectus fidei ist nicht nur Nachgeschichte des Glaubens, will sagen Wirkung des Glaubens, sondern zugleich auch Erhellung und Aktualisierung seiner menschlichen Voraussetzungen. Heute wird dies oftmals als eine nachgeholte Vorgeschichte des Glaubens fällig.

Im Blick auf unsere These ist hier freilich eine Rückfrage nötig. Wir haben die Vorgeschichte des Glaubens als einen Dialog des Glaubenden oder Noch-nicht-Glaubenden mit den Angeboten und Ansprüchen von Heilsantworten betrachtet. Aber auf der Seite der Verkündigung setzt solche Vorgeschichte des Glaubens doch nichts anderes voraus als jenen immanenten Dialog, der zur Verkündigung als solcher gehört. Wieso kann dann von Vorgeschichte der Verkündigung die Rede sein? Nun, Verkündigung bereitet sich im Hinhören auf menschliche Worte und Fragen erst darauf vor, Verkündigung zu sein. Aus dem voraufgehenden Impuls des Auftrags, Gottes Offenbarung zu verkünden, läßt sie sozusagen diese Offenbarung im Rücken und beugt sich hinein in die menschliche Sprach- und Verstehens- [71] welt, um Gottes Wort dann in sie einzulassen. Der Verkündiger tut etwas, das, für sich selbst und allein, noch nicht Verkündigung wäre, indem er menschliche Worte, menschliche Fragen und Erwartungen zu verstehen und aufzuarbeiten sucht – er tut es freilich auf Verkündigung hin, um der Verkündigung willen. Dieser Prozeß braucht nicht in einer zeitlichen Zerlegung der Phasen zu geschehen, er wird oft nur als unmittelbare Übersetzung des zu verkündigenden Wortes in die Situation der Hörer stattfinden. Und doch ist die Unterscheidung der Momente in diesem Geschehen keine bloße Abstraktion; denn Verkündigung braucht Vorbereitung, Evangelisation braucht Präevangelisation, und dies um so mehr, je weniger Milieu und Kultur vom Evangelium so imprägniert sind, daß sie ihrerseits etwas wie Präevangelisation darstellen und leisten könnten. Und so gibt es für den Verkündiger eine epoché gegenüber dem zu verkündenden Wort, die nicht Unterschlagung und Verleugnung, sondern Vorbereitung der Verkündigung ist. Es gibt einen Dialog, welcher der Verkündigung auch ausdrücklich vorausliegt – im Interesse der Verkündigung. Dieser Dialog ist nicht eine taktische Veranstaltung, die nicht ernst gemeint wäre. Er ist vielmehr Mitvollzug der Bewegung des Wortes Gottes selber, das sich auf den Menschen und in seine Situation hinein einläßt, um von ihm her sozusagen zu sich selbst, zu seiner Ausdrücklichkeit emporzuwachsen. Das Aufarbeiten der menschlichen Fragen und Erwartungen aus ihrer je eigenen Perspektive, das Mitgehen mit den Menschen in ihren Fragen und Erwartungen, bis dorthin, wo Gottes Wort in den Blick zu kommen und zur Entscheidung zu rufen vermag, gehört zu einer integralen, umfassenden Verkündigung mit hinzu. Dialog als Vorgeschichte der Verkündigung – dies wird aber in solcher Perspektive deutlich als etwas, das sich nicht ablösen läßt von der Verkündigung in sich, als etwas, das nicht nur einen Zusatz bedeutet, sondern das von innen her für sie konstitutiv ist. Zur Entäußerung des Wortes Gottes gehört es, daß es sich auf den Markt der menschlichen Fragen und Meinungen wagt, um als eines unter anderen erst in seiner Einmaligkeit und Unvergleichbarkeit sich zu erschließen.