Fastenhirtenbrief 1994

Die Botschaft des Zweiten Vatikanischen Konzils

In diesem theologischen Ansatz Cyprians, den ich im dritten Jahrhundert so nicht erwartet hätte, ist im Grunde das drinnen, was die Volk-Gottes-Theologie des Zweiten Vatikanischen Konzils eigentlich uns sagen will.

Die Nahtstelle ist, wie ich schon sagte, „Lumen gentium“ Nr. 4. So wie Cyprian es definiert hat, wird hier die Kirche verstanden. Manche halten die Einheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes für eine ganz spekulative Sache. Natürlich hat diese Theologie spekulativ alle Tiefen, aber sie hat an sich den ganz praktischen Iktus der Versöhnung, jener Unzertrennbarkeit der Liebe und des Miteinander, die uns hier in der konkreten Kirche sichtbar gemacht wird. Das ist das Eigentliche, das ist das Wesen der Kirche.

In diesem Zusammenhang müssen noch im Grunde zwei oder drei Grundrichtungen in „Lumen gentium“ genannt werden. Dieses Konzil betont, daß der Mensch selber nicht nur ein Ich ist, sondern Ich und Du und Wir, weil er mit einer Compago socialis, mit einem sozialen Band geschaffen ist. Deswegen ergreift der Weg des Heils die Totalität des Menschen, seine Personalität in Individualität und Gemeinsamkeit. Deswegen gehört der Charakter von Volk, also nicht nur von privatem Glauben zu diesem Heil Gottes.

In einer zweiten Grundrichtung betont das Konzil, daß Jesus derjenige ist, in dem Gott die ganze Menschheit erlösen will. Sein konkreter Weg ist aber, daß er eine gewisse Portion, einen gewissen Teil der Menschheit schon jetzt sichtbar eint. Dieser Teil, in dem er sichtbar die Einheit darstellt und in dem er gegenwärtig ist als handelndes Subjekt in der Geschichte, ist die Kirche. Kirche ist also einerseits die Gegenwart Jesu in der Geschichte – er geht mit ihr – und ist die Gegenwart der Völker in Jesus. Kirche ist sozusagen die Ikone der erlösten Menschheit. Sie muß von uns so in die Menschheit hineingetragen werden, daß diese Menschheit daran ihre Einheit und den Glauben an den, der sie nun erlöst hat, kennenlernt. Das ist im Grunde die Ekklesiologie des Zweiten Vatikanum. Dann kann aber auch klarwerden, daß es auch so etwas wie einen hierarchischen Dienst gibt. Dieser hierarchische Dienst wird jedoch erst im dritten Kapitel dargestellt, nachdem im zweiten [49] Kapitel vom Charakter der Kirche als Volk Gottes die Rede war, wo jeder seine Gaben hat, die er dem anderen zu schenken hat. Dann erst ist die Rede von der Hierarchie, die natürlich wichtig ist. Aber die Hierarchie hat eben nur die Ordnungsfunktion, um diese Einheit zu garantieren, um die Verbindung mit dem Ursprung herzustellen. Aber es gilt festzuhalten: ursprünglich ist das Volk und jeder einzelne in diesem Volk hat seine Gaben. „Wir sind das Volk“ hat hier einen ganz neuen und anderen Klang. Das hier Gesagte ist im ganzen, wenn wir das so sehen, nichts anderes als eine strukturelle Entfaltung des Cyprian.