Was heißt „katholisch“ in der katholisch-sozialen Bildung?

Die Fragestellung

Das Wort „katholisch“ trägt in sich oder – besser – in seinem Gebrauch einen eigentümlichen Zwiespalt. Es heißt „allumfassend“, und es besagt einen Unterschied, eine Ausgrenzung. Diese zunächst formale Bemerkung gewinnt an konkretem Gewicht, wenn man auf die katholisch-soziale Bildung blickt. Es fehlt heute gewiß nicht an Unterschieden in der philosophischen, ethischen, theologischen und unmittelbar praxisbezogenen Theorie des Sozialen. Aber gibt es noch eine katholische Soziallehre? Laufen die erwähnten Unterschiede parallel mit der Unterscheidung des „Katholischen“? Die Frage wäre zu belastet, wollte man von ihrer Beantwortung Recht und Notwendigkeit der eigenständigen Arbeit katholisch-sozialer Bildung abhängig machen. Auch ohne ein theoretisches Unterscheidungsmerkmal des Katholischen in den Bildungsinhalten könnte katholisch-soziale Bildungsarbeit ihren Sinn haben. Denn eines ist doch unbezweifelbar: Es gehört zum „Katholischsein“, sich um die Sache der Gesellschaft, um die Sache des Sozialen theoretisch und praktisch zu kümmern. Und es liegt im Interesse der Gesellschaft selbst, daß die soziale Bildung in einem Angebot aus verschiedenen Quellen geschieht, jeweils möglichst nahe bei der Stelle, an welcher die Menschen sich zu ihrer Verantwortlichkeit gerufen wissen – hier aber spielen Christentum und Kirche gewiß eine wichtige Rolle. Für die Gesellschaft kann die „Konkurrenz“ verschiedener Bildungsangebote das Interesse multiplizieren, das Niveau steigern, das Engagement anspannen; andererseits könnte es bei einer puren Zersplitterung der Träger von Bildungsarbeit freilich auch zu einer Minderung der erreichbaren Leistung kommen. Kooperation, Gespräch können das indessen vermeiden. Jedenfalls ist die Frage nach dem theoretischen Sinn des Wortes „katholisch“ nicht notwendig und unmittelbar gekoppelt mit der Frage der Berechtigung katholisch-sozialer Bildungsarbeit. Um so freier von Vorurteilen und Vorbelastungen ist es möglich, das gestellte Thema anzugehen.

[10] Eine Frage wie die, was im allgemeinen oder in einem besonderen Fall - wie etwa in dem der katholisch-sozialen Bildung – das Wort „katholisch“ sage, läßt sich immer stellen; sie ist zeitlos-abstrakt möglich. Wer aber heute diese Frage stellt, hat einen konkreten Hintergrund.

Er besteht einmal in der ekklesiologischen, d. h. auf die Kirche selbst bezogenen theologischen Diskussion.

Das Zweite Vaticanum hat einerseits das Recht verschiedenartiger Traditionen innerhalb der Kirche, andererseits die „kirchlichen“, kirchen-bildenden Elemente bei anderen christlichen Gemeinschaften betont und diese im Dekret über den Ökumenismus als „Kirchen und kirchliche Gemeinschaften“ bezeichnet. Bringt ein solcher Wandel es nicht mit sich, daß man dabei behutsamer vorgehen muß, etwa eine soziale Doktrin als katholisch oder nicht mehr katholisch zu bezeichnen, als in einer Zeit, da das „Katholische“ in sich selbst als eindeutig definierter, geschlossener Block erschien?

Doch es bedarf gar nicht erst des theologischen Blickes auf die Kirche, um festzustellen, daß die Anfrage an das Wort „katholisch“ im Zusammenhang des Sozialen „aus gegebenem Anlaß“ erwächst. Die Debatten über das „Naturrecht“ und die kirchliche Kompetenz seiner Auslegung schneiden einem gängigen Verständnis katholischer Soziallehre ins Fleisch.1 Das Vordringen empirisch zu lösender Einzelfragen, die nur noch einen sehr vagen Bezug zu zeitlosen „Prinzipien“ erkennen lassen, und die in der Theologie verhandelten Probleme von Ordnungs- und Situationsethik scheinen ebenfalls die Bedeutung und Deutung des „Katholischen“ in katholischer Soziallehre erheblich zu relativieren. Wo es um die „Prinzipien“ katholischer Soziallehre geht: Verblassen sie nicht weithin zu solcher Allgemeinheit, daß an spezifisch Katholischem kaum mehr etwas bleibt? Mehr noch: Gibt es nicht „katholische“ Anlässe genug, um einfach – im Interesse der Freiheit – neoliberal gefärbte Theoreme oder umgekehrt – dem Impuls des Evangeliums zur Solidarität mit den Entrechteten und Schwachen gemäß – neomarxistisch gefärbte Theoreme zu vertreten?

Auf diesem Hintergrund also steht die Frage nach dem Sinn des Wortes „katholisch“ in katholisch-sozialer Bildung.

Zu ihrer Beantwortung ist die vorliegende Untersuchung auf einen verkürzten Weg angewiesen. Sie nähert sich ihrem Thema mittelbar über zwei Vorfragen. Die erste lautet: Was hat sich geändert? Wo haben sich in der katholischen Theologie die Sicht der Kirche und die Sicht der sozialen Wirklichkeit im Ansatz erweitert, verschoben oder neu artikuliert? Die zweite: Wo liegen bleibende Grenzmarken, außerhalb derer einer Theorie des Sozia-[11]len der Name „katholisch“ nicht mehr zuerkannt werden könnte? Diese beiden Vorfragen ergeben die Voraussetzungen, um die thematische Frage nach dem Sinn des Wortes „katholisch“ in der katholisch-sozialen Bildung positiv zu beantworten. Im folgenden werden keine Dokumente des kirchlichen Lehramts, Konzilstexte oder Enzykliken ausdrücklich herangezogen; die Darstellung beschränkt sich bewußt darauf, anstelle punktueller Analysen gewichtiger Aussagen einige grundsätzliche Entwicklungen und Trends zu bezeichnen und in sich selbst zu reflektieren.


  1. Vgl. zu diesem Problem R. Hauser, Naturrecht in der katholischen Sozialethik heute. In: Civitas. Jahrbuch für Sozialwissenschaft 2 (1963) 9–30; H. Wulf, Theologie und Naturrecht. In: Civitas 3 (1964) 9–21. ↩︎