Gott und das Denken nach Schellings Spätphilosophie

Die Entwicklung der drei Ebenen in Schellings Spätphilosophie

Das Denken denkt unmittelbar das Seiende. Das Seiende als Wesen weist vor sich auf das, dessen Wesen es sein kann, auf das Viele also, was ist, und, wenn es ist, nachträglich zu seinem Wesen ist; es weist zugleich zurück auf jenes, was ihm vorausgesetzt und in ihm in sein Was hinein ausgelegt ist, zu dem es also zusätzlich und zufällig ist. Das Seiende als dieses eine Wesen ist Wesen nicht nur von etwas, sondern Wesen schlechthin, alleiniges Wesen, Wesen sich selbst besitzenden Geistes. Das Denken, das sich wesentlich als setzendes Vollbringen des Seienden, somit alles dessen, was sein kann, und seines Ursprungs und somit zugleich als Sich-Vollbringen, als Setzen des Wesens der Geistigkeit versteht, versteht sich darin als das Denken, und das heißt: radikal als die Helle des absoluten Actus, der in dieser Helle, im Aufgehen des „Seienden“ also, erst sich selber hell, erst wahrhaft er selbst ist. Dies hat sich als das Spezifische an Schellings Verständnis des Denkens ergeben.

Wie nun ist hier der Weg zur Entfaltung des Denkens in seinen verschiedenen Grundweisen angelegt, und wie verlaufen sodann diese Grundweisen, d. h., wie verläuft der Weg des Denkens durch diese Grundweisen hindurch?

Um diese Frage zu beantworten, blicken wir (A) zunächst auf jede der drei Ebenen der Spätphilosophie Schellings in sich; wir tragen die leitende Hinsicht des Denkens aufs „Seiende“, die nach dem Ausgeführten als bezeichnend für Schellings Ansatz gelten darf, in unsere eigene Vorüberlegung ein und beobachten, wie sich dadurch die von uns erhobenen Grundweisen des Denkens verändern. Wir versuchen sodann (B), unmittelbar aus dem Schelling eigentümlichen Ansatz seine drei Ebenen des Denkens auseinander zu entwickeln, und werden schließlich (C), um dem Textbefund des von ihm hierzu Gesagten gerecht werden zu können, einen weiteren Grundzug seines Denkens zur Sprache bringen, der sich mit dem bereits Bedachten eng verschlingt, ohne sich einfachhin aus ihm zu ergeben: Schellings Denken als Denken der „Entfremdung“.

Solche schichtweise Interpretation dient der schärferen Erfassung des Eigenen in Schellings Verständnis des Denkens und dem Ge- [92] spräch unseres gegenwärtigen Denkens mit ihm. Die 16. Vorlesung der Philosophie der Mythologie1 bietet unserer Bemühung einen Grundtext, auf den wir uns indessen nicht beschränken und dem wir von der entworfenen Struktur unserer Interpretation aus diese auch nur in freier Folge anschließen können.


  1. XI 360–385. ↩︎