Einleitung zum Dokument: Der priesterliche Dienst

Die dynamischen Grundkategorien: missio und communio

Dem Verständnis der Synodenaussage dient es, zunächst in Abhebung vom Text das Gedachte seines Gedankens aus sich [16] zu entwickeln. Wenn daraus ein angemessenes, vom Text gedecktes Verständnis seiner unmittelbaren Aussage erwächst, ist die „Deutung“ gerechtfertigt.

Missio und communio, Sendung und Gemeinschaft, haben in sich eine je polare Bestimmung. Missio als Sendung enthält eine doppelte „Transzendenz“. Wer gesandt ist, schließt sich nicht in sich, er versteht sich nur von seinem Woher aus und auf sein Wozu hin. Er ist die „Aussage“, ja das „Ereignis“ dessen, daß das entsendende Woher und das zielhafte Wozu seiner Sendung zusammengehören, daß dieses Zusammengehören aber nicht selbstverständlich ist, und schließlich daß dieses Zusammengehören seinen ursprünglichen Ort in der Intention des Woher hat. „Sendung“ im theologischen Kontext, konkret gar: im Kontext der Priesterfrage, umgreift die Sendung Christi, der Apostel, der Kirche und der Priester. Im Begriff der Sendung werden die genannten „Größen“ in eine dynamische Einheit der Bewegung ihres Seins hineingestellt. Für alle diese „Größen“ gibt es, auf Grund der jeweils für sie konstitutiven Sendung, dynamisch identische Momente. Sie lauten, in Christus angeschaut: nicht von mir, nicht für mich, sondern vom Vater für die Welt; darin aber mit dem Vater und mit der Welt; letztlich sogar: der Vater in mir, die Welt in mir – denn das eigene Ich bedeutet: der Vater selbst ist für die Welt.

Darin ist für das Verständnis von Sendung Entscheidendes mitgesagt: Einmal bedeutet Sendung einen radikalen Außenbezug, eine fundamentale Hinwendung zur Welt. Kirche, die von ihrer Sendung her verstanden wird, kann konsequenterweise nie weltlos verstanden werden, Ekklesiologie ist nie Endstation; und daß sie keine Endstation ist, ist gerade eine ekklesiologische Aussage. Sein bei der Welt, Ankunft bei der Welt, das sind nicht Konzessionen und Kompromisse, nicht bloße Zutat und Anpassung; denn es kommt beim Gesandten eben darauf an, daß er ankommt, dies ist der Sinn von Sendung.

Ebenso ursprünglich gehört freilich das Ärgernis der Unterscheidung zur Sendung hinzu. Denn Ankommen in sich wäre nichts ohne die Spannung, daß das Andere, Unselbstverständliche ankommt. Sendung ist unverfügbar, sie lebt aus dem sendenden Ursprung; und es ist gerade die „Demut“ und „Wehr- [17] losigkeit“ des Gesandten, daß er nicht sich vertritt, sondern einen anderen, der in ihm wirkt und mächtig ist. Nur wer den Gesandten hin auf den Ursprung liest, hat den Sinn von Sendung verstanden.

Missio impliziert so aber eine doppelte communio, die zur Einheit einer einzigen communio werden will. Der Gesandte ist dazu gesandt, mit denen zu kommunizieren, zu denen er gesandt ist. Er darf dabei aber – dies ist die konstitutionelle Spannung seines Gesandtseins – die communio mit dem nicht aufgeben, der ihn sendet. Denn Sinn seiner Sendung ist nicht bloß communio mit denen, denen die Sendung gilt, und auch nicht bloß communio mit dem entsendenden Ursprung, vielmehr die Ermöglichung der communio zwischen dem Ursprung und denen, für die er sendend da sein will.

Die gezeichnete Struktur ist die der Eucharistie. Der Vater sendet den Sohn in jene Hingabe, die zugleich die innigste communio des Sohnes mit dem Vater in der radikal gehorsamen Hingabe seiner selbst und in der Hingabe desselben Selbst für das Leben der Welt bedeutet. In der communio mit Christus und durch ihn mit dem Vater stellt sich die Gemeinschaft der Gläubigen, selber communio geworden, in die Sendung Jesu hinein, sie wird sein Leib für das Leben der Welt, damit die Welt selber mehr und mehr in diese communio hineingezogen werde.

Hier ist ein – durch die Hingabe Jesu konstituiertes und für Eucharistie konstitutives – weiteres Strukturmoment der Sendung berührt, die für die Kirche kennzeichnend ist. Sendung führt zur communio, die ihrerseits jeweils wieder Sendung bedeutet, weil sie radikale communio, communio mit Gott ist, der selber der Sendende, will sagen: der Liebende, der selber die Liebe ist. Die Unverfügbarkeit der Liebe, ihre freie Ursprünglichkeit, die den wahren Sinn von Autorität, von Hoheit, von Vollmacht aufdeckt, gibt, communio stiftend, sich selbst in dieser communio nicht nur preis, sondern auch teil.

Damit ist aber deutlich, daß Sendung in einer aus ihrem Ursprung her unverfügbaren Ordnung zur Grundstruktur der Kirche gehört, gerade weil ihr Wesen communio ist, communio, die sich aber ihrerseits ebenso wie missio doppelt transzen- [18] diert; denn communio ist – als gegenseitige, „innige“ Gemeinschaft – zugleich communio mit dem sendenden Ursprung und mit denen, denen sie ihn und damit sich zuteil gibt.

Wenn die Spannung und die gegenseitige Implikation der Begriffe missio und communio für den Auftrag Christi und der Kirche akzeptiert wird – und wie anders soll Christus und Kirche verstanden werden können? –, dann resultieren hieraus entscheidende Konsequenzen für die innere Fügung der Kirche. Strukturmodelle, die sich auf einen der beiden Pole missio – communio allein stützten, um ein geschlossenes System daraus zu entwickeln, könnten nicht die ganze Wirklichkeit von Kirche einfangen. Sie verkürzten sogar und gerade auch den Pol, den sie zum Strukturprinzip erheben. Eine bloß von der missio als der hoheitlichen Sendung her gesehene Kirche, eine Kirche, die nur in der Abfolge einander tragender Sendungen ihre Wesensbestimmung hätte, eine Kirche, von der nichts anderes zu sagen wäre, als daß sie „hierarchisch gegliedert“ ist, brächte sich gerade um den in der missio notwendig und konstitutiv enthaltenen Außenbezug, um den Dienst an der Welt und für die Welt. Umgekehrt aber gilt nicht minder, daß eine nur als communio, nur als Gemeinde von unten her konzipierte Kirche, in der dann bestenfalls unvorhersehbar der Impuls oder die Sache Jesu weiterlebte und je neu sich artikulierte, sich um beide Dimensionen der communio brächte. Nicht nur die Unverfügbarkeit des ein für allemal in einer geschichtlichen Stunde gekommenen und sich in den Bahnen geschichtlicher Existenz weitergebenden Jesus Christus drohte in die Jeweiligkeit der punktuellen Gemeinschaft hinein unterzugehen. Diese Gemeinschaft selbst drohte sich in sich zu verschließen; communio aller Gemeinden und communio mit der Welt fielen aus ihr weg.

Das Synodendokument macht in diesem Zusammenhang fundamentale Aussagen, die den Hintergrund für ihr Verständnis priesterlichen Dienstes erhellen. Im Kollegium der Apostel – dessen Verständnis für die Ekklesiologie grundlegend ist – sieht der Text bereits einen doppelten Aspekt anwesend: die communio im Geist und den Ursprung hierarchischen Amtes (vgl. 11). Von der „ursprünglichen, unveräußerlichen Struktur der Kirche“ als solcher wird gesagt, daß zu ihr das Gegenüber [19] von „Apostel und Gemeinde der Gläubigen gehört, die beide unter Christus dem Haupt und im Wirken seines Geistes einander gegenseitig zugeordnet sind“ (vgl. 12.2). Es wird betont, daß diese kirchliche Grundstruktur normativ bleibt im Zueinander von Gemeinde und auf sie hingeordneten Hirten. Sinn dieser Struktur ist es, daß die Kirche sich nicht in sich selber schließt, sondern so gerade auf Christus als Ursprung und Haupt hin offen ist und ihm untersteht (vgl. 11.4). Daß communio der Sinn von missio und daß missio die Bedingung von communio ist, darf als ekklesiologische Grundaussage des Synodenpapiers gelten. Eine Aufhebung der auf konkrete Sendung beruhenden, gängig „hierarchisch“ genannten Verfaßtheit kirchlichen Amtes ist damit ausgeschlossen; diese „hierarchische“ Verfaßtheit ist ihrerseits aber nur das eine Strukturmoment in der Kirche; als anderes Moment gehört ebenso die communio hinzu, die das „hierarchisch“ gegliederte Amt nicht nur voraussetzt, sondern es auch umfängt und einbezieht. Das hat freilich im Feld dessen, was man im konkret-organisatorischen Sinn des Wortes „Strukturen der Kirche“ nennt, eine „fatale“ Folge: Eine in sich geschlossene, nahtlos das Funktionieren des Ganzen garantierende, die Möglichkeit von Spannungen und auch Frustrationen ausschließende Struktur der Kirche kann es nicht geben. Der spezifische Dienst, den das kirchliche Amt wahrzunehmen hat, ist zwar verwiesen auf die communio, auf die Mitwirkung und Beteiligung aller, die heute zweifelsohne der institutionellen Sicherung und Regelung bedarf; er erschöpft sich aber keineswegs darin, neutral-perfekte Vollstreckung des ermittelbaren Willens der Mehrheit zu sein. Die unverfügbare Verantwortlichkeit kirchlichen Amtes ist auf die communio verwiesen, um sich glaubhaft realisieren zu können; freie Initiativen und Charismen sind auf die Einheit gewährleistende missio des Amtes verwiesen, um kirchliche communio aufzubauen. In dieses Spannungsfeld von missio und communio ist auch der priesterliche Dienst gestellt.