Glauben – wie geht das?

Die „Ethik“Jesu

Jesus sagt die Gottesherrschaft an, Jesus ruft zur Nachfolge. Er tut Zeichen, die seine Sendung beglaubigen und hinweisen auf jene Macht Gottes, die das Heil des Menschen und die Erfüllung der Geschichte wirken will. Er verdeutlicht die Weise, wie Gott zum Menschen steht, durch sein Handeln, durch sein erbarmendes, herausforderndes, ungewohntes Zugehen auf den Menschen. Er entfaltet seine Botschaft in die Bild- und Gleichnisreden, die den Menschen aufhorchen lassen, damit er die Zeichen der Zeit verstehe und sich der nahenden Herrschaft Gottes öffne. Jesus tut aber ein weiteres. Er sagt uns, wie wir unser Leben insgesamt anpacken sollen, sagt uns, wie wir uns gegenüber Gott und dem Nächsten verhalten sollen. Er zieht die Konsequenzen aus seiner Botschaft von Gottes Reich und von der Nachfolge nicht nur im Blick auf die Lebenssituation des einzelnen, den er direkt anspricht, sondern umfassend, grundsätzlich, für alle.

Daher kann man von der „Ethik“ Jesu sprechen, so problematisch dies sein mag. Sicher, es geht Jesus nicht darum, neutral und „an sich“ zu sagen, wie der Mensch sein soll, sondern es von der konkreten Situation des anbrechenden Gottesreiches her zu sagen. Diese Situation ist freilich kein wiederum überholbarer Sonderfall, sondern die Erfüllung aller Zeit, die Erfüllung dessen, was Gott im Alten Bund angelegt hat, ja die Erfüllung dessen, was in der Schöpfung selbst grundgelegt ist.

Wenn im Epheserbrief gesagt wird, daß Gott in Christus die Fülle [53] der Zeiten heraufführen, in ihm alles vereinen und wie in einem Haupt zusammenfassen wollte, was im Himmel und auf der Erde ist (vgl. Eph 1,10), so wird dies in der „Ethik“ Jesu unmittelbar anschaubar. Es geht Jesus zugleich darum, Gesetz und Propheten nicht aufzuheben, sondern zu erfüllen (vgl. Mt 5,17), wieder herzustellen, wie es „am Anfang“, am Anfang der Schöpfung war (vgl. Mk 10,6) – und einen neuen Anfang zu setzen, der über das hinausführt, was den Alten gesagt worden ist (Mt 5,21.27.31.33.38.43). Dieser neue Anfang ist zugleich Vorwärtsgang über alles bislang Dagewesene hinaus, in die neue Stunde der anbrechenden Gottesherrschaft – und Rückgang in den ursprünglichen Anfang. Es ist ja Gott, der Anfängliche, der seinen „Anfang“ nun aus der Entfernung, aus der Peripherie ins Zentrum unseres Lebens einbringt.

Wenn wir im folgenden die Ethik Jesu in einigen ihrer Grundzüge zur Sprache bringen, so heißt unsere leitende Frage wiederum: Wie geht Glauben? Hier genauer: Wie geht Leben aus dem Glauben, wie geht gelebter Glaube? Es interessiert hier also nicht in erster Linie, wieviel von der Ethik Jesu bereits von der Perspektive des Alten Bundes oder der Schöpfungsordnung her möglich ist; ob das Neue, das in Jesus zweifellos durch den Gesichtspunkt der Gottesherrschaft eingebracht wird, mehr motivierender oder mehr inhaltlicher Natur ist; wo die Sicht des unmittelbar „Jesuanischen“ aufhört und wo die gemeindliche, nachösterliche Verdeutlichung und Interpretation anfängt. Auf derlei Fragen fällt im Vorbeigehen dieses oder jenes Licht. Unser Bemühen aber gilt dem Weg, den wir zu gehen haben (und in dessen Gang der Glaube und der „Urheber und Vollender des Glaubens“ [Hebr 12,2] für uns Kontur und Nähe gewinnen sollen).