Glauben – wie geht das?

Die Frage nach dem Ansatz

Wie geht Glaube? Dies von der Mitte der Botschaft des Neuen Testamentes her entfalten zu wollen, stellt vor eine Entscheidung: Wo soll man ansetzen? Zwei grundsätzlich verschiedene Möglichkeiten bieten sich an. Entweder man beginnt dort, wo die christliche Predigt begonnen hat, oder man beginnt dort, wo Jesus mit seiner Predigt begonnen hat. Man beginnt mit der Botschaft von Jesus dem Christus oder man beginnt mit der Botschaft Jesu, das heißt mit der Botschaft vom herannahenden Gottesreich, von der anbrechenden Gottesherrschaft.

Für die erstgenannte Möglichkeit spricht Gewichtiges. Denn obgleich die Evangelien vordergründig nicht so ansetzen, sind sie die Bezeugung des Lebens und der Predigt Jesu aus der österlichen Perspektive, aus jener Perspektive, in welcher das erste und entscheidende Wort heißt: Jesus ist der Christus, Jesus der Herr, er hat sich als solcher an Ostern erwiesen. Die Evangelien sind, vergröbernd gesprochen, auf Ostern zulaufende vorösterliche Ostergeschichten. Aber sie verankern eben die Botschaft der Ostern in dem, was vor Ostern geschah, sie „identifizieren“ und „ratifizieren“ die Predigt von Jesus dem Christus am Leben, Wirken, Sprechen Jesu.

Wenn wir freilich auf unsere Grundfrage blicken, wie Glaube geht, dann fällt uns als erstes eine merkwürdige Nähe zwischen der Predigt von Jesus dem Christus und der Predigt Jesu von der Got- [22] tesherrschaft auf. Ob die ersten christlichen Prediger nun Jesus als den gekreuzigten und von Gott auferweckten Herrn ansagen oder ob Jesus das Nahen der Gottesherrschaft ausruft, in beiden Fällen sind darin die Aussage und der Appell enthalten: Es geht nicht so weiter, wie es bislang ging! Der Weg der Welt nimmt einen entscheidend anderen Lauf als den bisherigen, als den der gängigen Erwartungen und Meinungen! Kehrt um, stellt euch ein auf die anders gewordene, von Gott, dem Herrn der Zeit anders gewordene Zeit! Daß Jesus, der Gekreuzigte, von Gott nicht im Tod gelassen wurde, sondern lebt, erhöht ist als Herr, das ist in der apostolischen Predigt Zeichen der Umkehrung der Geschichte, einer Umkehrung, die vom Hörer dieser Predigt die Umkehr seines Herzens und Lebens fordert (vgl. die Charakterisierung der „neuen“ Situation der Glaubenden z. B. 1 Thess 1,9; Eph 2,11–13; aber auch der gesamte Hintergrund etwa des Galaterbriefes).

Genau dieselbe Situation begegnet uns in der Ansage der Gottesherrschaft und im damit verbundenen Bekehrungsruf Jesu. Die Welt geht nicht mehr weiter wie bisher, und deshalb muß jeder sich neu orientieren, einen neuen Anfang setzen. In den Zeichen und Wundern verdeutlicht Jesus, daß nun eine andere Zeit angebrochen ist; in seinen ethischen Forderungen stößt er die Menschen in die neue Unmittelbarkeit Gottes zu uns, aus der eine neue Unmittelbarkeit zu Gott folgt; in den Gleichnissen sagt er die Nähe des handelnden Gottes an, auf dessen Tag nun alles zuläuft. „Jetzt ist der Tag des Heils“ (2 Kor 6,2), diese Kennzeichnung der Situation, in welcher der auferstandene Herr durch Paulus gepredigt wird; das Hier und Jetzt des zur Entscheidung rufenden Jesus entsprechen einander (vgl. z. B. Mt 12,41f.; Lk 4,21).

Zeit geht anders, Leben geht anders, auch Religion, Verhältnis zu Gott geht anders! Dies ist die gemeinsame Basis, der gemeinsame Inhalt der Predigt Jesu und der Predigt über Jesus. Das, was Jesus in seiner Botschaft von der Gottesherrschaft ansagt, verwirklicht sich, spitzt sich zu in dem, was die christliche Predigt über Jesus den Messias und Herrn sagt. So entspricht es der „Logik“ unserer Frage, bei dem anzusetzen, was Jesus uns als das Neue und Andere von Gott [23] verkündet, um von hier aus sodann ihn selbst und sein Geheimnis zu verstehen.