Gott und das Denken nach Schellings Spätphilosophie

Die Eigenart des Denkens in der positiven Philosophie

Drei Umstände fallen auf, wenn wir zuerst nicht nach dem systematisch Besondernden [sic!] der positiven Philosophie, sondern nach dem ihrer Weise zu denken Eigentümlichen fragen: 1. Ihr „praktischer“ Anlaß, der sie aus der negativen Philosophie heraustreten läßt, 2. das Feld der Phänomene, das sie dem philosophischen Denken neu gewinnt, 3. ihr Ende, zu dem sie führt bzw. gerade nicht führen kann.

  1. [108] Als ihr Anlaß erscheint zunächst einfachhin das Unvermögen des ableitenden Denkens, der negativen Philosophie also, über die totale Ermittlung aller Wasgehalte hinaus zur wirklichen Wirklichkeit als Wirklichkeit vorzustoßen, sie zu beweisen oder apriorisch zu begreifen. Das heißt in der wichtigsten Konsequenz: Der Gott der negativen Philosophie bleibt der Gott des Denkens, der Gott in der Idee. Aber warum will das Denken nicht bei diesem stehenbleiben? Was über die Spitze rationaler Philosophie, was über die „kontemplative Wissenschaft“1 hinaustreibt, ist nicht mehr Sache des Denkens, „dazu bedarf es vielmehr eines praktischen Antriebs“2, und dieser praktische Antrieb faßt sich in der Formel: „Person sucht Person.“3 Es ist „das Ich, welches als selbst Persönlichkeit Persönlichkeit verlangt, eine Person fordert, die außer der Welt und über dem Allgemeinen, die ihn vernehme, ein Herz, das ihm gleich sei“4. Gewiß wachsen diese Bemerkungen aus einem Gang der Ableitung des Denkens, aus rationaler Philosophie also hervor und werden sie in einen neuen Gang anderen Begreifens in der positiven Philosophie wieder hineinvermittelt, aber sie sind nicht nur Produkt und Stelle eines Gedankenganges, sondern Zeugnis, das unmittelbar spricht und das nicht um des Gedankenganges willen gemacht ist, vielmehr ist der Gedankengang, der Übergang in die positive Philosophie um des Bezeugten willen gemacht. Der kontemplativen Wissenschaft, ihrem Befaßtsein in der Potentialität fällt die Begrenzung der bloßen Potentialität nicht als solche auf.

    Der lebendige Anlaß der positiven Philosophie ist demnach das Bedürfnis, Beziehung als Beziehung und in ihr Wirklichkeit zu denken5. Die innere Endlichkeit bloß ableitenden, alles aus einem entwickelnden und in eines subsumierenden Denkens, die Einsamkeit des nur vom Seienden als seinem Inhalt verstandenen Denkens blieb Schelling also nicht verborgen, das Fragende des fragenden Denkens war in seiner negativen Philosophie implizit mächtig und trieb sie über sich hinaus, auf ein der Anrede und des Verweises [109] fähiges Denken zu: „Die positive ist es, die auch in der negativen eigentlich ist, nur noch nicht als wirkliche, sondern erst als sich suchende.“6 Sein Denken lebt also nicht nur aus der Achtsamkeit auf die Immanenz seiner Strukturen, sondern aus der Offenheit fürs Unversehene, für den unabschließbaren An- und Zuspruch der Wahrheit.

  2. Das bestätigt sich an einer weiteren fürs Verständnis positiver Philosophie wichtigen Bemerkung Schellings: „Da die Philosophie im Allgemeinen doch nicht ablehnen kann, auch über die wirkliche Existenz der Natur und Welt überhaupt Rede und Antwort zu geben, nicht bloß mit dem Wesen der Dinge sich zu beschäftigen, so wird, wenn man konsequent ist, die Folge sein, behaupten zu müssen, daß auch in der Wirklichkeit alles bloß logisch zusammenhinge, Freiheit und Tat aber für nichts sei, hiergegen empört sich aber die außerlogische Natur der Dinge.“7

Die negative Philosophie leitet den logischen Zusammenhang alles existieren Könnenden ab, die Erfahrung des wirklich Existierenden ist ihr bei diesem Geschäft, wie schon mehrfach gesehen, eine willkommene Bestätigung und Kontrolle8. In der Erfahrung kommt aber ein weiteres, wenn auch in anderem Sinn, aufs Denken zu, das sich nicht darin erschöpft, ein durchs Denken ableitbares und von der Erfahrung verifiziertes Was zu sein, eben: „Freiheit und Tat“. Sie schließen durch sich selbst ihre Ableitung aus, da das notwendig Deduzierte genau das Gegenteil des freien Vollbringens ist, wenn das Vollbrachte dieses Vollbringens auch keinen anderen Gehalt hat als eben das deduzierbare Was9. „Eine freie Tat ist etwas mehr, als sich im Denken erkennen läßt.“10 Das von der negativen Philosophie unerreichbare, dem Denken aber zu denken aufgegebene, weil begegnende, daher ein neues Denken fordernde Phänomenfeld ist das der Freiheit, der Tat.

Tat, Freiheit sind für Schelling das nicht nur konträr, sondern kontradiktorisch, kein Mittleres zulassend Entgegengesetzte zur [110] Notwendigkeit, die als solche und als ganze dem Denken zugänglich, Notwendigkeit im Denken, Sache denkender Ableitung ist. Nicht nur ist das Denken, ist die Vernunft das Setzende allen quidditativen Seins, allen Was. Der Satz läßt sich notwendigerweise auch umkehren: Alles quidditative Sein, alles Was, das es geben kann, ist solches, das sich denken läßt, ist das Gesetzte des Denkens. Nun gibt es aber zum Denkbaren als solchen kein anderes Verhältnis als eines, das Denken zumindest nicht ausschließt, das vom Denken begleitet sein können muß. Was Denken nicht ausschließt, Denken bei sich hat und doch nicht Denken im Sinne des Ableitens ist, kann nichts anderes sein als Anziehung oder Abstoßung, Bejahung oder Verneinung, Wollen oder Nichtwollen des Gedachten, als – im weitesten Sinne – Praxis, Wille, Tat.

So impliziert für Schelling die Tatsache, daß es überhaupt Erfahrung gibt, also ein Begegnen des im Denken Abgeleiteten, welches Begegnen aber selbst nicht vom Denken abgeleitet werden kann, die Forderung nach „Tat“ und „Freiheit“ als dem Begründenden, als der Ursache der Erfahrung. „Es ist leicht einzusehen: nur Entschluß und Tat können eine eigentliche Erfahrung begründen. Denn wenn z. B. in der Geometrie Erfahrung keinen Platz hat, so ist dies eben darum, weil hier alles durch reines Denken vollbracht werden kann, weil hier kein Geschehen vorauszusetzen ist. Umgekehrt, alles, was nicht durch reines Denken zustande zu bringen ist, d. h. worin ich Erfahrung zulasse, muß ein durch freie Tat Begründetes sein.11

Hier eröffnen sich Aufgabe und Denkart positiver Philosophie.
Sie hat auf die Erfahrung zuzugehen und sie aus dem sie Begründenden her verstehbar zu machen, nicht wie die negative Philosophie das erfahrbare Was aus dem Seienden, aus der universalen Möglichkeit abzuleiten, sondern die Freiheit, die Tat zu erhellen, die hier als das Setzende, Verwirklichende dieses erfahrbaren Was am Werke sind. Sie ist also „empirisch“, sofern sie die Erfahrung und als ihre Ursache die in ihr implizierte Tat entgegennimmt, aber sie ist zugleich nicht empirisch, sofern sie von diesem Getanen nicht aus-, sondern auf es zugeht, es weder zum Ausgang eines Schlusses macht, noch es als notwendig getan ableitet, sondern es aus den Be- [111] dingungen, die das es stiftende Tun als freies Tun ermöglichen, somit selbst frei, begreift.

Schelling führt diesen Verhalt in seiner Einleitung in die Philosophie der Offenbarung aus12, dem Zusammenhang gemäß dort aber in Bezug vor allem auf die Erkenntnis der Existenz Gottes, während er selbst positive Philosophie zumindest material weiter verstanden wissen will13. Wir geben seine Aussage daher in einer Raffung auf das die positive Philosophie im Ganzen Betreffende: „Empirismus ist also die positive Philosophie wenigstens insofern nicht, als sie nicht von der Erfahrung ausgeht – weder in dem Sinne, daß sie diesen ihren Gegenstand in einer unmittelbaren Erfahrung zu besitzen wähnt (wie der Mystizismus), noch auch so, daß sie von einem in der Erfahrung Gegebenen, einer empirischen Tatsache, durch Schlüsse zu ihrem Gegenstand zu gelangen sucht.“14 „Aber wenn die positive Philosophie nicht von der Erfahrung ausgeht, so verhindert nichts, daß sie der Erfahrung zugehe … Freilich, wenn die positive Philosophie nicht von der Erfahrung ausgeht, so muß sie apriorische Wissenschaft sein. Insoweit ist sie dann wieder von der negativen Philosophie nicht unterschieden, denn es gilt auch von dieser, … daß sie nicht von der Erfahrung aus, aber der Erfahrung zugeht. Wohl verhält es sich so, aber der Unterschied ist dieser: positive und negative Philosophie, jede hat eine Stellung zur Erfahrung, aber jede eine andere. Für die letztere ist die Erfahrung wohl bestätigend, aber nicht erweisend. Die rationale Philosophie hat ihre Wahrheit in der immanenten Richtigkeit ihres Fortschritts … Eine ganz andere Stellung ist die Stellung der positiven Philosophie. Diese geht in die Erfahrung selbst hinein und verwächst gleichsam mit ihr. Auch sie ist apriorische Wissenschaft, aber das Prius, von dem sie ausgeht, (dies gilt direkt von Gott, aber indirekt auch von den anderen, freien geschichtlichen Ursachen in der Dimension dieser ihrer Ursächlichkeit) „ist nicht bloß vor aller Erfahrung, so daß es notwendig in diese fortginge, es ist über aller Erfahrung, und es ist für dasselbe daher kein notwendiger Übergang in die Erfahrung. Von diesem Prius leitet sie in einem freien Denken in urkundlicher Folge das Aposteriorische oder das in der [112] Erfahrung Vorkommende, nicht als das Mögliche, wie die negative Philosophie, sondern als das Wirkliche ab.“15

Positive Philosophie ist so das denkende Geleit der freien Tat von ihrem Ursprung aus zu ihrem Getanen, wobei das Getansein des Getanen nur empirisch entgegenzunehmen, nicht zu konstruieren ist. Sie ist apriorische Wissenschaft, weil sie auf die getane Tat zu-, nicht von ihr ausgeht, sie ist aber zugleich aposteriorisch, weil und sofern sie per posterius, durch die getane Tat als posterius, die , sie leistet so das nur Wirklichkeit und Freiheit des Täters erweist16 im nachhinein mögliche Verständnis des Unableitbaren aus seiner vorgängigen Möglichkeit, nicht um der Möglichkeit willen, sondern um der Wirklichkeit des freien Ursprungs dieses Tuns willen – diese und diesen in seinem freien Selbstsein will sie beweisen.

Die vorzüglichste Anwendung ihres Denkens, auf den Erweis der Wirklichkeit und Göttlichkeit Gottes, d. h. der Wirklichkeit des göttlichen Gottes bzw. der Göttlichkeit des absolute Prius, ihre systematische Stellung also im Ganzen des Denkens, und auch das Instrumentarium, mit dem sie sich ihrer Aufgabe zu entledigen sucht, sollen, wie vorgeschlagen, noch zurückgestellt werden.

Heraustreten soll hingegen ihr anderer Charakter gegenüber dem Denken als reinem Denken und als negativer Philosophie: Das Denken hat in ihr nicht nur einen „praktischen“ Anstoß, das Wollen wirklicher Beziehung als der Stätte wirklicher Wirklichkeit, es ist auch in sich selbst verändert. Die beiden entgegengesetzten Enden sind in ihr zu einer Bewegung verbunden. Das im Setzen des Seienden als Möglichkeit erschöpfte produktive Vermögen des Denkens und seine es in die Rezeptivität bannende Voraussetzung des absoluten Daß greifen ineinander zu einer Weise des Denkes, die Empfangen, Annahme der Erfahrbarkeit als unkonstruierbar, und Setzen, konstruktives Verständnis der Ermöglichung des Angenommenen, Entgegengenommenen umfaßt. Das Denken – so scheint es, und so gilt es auch fürs erste – kommt selbst dazu, Beziehung, Zugleich von Spontaneität und Rezeptivität zu sein, es wird, nicht nur von seinem Gegenstand, sondern auch von seiner Weise her, freies Denken, „die eigentlich freie Philosophie“17.

  1. [113] Dies hat seine Konsequenz in der Unvollendbarkeit der positiven Philosophie, die sie ein weiteres Mal in Parallele zu dem aus der Unabgeschlossenheit des Fragens herauswachsenden, nie „fertigen“ anredenden und verweisenden Denken rückt. Reines Denken und negative Philosophie sind wesenhaft, wenn auch nicht in der sie darstellenden Gestalt vollendbar, sind am Ende, wo die Möglichkeit, die sie setzen und entfalten, am Ende ist. „Die erste ist eine ganz in sich geschlossene, zu einem bleibenden Ende gekommene Wissenschaft, also in diesem Sinne System, die positive dagegen kann nicht in demselben Sinne System heißen, eben weil sie nie absolut geschlossen ist.“18 Mit dem Ende der Möglichkeit, will sagen: mit der inneren Abgeschlossenheit ihres Was ist nicht das Verhältnis zur Möglichkeit, nicht die sich in ihr möglicherweise vollbringende Freiheit abgeschlossen.

Mit dem Blick auf den Erweis Gottes als das Hauptthema der positiven Philosophie, mit welcher sie nicht schlechthin, aber insofern wesentlich identisch ist, als alle Freiheit Verhältnis zur Urfreiheit in sich schließt, kann Schelling sagen: „Die Erfahrung, welcher die positive Philosophie zugeht, ist nicht nur eine gewisse, sondern die gesamte Erfahrung von Anfang bis Ende. Was zum Beweis mitwirkt, ist nicht ein Teil der Erfahrung, es ist die ganze Erfahrung. Aber eben darum ist dieser Beweis selbst nicht bloß der Anfang oder ein Teil der Wissenschaft (am wenigsten irgendein an die Spitze der Philosophie gestellter syllogistischer Beweis), er ist die ganze Wissenschaft, nämlich die ganze positive Philosophie, – diese ist nichts anderes als der fortgehende, immer wachsende, mit jedem Schritt sich verstärkende Erweis des wirklich existierenden Gottes, und weil das Reich der Wirklichkeit, in welchem er sich bewegt, kein vollendetes und abgeschlossenes ist – denn wenn auch die Natur für jetzt am Ende ist und still steht, ist doch in der Geschichte noch Bewegung und unablässiges Fortschreiten – weil insofern das Reich der Wirklichkeit nicht ein abgeschlossenes, sondern ein seiner Vollendung fortwährend entgegengehendes ist, so ist auch der Beweis nie abgeschlossen, und darum auch diese Wissenschaft nur Philo-sophie.“19 Das ganze Geschäft des Wissens läuft also nicht [114] auf ein habbares Ende des Bescheidwissens hinaus, sondern auf Wissen als Beziehung zu Freiheit, als Mitgehen mit Freiheit, als Gewärtigkeit. Das letzte Wort der Philosophie wäre demnach nicht eine Koinzidenz des sie denkenden Denkens mit dem absoluten Sich-Wissen der Freiheit Gottes, in dem diese aufgelöst, weil durchschaut zu sein drohte, nicht eine besessene Sophia, sondern je nur eine gesuchte, eine Philo-sophia, da die vollendete, erreichte Sophia „nur ein Ideal ist, das erst verwirklicht werden muß, und auch verwirklicht, stets nur ein menschliches Werk, also mehr im Streben nach der höchsten Wissenschaft festgehalten als ganz erreicht sein wird.“20

Ist in der positiven Philosophie also der Ansatz des Denkens beim Seienden doch überholt, gelingt hier das Andere seiner selbst, gelingt ein neues, geschichtliches und dialogisches Denken?21

Die Kühnheit des Durchbruchs, der hier, ähnlich wie bei der Entdeckung der medialen Ursprünglichkeit des Denkens und wesenhaft in Verknüpfung mit ihr, geschieht, darf uns nicht daran hindern zu sehen: das Denken der positiven Philosophie bleibt in der Überwindung bloß zeitlosen Ausdenkens doch von diesem schon im Ansatz und noch mehr in der Durchführung geprägt.

Es geht in der positiven Philosophie darum, Freiheit, Unableitbares zu verstehen, letztlich weil nur der freie Gott, der Partner der Beziehung zum menschlichen Ich, der lebendige, wirkliche Gott ist, weil nur er Selbstsein und Heil der Welt und des Menschen ermöglicht.

Doch worin wird solches „Verstehen“ der Freiheit erblickt? Es ist angesetzt als „Nachvollziehen“, als ein Denken, das zwar das Faktum des Entschlusses und des durch den Entschluß Entstehenden nicht zu erdenken, also nur anzunehmen vermag, das aber anhand des Wissens der Möglichkeiten, die für diese Freiheit in Frage kommen, wenigstens nachträglich begreift, wieso diese Möglichkeiten Möglichkeiten der sie verwirklichenden Freiheit und nicht ihre Aufhebung und Vernichtung, ihre Unmöglichkeit oder Verunmög- [115] lichung bedeuten22. Das Verstehen der Freiheit ist Verstehen der Möglichkeit, also des „Seienden“ als einer Möglichkeit der Freiheit, Verstehen, wie das Selbstsein des Prinzips sich angesichts des in der negativen Philosophie hypothetisch experimentierten Übergangs der Potenz in ihr Sein, wie das Selbstsein Gottes sich angesichts des Seins seines Anderen also durchzuhalten, wie er daher dieses Andere sein zu lassen vermag.

Wie anders soll indessen Freiheit als Freiheit über sich hinaus, als Beziehung verstanden werden? Wo der terminus ad quem der Beziehung aus den Möglichkeiten des terminus a quo herausgedacht wird, wo das Sich-Wahren des terminus a quo im Seinlassen des terminus ad quem in die Mitte des Verstehens drängt, da liegt dieses Verstehen quer zum wirklichen Geschehen der Beziehung, die als Sich-Gemeint- und Sich-Gewollt-Finden des Angeredeten von der Anrede geschieht und so nur dort „verstanden“ wird, wo sie nicht mehr aus einer prüfbaren „Möglichkeit“ herauswächst. Freiheit, absolute Freiheit gar, ist dem Denken nur „da“, wenn sie sich ihm ablöst von ihrer Nachdenkbarkeit in die unaufhebbare Zweiheit von Zu- und Andenken.

In der positiven Philosophie hingegen wird Freiheit angesetzt als Verhältnis zur Möglichkeit, die als solche ihr zu-, nicht von ihr ausgeht, sie ist Freiheit, zu einer von ihr vorgefundenen, ihr ein- und zugefallenen Möglichkeit ja oder nein zu sagen. Als Freiheit ist sie durch ihre aus ihr unableitbare Möglichkeit ermöglicht, also: begrenzt. Es sei hier an den Text der 13. Vorlesung der Philosophie der Offenbarung erinnert, nach welchem das erste Auftauchen der Möglichkeit anderen Seins, der Ein- und Zufall des Seienden also (wie wir an dieser Stelle noch etwas ungenau sagen dürfen), den vollkommenen Geist „von jener heiligen zwar und übernatürlichen, aber unverbrüchlichen Ananke befreit, in deren Armen er gleichsam zuerst empfangen worden“23. Freiheit ist hier die Vermittlung bei- [116] der „Enden“ reinen Denkens: seiner unvordenklichen Voraussetzung des unbedingten Daß, des notwendig Existierenden, des reinen Actus und Prinzips, die an sich selbst eben begrifflos, bloß existierend vor-gestellt werden, und des Seienden, der Allheit des existieren Könnenden, das an sich selbst und allein gerade nicht selbst ist, das als der Ein- und Zufall des absoluten Daß dieses aber in seine Freiheit hinein lichtet, seine Freiheit konstituiert.

Freiheit ist hier aus dem Getrenntsein von Existenz und Möglichkeit und so insgeheim vom Modell endlicher, ans Vorliegen der Ordnung des Möglichen gebundener Freiheit verstanden. Das heißt aber: der Ansatz beim Seienden, bei den gegenstandskonstitutiven immanenten Wasgehalten des Denkens hält sich bis in die positive Philosophie hinein durch.


  1. XI 558f. ↩︎

  2. XI 565. ↩︎

  3. XI 566. ↩︎

  4. XI 569, vgl. auch XIII 91. ↩︎

  5. Vgl. XI 556 Anm. 5: „nur das Individuum hat ein direktes Verhältnis zu Gott, kann ihn suchen und ihn, wenn er sich offenbart, aufnehmen“; vgl. ferner die frühen denkwürdigen Ausführungen XIII 537–557. ↩︎

  6. XI 564/65. ↩︎

  7. XIII 95. ↩︎

  8. Vgl. XIII 62, 128. ↩︎

  9. Hinsichtlich des Was der Erfahrung gilt, daß „die rationale Philosophie nicht über die Erfahrung hinauskommt“ (XIII 102), ihre Grenze an der Grenze dieser hat. ↩︎

  10. XIII 114. ↩︎

  11. Ebd. ↩︎

  12. Vgl. bes. XIII 126–132. ↩︎

  13. Vgl. XIII 133/34. ↩︎

  14. XIII 127. ↩︎

  15. XIII 128 f. ↩︎

  16. Vgl. XIII 130 mit Anm. 1. ↩︎

  17. XIII 132. ↩︎

  18. Ebd. ↩︎

  19. XIII 131, vgl. auch XI 571. ↩︎

  20. XI 367. ↩︎

  21. Vgl. W. Schmied-Kowarzik, Marx-Kierkegaard-Schelling, in: Schelling-Studien (München 1965) 193–218, der auf den Charakter der positiven Philosophie als „Praxis“ hinweist. ↩︎

  22. Gewiß betont auch Schelling, daß nur jenes Original sei, von dem man die Möglichkeit erst aufgrund der Wirklichkeit begreife (vgl. XIII 263), doch dieses nachträgliche Finden hebt ihre konstitutive Unerfindlichkeit auf; Schelling spricht beispielhaft vom nachträglichen Einholen des zuerst nur mit dem Teleskop Erblickten ins unmittelbare Selbersehen (vgl. XIII 137/38). ↩︎

  23. XIII 268. ↩︎