Die Kirchlichkeit des Glaubens und der Theologie
Die eine Sache von Glaube, Kirche und Theologie
Der eine Grund von Glaube, Kirche und Theologie ist uns bereits in den Blick getreten. Dieser eine Grund konstituiert auch die eine Sache. Um sie am Vollzug des Glaubens in ihren beiden Grunddimensionen hervortreten zu lassen: Glaube verläßt sich auf Gott, der sich dem Glaubenden zum Grund gibt, ihn trägt, und indem er trägt, ist der Glaubende zugleich angenommen. Daß Gott Grund ist, der menschliches Dasein trägt, auf den sich menschliches Dasein voll und ganz verlassen darf, ist das schlechterdings Unselbstverständliche. Es ist die Gabe Gottes, die Gabe, die ihn selber, in der er sich selber gibt. Gott ist der Sich-Gebende. Dies erscheint, vom Glaubensvollzug her formuliert, als das [470] „Grunddogma“ des Glaubens. Dieses Grunddogma enthält aber ipso facto ein weiteres in sich: Der Mensch ist der von Gott Angenommene. Sich-Geben Gottes und Angenommensein des Menschen: so läßt sich die eine Sache des Glaubens prägnant umschreiben, und diese Umschreibung bewährt sich im Hinblick auf die materialen Grundinhalte der Offenbarung: das Christusdogma und, in es verwoben, das Trinitätsdogma und das Dogma von der Erlösung haben zur Mitte das Sich-Geben Gottes und die Annahme des Menschen.
Was trägt die doppelte Fassung (Sich-Geben – Annahme) dieser einen Aussage aus? Sie zeigt, daß die Initiative und das Zentrum des Glaubens ganz bei Gott liegen, bei Gott aber derart, daß darin der Mensch gerade nicht monistisch in Gott aufgesogen, entselbstet, abgedrängt wäre. Gott ist in seinem Sich-Geben alles in allem, damit ist er aber alles in allem auf solche Weise, daß gerade auch der Mensch er selbst und die Welt sie selbst sind. Dynamisch ausgedrückt: Gott öffnet sein Innen ins Außen und bezieht damit das Außen in sein Innen ein, er nivelliert das Außen aber nicht als Außen, sondern bestätigt es. Der Glaube setzt so allein von oben, allein von Gott her an – aber gerade darin ist der Einsatz von unten, vom Menschen und der Welt her, eingeschlossen.
Dies hat weittragende Konsequenzen für die Theologie. Beim ersten Durchgang von Glaube, Kirche und Theologie war uns aufgefallen, daß scheinbar nur die Theologie außer dem Glauben noch auf eine andere Legitimation angewiesen ist: Theologie erhebt den Anspruch, Wissenschaft zu sein; sie bringt Kategorien menschlichen Verstehens in den Glauben ein bzw. reflektiert die in ihm je schon eingebrachten. Nun tritt der streng theologische, will sagen der Glaubens-Sinn dieses Umstandes zutage: Daß Menschsein, daß menschliches Fragen und Verstehen angenommen sind, sie selbst sein dürfen im Glauben, daß Annahme die andere Seite der Hingabe Gottes ist, wird in der Theologie ernst, ist ihr Impuls. Das zum Glauben zunächst als „heteronom“ erscheinende Prinzip in der Theologie, das Verstehen, erhält einen Stellenwert im Glauben.
Dies hat freilich eine Kehrseite: Die Theologie kann nicht einfach göttliches Wort und menschliches Verstehen addieren, son- [471] dern sie ist selbst, weil auf den Glauben als Ursprung angewiesen, auch darauf angewiesen, die menschliche Wirklichkeit und ihren Selbstand, das menschliche Verstehen und Fragen als solche von Gott her, von seinem Sich-Geben her anzuvisieren. Theologisch ist menschliches Verstehen und Fragen zuerst deswegen relevant, weil Gott sich ihm anvertraut und es angenommen hat; gerade dieses göttliche Sich-Anvertrauen und Annehmen aber wahrt, verkürzt nicht solches Fragen und Verstehen. Dadurch wird, um Gottes willen, Theologie in eine doppelte Anwaltschaft gewiesen: in die Anwaltschaft des göttlichen Sich-Gebens im menschlichen Fragen und Verstehen, in die Anwaltschaft menschlichen Fragens und Verstehens in der Verkündung und Weitergabe göttlichen Sich-Gebens.
Die Affinität der Theologie zu philosophischem Fragen und historischem Forschen hat hier ihren immanent theologischen Grund: Es gilt, die „Inkarnation“ des Faktums göttlichen Sich-Gebens in den Fakten menschlicher Geschichte, und es gilt, den Eintrag menschlichen Verstehens und Fragens ins göttliche Wort aufzuschließen. Historisches und Philosophisches gehören so zur Theologie, machen aber gerade noch nicht ihr Theologisches aus; denn dies besteht eben darin, daß in menschlicher Geschichte und in menschlichem Wort göttliches Sich-Geben und göttliche Annahme des Menschen und der Welt präsent und verstehbar werden.
Diese besondere Aufgabe der Theologie hebt nicht die gezeichnete Nachordnung Glaube – Kirche – Theologie auf, und doch zeigt sie eine eigentümliche Peripetie an: Wenn die Theologie es auf sich nimmt, „nach“ dem Glauben und der Kirche zu kommen, von ihnen her sich selbst wie auch Glaube und Kirche zu verstehen, dann wird sie zugleich der unersetzliche Kommunikationspunkt von Glaube und Kirche mit der menschlichen und weltlichen Wirklichkeit und somit in einem neuen Sinn konstitutiv für Kirche und Glaube. An dieser Umschlagstelle hat Theologie ihren exponierten Ort. Er ist gewiß ein dienender Ort, der Ort des Dienstes aber ist, vom Glauben her gesehen, Ort des Herrn.