Franz von Baaders philosophischer Gedanke der Schöpfung

Die eingreifende Situation der Mitteilung

Baaders philosophischer Weg zur Erkenntnis Gottes bringt seinem Gedanken der Schöpfung nicht „von außen“ eine Voraussetzung bei, auf welcher er sich sodann als unabhängig neuer Gedanke erhöbe; er ist vielmehr in sich selbst der „reziproke“ Gedanke der Schöpfung und somit sein innerer, in der weiterbauenden Durchführung gegenwärtig bleibender Anfang. Die entscheidende Formel des anfänglichen und in seiner Anfänglichkeit sich doch als Weg auslegenden Gottesbewußtseins ist das „Cogitor ergo (cogitans) sum“. Sie ist gleich ursprünglich Formel anfänglichen und den gefaßten Anfang im zeitigenden „ergo“ ebenfalls als Weg deutenden Schöpfungsbewußtseins. Gerade weil der Gott, auf den sie weist, im Sinne Baaders mehr und anders ist als aus dem Bestand des verursachten Seienden herausgerechnete causa prima, wird ein eigentlicher Gedanke der Schöpfung allererst möglich, zugleich aber ist er dadurch je schon überholt.

Gedanke der Schöpfung wird erst möglich. Die bloße „schaffende Macht“ vermag das nicht, was aus ihr hervorgeht, das menschliche Selbstsein, dessen „einzig eigentliches Objekt“ der seine Mitteilung und also sein Geheimnis und also seine Göttlichkeit umspannende Gott ist. Ja sie vermag nicht einmal die Unselbstverständlichkeit dessen, daß überhaupt etwas ist. Daß ist, was ist, das Sein des Seienden, schließt nicht nur die sich selbst tragende, sich von selbst verstehende Ursache, sondern auch seinen gerade unselbstverständlichen Entstand aus dieser Ursache und „von Gnaden“ dieser Ursache ein, nicht nur die Tatsache seines Anfangs, sondern die Tat seines Anfangs, darin aber Gestalt und Freiheit, also Göttlichkeit der schaffenden Macht. Erst der qualitative Sprung über das hinaus, was Ursache im durchschnittlichen Verständnis sagt, gewährt dieser ihre Ursächlichkeit. Der göttliche Gott ist der erscheinende, sich mitteilende, der in der Mitteilung sich über ihr ins Geheimnis verwahrt. Nur wo Schöpfung als Mitteilung verstanden wird, kann sie verstanden werden; als bloßer Effekt zöge sie das unselbstverständliche Sein des Geschöpfes von sich selbst ab und in die Notwendigkeit der unbedingten Ursache hinein oder aber diese von sich selbst ab in die Zufälligkeit ihres Verursachten hinein. Mitteilung hingegen hat, woraus sie unselbstverständlich und doch verstehbar erfolgt: das Geheimnis des sich selbst gehörenden Ursprungs.

Gedanke der Schöpfung ist von der Göttlichkeit Gottes indessen je auch überholt. Weil sich Gott über seiner Mitteilung und seiner Gestalt, in [76] welche er in der Mitteilung eingeht, je wieder als Geheimnis erhebt, ist das Woraus der Mitteilung in ihr nicht nur eröffnet, sondern zugleich auch entzogen, eben Geheimnis. Die herausgeforderte Rückwendung des Verstehens hinter die Tat Gottes fällt ins Bodenlose seiner unauflöslichen Anfänglichkeit. Die Schöpfung verstehen heißt gerade: sie nicht sich selbst entfremden, indem sie eben doch errechnet und ihr Woraus so in die Form falscher Verfüglichkeit hineingedacht würde.

Baaders Bemühen gilt dem denkenden Vollbringen der Identität von Geheimnis und Verständnis. Es soll verstanden werden, weshalb es zu Gott gehört, etwas tun zu können, das sich, wenn er es tut, nicht in seine Verständlichkeit hinein auflösen, nicht im verstehenden Nachvollzug her­ stellen läßt. Das Denken soll dorthin gelangen, wo es zu Gott spricht: Ja, jetzt weiß ich, warum du tun können mußt, was du nicht tun mußt und ich nicht wissend aus meinem Wissen um dich herleiten kann. Erst wenn Gott tut oder doch möglicherweise tut, was er nicht tun muß, weil er Gott ist, ist er Gott, ist die Anwesenheit der sich selbst bezeugenden absoluten und ursprünglichen Natur des Geistes im Denken überboten ins unverfügbar verfügte Gegenübersein zum reinen Bestimmen des Ursprungs, der so sich herablassend sich in seine Hoheit erhebt: göttlicher Gott.

Woher nimmt Baader die Bestimmungen, um von Gott diese seine Tat und seine Freiheit zu dieser Tat auszusagen, sie zur Gestalt im eigenen Denken zu bringen?

Sein als mein menschliches Sein heißt nach Ausweis des „Cogitor ergo (cogitans) sum“ Gedachtsein, besser: Mitgeteiltsein. Es ist gezeitigt von der Mitteilung des göttlichen Ursprungs, die ihn mir mitteilt, indem sie mich mir mitteilt. Das mitgeteilte Sein, mein gezeitigtes „Ich bin“ aber geht nicht darin auf, erlitten, widerfahren zu sein; es öffnet mich selbst als Ursprung ins Denken, und das heißt: ins mir freigestellte Mich-Mitteilen. Nur indem ich von mir her, vollziehend, „bin“, was ich bin, antwortend mich selbst öffne, also mitteile, hole ich die zeitigende Mitteilung des göttlichen Ursprungs ein, ist der Dialog da, in dem ich bin.

Mein Empfangen des Seins ist Vollzug des Seins, mein Verdanken meine Ursprünglichkeit, und so legt mein mich vollbringendes Mich-Auslegen „von selbst“ das mir überkommene aus und kommt, in seiner freilich übersetzenden Weise, mit dem überein, was aus der Unsäglichkeit des göttlichen Ursprungs her gründend ihn und mich mir zusagt. Ich „bin“ von mir aus, was von Gott aus seine Mitteilung ist, lese sie und also ihn aus den Zeichen, in die ich mich selbst hineinsage.

Der Weg meines Denkens zu Gott ist nicht nur der reziproke Weg der Schöpfung, der göttlichen Mitteilung zu mir, sondern in solcher Umkehrung auch richtungsgleiches Mitgehen mit ihm, und dies gar auf doppelte Weise. Einmal bin ich der „Umkehrung“ voraus, die mich auf Gott zurückführt, aus ihm zu mir gekommen, habe die mich sodann ausdrücklich auf ihn beziehenden Gedanken schon aus seinem anfänglichen Zudenken her ergriffen, wenn ich zu denken anfange – Denken ist ja, wie gesehen, je und sich voraus Mitdenken. Zum anderen aber ereignet sich auch der [77] Aufgang Gottes für mein Denken und seine Nachträglichkeit in meinem Denken, ich selbst „tue“, um zur Tat Gottes zu gelangen, die mich tut – „Scimus quae (quia) facimus.“ Der Blitz des Einfalls, in dem Gott mir aufgeht, ist derselbe Blitz, in dem meine Tat mir gelingt. Seine und meine Gestalt, meine Gestalt und die meines Getanen ereignen sich zugleich. Nur als von mir und zu mir und zu etwas ausgehender Ursprung erreiche ich ihn als den unbedingt von sich ausgehenden, mich und alles gründenden Ursprung. Der Ursprung ruft den Ursprung und weist in der eigenen Ursprünglichkeit die erste vor: Konvergenz des Vollzuges, die dem Denken im Selbstverständnis Bild und Maß des Gottes- und Schöpfungsverständnisses überantwortet.

Baaders Gedanke zur philosophischen Gotteserkenntnis springt daher gerade um seiner Selbigkeit mit dem Gedanken der Schöpfung willen nicht unvermittelt in diesen über, sondern stellt zunächst als einbegreifende Mitte die Selbigkeit der dynamischen Proportionen im „Selbstsein“ göttlichen Ursprungs und im geschöpflichen Sein und Selbstsein, im göttlich schaffenden Anfangen und im Anfangen geschöpflichen Seins und Wirkens frei.

Der Blick auf das Phänomenfeld des Gespräches, dem ja Mitteilung zugehört, erhellt den bezeichneten Verhalt: Wenn du dich mitteilst, wenn du sprichst, so ist mein Hören das „Gegenteil“ deines Sprechens, seine Umkehrung; als Umkehrung aber wird dieses Hören nur möglich, weil ich mit deinem Sprechen das mir innerlich selbst zuspreche, was du sagst, es also mit dir mitspreche; und aus diesem deinem Sprechen und meinem hörenden Mitsprechen wird zugleich mein antwortendes Selbersprechen entbunden, wie von selbst löst sich mein Wort und gibt Antwort . In ihr erst bin ich dir gewachsen, dein Partner; ich vollbringe jetzt erst das, was du tust, indem du von dir her mich ansprichst, gerate so, in der höchsten Nähe und Selbigkeit meines Tuns zu dem deinen, in mein Eigenes, in meinen Selbststand dir gegenüber. Das Gespräch „multipliziert“ den Vollzug des Sprechens in verschiedenartige Stellungen hinein: Du sprichst – und ich erfahre – also reziprok – dein Sprechen, indem ich dich höre, hörend aber spreche ich dein Sprechen mit und komme selbst, von mir her, in mein Sprechen zu dir.

Diese Multiplikation des Sprechens ist indessen doch nur das eine Gespräch, sein ungeteiltes Geschehen, das dem Sprechen und Hören, ja dem Sein der Partner nichts äußerlich hinzufügt, sondern es vollbringt, im Ganzen ganz und an jedem Punkt des Geschehens ganz, wenn auch je in verschiedener Stellung gegenwärtig; das Gespräch ist nichts anderes und also auch nicht „mehr“ als die Partner, es ist so zwischen ihnen, daß es zugleich ganz und unvertauschbar eigen in jedem von ihnen ist, kein loslösbares Drittes.

Führt man das Gespräch nun auf jenes „Wort“ zurück, in welchem den menschlichen Partnern ihr Sein, ihre Partnerschaft und ihr Gespräch allererst zugesprochen wird und welches im Geschehen des Gepräches sodann als das verborgen Eigentliche, als der Blitz des Gelingens wiederum auf- [78] leuchtet, so erreicht das Modell seinen Ursprung: die Einheit der dynamischen Bezüge, die als dieselben an jedem Punkt des Allgeschehens je neu gegenwärtig sind, zugleich das Ganze dieses Geschehens umspannen, so auch „zwischen“ Geschöpf und Schöpfer walten und dennoch nicht mehr und nicht größer sind als er selbst, als seine ihn enthaltend-vorenthaltende Mitteilung.

Für Baader kommt so das „System“, der geschehende, sich selbst vollbringende Zusammenhang des Geistes mit sich in allem und mit allem in sich, nicht nur vor im überschritt Gottes zu seinem Anderen, im Einbegriffensein des an sich freigegebenen Anderen in Gott, sondern in Gott „an sich“ und vor allem Anderen, in der Gemeinschaft Gottes mit diesem Anderen und im Anderen an sich, in jedem Einzelnen sowohl wie auch im gegenseitigen Zusammenhang des Einzelnen: „Totum in toto et totum in qualibet parte.“1

„System“ ist für Baader nicht die Verfremdung des je Einzelnen zum ableitbaren bloßen „Moment“ eines allverzehrenden Ganzen, sondern der in jedem Einzelnen selbst und ganz konstitutiv gegenwärtige, so gerade Selbständigkeit, Unterschied, ja Unableitbarkeit des Einzelnen gewährende und doch zurückbindende Zusammenhang des Ganzen selbst.

Das Geschehen dieses Zusammenhangs faßt Baader in eine oberste und allgemeinste Formel: „Mit der· Zunahme der Einung hält die Unterscheidung gleichen Schritt.“2 Sie bestätigt sich, wird „erfahrbar“ wiederum in der Mitteilung, im Gespräch; hier greifen die Ursprünge ineinander über, sie „einen“ sich, und so geht gerade ihr „Unterschied“, ihr je Eigenes auf, es gewinnt dem Partner gegenüber Gestalt, und in dieser Gestalt verwahrt sich das unauflösliche Geheimnis der Ausschließlichkeit des Ursprungs. Vom Phänomen der Mitteilung her denkt auch Baader, etwa wenn er sagt: „Deus nec creaturae miscibilis, nec separabilis a creatura. Der Allereinzigste ist der Allergemeinsamste und umgekehrt.“3

Mitteilung aber setzt voraus, was sie vollbringt, und erwirkt es zugleich in dem, welchem sie zukommt: Nur wer sich als offener Ursprung „hat“, also gefaßt, gestaltet hat, kann sich in der Tat auch öffnen, und wo in der Mitteilung der Partner einen Partner trifft, da öffnet sie ihn und bringt ihn „zu sich“, zu seiner antwortend-entscheidenden Gegenrede, in welcher er seine Gestalt und seine Freiheit vollbringt. Es ist Baader daher nicht genug, an der Phänomenalität der „nachträglichen“ Mitteilung die dynamischen Proportionen des Zusammenhangs, der sich ereignenden Identität von Einung und Unterscheidung abzulesen. Doch er begnügt sich auch nicht mit ihrer Rückführung ins vorlaufende Selbstgeschehen personalen Ursprungs. Wenn alles Seiende der schöpferischen Mitteilung Gottes entstammt, hat auch das – vereinzelte wie gemeinsame – Sein jedes und alles Seienden, hat jede Beziehung von Seiendem zu Seiendem und zwischen Seiendem und Gott Anteil am System und eine je eigene Weise [79] seiner Repräsentation. So ernst will Baader das zitierte „Totum in toto, et totum in qualibet parte“ genommen wissen.

Wie aber kann diese gesamte Fülle, wie kann die unbedingte Selbsteinheit göttlichen Geschehens, das Seiende je in sich und der Zusammenhang zwischen vielem Seienden in einen einzigen Ausdruck eingehen? Baader entschließt sich mit Vorrang für die – freilich in ihre weiteste Analogie hinausgespannte – Redeweise vom „Organismus“ oder „Leben“: „Der Begriff des Systems fällt somit ganz mit dem des Organismus oder Lebens zusammen.“4 Unterscheidung wird entsprechend zur „Gliederung“, denn „Glied“ weist im Gegensatz zum „Teil“5 auf die Gegenwart des einen Prinzips im so gerade selbständigen Sein dessen, was er hervorruft, auf den selbst lebendigen Zusammenhang des Ganzen und – in wiederum anderer Hinsicht desselben dynamischen Verhaltes – auf die geschehende Identität der Freiheit des Ursprungs mit seiner Gestalt. Der Mißverständlichkeit des Ausdrucks „Glied“ ist sich Baader hierbei durchaus bewußt, etwa wenn er absichernd betont: „Mir gelten die Kreaturen nicht als Glieder Gottes.“6 Aus dem so umrissenen Ansatz der Redeweise Baaders gliedern sich die dynamischen Proportionen des Seins und Geschehens wie von selbst aus. Sie decken sich der Sache nach mit den Bestimmungen, die einer unmittelbaren Analyse der Phänomenalität wollenden Anfanges bereits begegnet sind. Das Moment des „Wollens“ ist dem Modell der Mitteilung und dem der organischen Gliederung eingeboren. Mitteilung geschieht „unableitbar“, sie vollbringt zwar nichts anderes als die Natur des Geistes: sich selbst zu gehören und zu allem hin offen zu sein, vollbringt sie aber als diese Offenheit aus dem Sich-Gehören und also Sich-Schließen des geistigen Ursprungs in sich selbst, der sich so aus seiner Natur zu ihrem Vollzug vermittelt; die Vermittlung zwischen Natur und Vollzug aber ist das Wollen. Verdeckter geschieht dasselbe in dem, was der Ausdruck „Gliederung“ meint: Der Organismus gliedert sich, damit sein Prinzip da sei und voll ausgebildet da sei; er vermittelt sich in der Gliederung zu sich selbst mittels des „Damit“, das er, sich behauptend, sich unterscheidend, sich entfaltend und wachsend vollbringt. Ohne Entelechie und also ohne „Wollen“ ist Gliederung nicht als solche zu denken.

Innerhalb dieser dynamischen Proportionen des geschehenden Seins, das als Mitteilung oder Gliederung gefaßt und vom Wollen her verstanden ist, zeichnet sich ab: 1. als Ziel die Gestalt – in Baaders Sprache die „Leibhaftigkeit“ –, in welcher Sein sich in seine Bestimmtheit vollendet, um allerdings je „über“ ihr in sich selbst und „aus“ ihr in der Mitteilung, bzw. allgemein im Erscheinen, Wirken, aufzugehen; 2. als Anfang, als Urschritt der je geschehende Ausgang der „Ursache“ in den je fassenden [80] „Grund“, der je wieder in den Rückgang, in das „Geisten“ aufgehoben und so von der Ursache angeeignet wird; 3. als Mitte die Situation, in welcher der Grund und aus ihm die Gestalt, anders gewendet: die Gestalt und in ihr der Grund gewonnen werden, und die Baader in ihrer Anschärfung, als Krisis, zu betrachten liebt, weil hier die Vielfalt der Momente an sich selbst hervortritt, während sie im nahtlos geglückten Vollzug nur als in der Einheit aufgehoben sich kundgibt.

Der Ausdruck für den dynamisch selben Gehalt verschiebt sich bei Baader öfters, und dies innerhalb derselben Terminologie. Es soll im Folgenden nur die Architektur des Geschehens in sich, nicht die erschöpfende Registrierung der unterschiedlichen Redeweisen dargeboten werden.


  1. RPh 53 I 303. ↩︎

  2. FC 1,10 II 163. ↩︎

  3. RPh 20 I 205; vgl. auch FC 6,6 II 399 f. ↩︎

  4. RPh 53 I 303. ↩︎

  5. RPh 53 I 304: „...obschon der Ausdruck Teil hier unschicklich ist, weil das Lebendige, Systematische nicht Teile, sondern Glieder hat“. ↩︎

  6. Freiheit 14 VIII 163; vgl. SpD 1,11 VIII 112. ↩︎