Trinität und Kirche

Die doppelte Leitidee

Beim ersten Zusehen mag die These, von der wir ausgingen, daß es sich nämlich bei CL um ein Dokument trinitarischer Ekklesiologie handele, erstaunen. Ist nicht mindestens genauso stark wie der Rückbezug auf die trinitarische Formel des Cyprian (Kirche als aus der Einheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes ge­eintes Volk) in Lumen gentium 4, ja eher noch stärker der Rückgriff auf die Kirche als den mystischen Leib Christi, wie ihn Paulus uns in 1 Kor 12, Röm 12 und Eph 4 darstellt? Haben wir nicht hier ein legitimes Nebeneinander zweier Grundsichten und Grundmotive, die einander nicht ausschließen, aber auch nicht einfachhin aufeinander zurückzuführen sind?

[74] Die Richtung, in welcher das Dokument selbst eine „Vermittlung“ beider Bilder und entsprechend beider Ansätze, des trinitarischen und des christologischen, vornimmt, deutet sich an in dem Bildmotiv, das zusammen mit dem Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (vgl. Mt 20,1–16) leitmotivlich den Text durchläuft: die Verbundenheit der Reben mit dem Weinstock und in ihm miteinander (vgl. Joh 15,1–8).

Lenkt indessen nicht gerade dieses Bild unseren Blick viel eher auf den christologischen Ansatz (Kirche als Leib Christi) als auf den trinitarischen (aus der Einheit des Dreifaltigen geeintes Volk)? Unser Dokument sieht jedoch das Bild vom Weinstock in der Reihe der perichoretischen Aussagen in den Abschiedsreden des Johannes (Kap. 13–17). Diese aber beschränken sich gerade nicht auf das gegenseitige Innesein Jesu und der Seinen, sondern öffnen diesen Kreis in zweifacher Richtung: Zum einen verankern sie dieses gegenseitige Innesein der Glaubenden und des Herrn im gegenseitigen Innesein des Herrn als des Sohnes im Vater und des Vaters im Sohn, zum an­dern ziehen sie die Linien aus zum gegenseitigen Innesein der Glau­benden, die, durch Jesus Christus und in ihm geeint, so aber wie­derum zum Bild und zur Gegenwart der dreifaltigen Liebe werden. Das gegenseitige Innesein des Herrn und der Jünger wird so begründet im trinitarischen Innesein des Vaters im Sohn und des Sohnes im Vater durch den Geist, und es vollendet sich zugleich in jenem Eins­sein der Jünger miteinander, das als Maß und Grund wiederum die Trinität hat. Mit unserem Dokument muß die Bildrede von Weinstock und Reben hingelesen werden auf Joh 14,20: „An jenem Tag werdet ihr erkennen: Ich bin in meinem Vater, und ihr seid in mir, und ich bin in euch.“ (Vgl. CL 8). Zugleich wird das Bildwort aus Joh 15 immer wieder in unserem Dokument geöffnet auf die Aussagen über das Einssein in Joh 17 (vgl. Joh 17,11 und 17,21–23; vgl. CL 12, 18, 31, 54, 64). Ein Schlüsseltext des gesamten Dokumentes ist die Nr. 18. Zitieren wir aus ihr den für unseren Kontext entscheidenden Abschnitt:

„Vorbild, Quelle und Ziel der Gemeinschaft der Christen mit Jesus ist die Gemeinschaft des Sohnes mit dem Vater in der Hingabe des Heiligen Geistes. Durch das Liebesband des Geistes Christi vereint, sind die Christen mit dem Vater geeint.

Jesus fährt fort: ‚Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben‘ (Joh [75] 15,5). Aus der Gemeinschaft der Christen mit Christus ergibt sich ihre Gemeinschaft untereinander: Alle sind Reben des einen Weinstocks, der Christus ist. Der Herr Jesus deutet uns diese brüderliche Gemeinschaft als leuchtenden Widerschein des Lebens und der Liebe des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, an dem alle Getauften auf geheimnisvolle Weise teilnehmen. Um diese Gemeinschaft betet Jesus: ‚Alle sollen eins sein, wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, daß du mich gesandt hast‘ (Joh 17,21).

Diese Communio ist das eigentliche Geheimnis der Kirche, wie das II. Vatikanische Konzil es uns mit dem berühmten Wort des heiligen Cyprian in Erinnerung ruft: ‚So erscheint die ganze Kirche als das von der Einheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes her geeinte Volk‘.“

Es geht in CL also um die innere, theologische Synthese einer christozentrischen und einer trinitarisch orientierten Ekklesiologie.