Wegmarken der Einheit

Die frohe Botschaft von der Schöpfung: Botschaft von der Einheit

[19] Das Alte Testament fängt nicht an mit der Geschichte des Bundesangebotes an Mose oder der Berufung des Mose, sein Volk aus Ägypten ins Gelobte Land zu führen. Es beginnt auch nicht mit der Grundlegung der Volksgeschichte im Gehorsam Abrahams, sondern eben mit dem, was im allerersten Anfang war, mit der Schöpfung. Doch weshalb gehört die Schöpfungsgeschichte in die Thora, also in das Bundesgesetz des Volkes Israel, mit hinein? Den Grund haben wir bereits berührt: Der Gott, der Israel seinen Bund anbietet, ist der Schöpfer des Himmels und der Erde. Die Schöpfung ist sozusagen die Vorgeschichte des Bundesschlusses Gottes mit Israel. Was Gott an Israel tut und was Gott von Israel fordert, steht nicht neben einer davon unabhängig existierenden Welt und Menschheit, sondern die Geschichte von Welt und Menschheit läuft auf diese Bundesgeschichte hin. – Wir müssen uns auf knappe Hinweise beschränken, um darzutun, daß Botschaft von der Schöpfung Botschaft von der Einheit ist.

Die Stellung des Menschen

Der erste Schöpfungsbericht (Gen 1,1–2,4a) zeigt uns den Menschen nicht nur als die Vollendung der Schöpfung, sondern auch als ihren Kontaktpunkt mit Gott: Er ist als Bild Gottes erschaffen, er übt Gottes Herrschaft in der Welt aus. Die Schöpfung ist eine Einheit von Gott her und auf Gott hin – und dies wird anschaubar im Menschen; er ist der „Einheitspunkt“ der Welt und zugleich ihr „Begegnungspunkt“ mit Gott (vgl. besonders Gen 1,26–29). Die von Gott verliehene Vollmacht des Menschen, den Dingen einen Namen zu geben, der sie wahrhaft trifft (Gen 2,19f), bestätigt dasselbe: Im Menschen findet die Schöpfung, die durch Gottes Wort [20] erschaffen wurde, ihr Wort. Doch es genügt nicht, daß der Mensch als einzelner Gottes Bild sei. Der Mensch soll innerhalb der Schöpfung seinesgleichen, seinem Bild begegnen können. Das Gespräch mit Gott eröffnet das Gespräch von Mensch zu Mensch, Vertikale und Horizontale ergänzen sich. Im ersten Schöpfungsbericht begegnet uns der Mensch unmittelbar und von Anfang an als Mann und Frau (vgl. Gen 1,27); im zweiten Schöpfungsbericht wird die Frau zum Geschenk Gottes an die Sehnsucht des Mannes, sich selbst zu erfüllen und zu ergänzen. Ich und Du finden zum Ereignis einer neuen Einheit, zum Wir (vgl. Gen 2,20–24). Solche Einheit aber ist von Anfang an nicht nur Erfahrung erfüllender Gegenwart, sondern Ruf in eine offene Zukunft: Aus Mann und Frau, aus ihrer Einheit wächst die Einheit des Menschengeschlechts (vgl. Gen 1,28).

Sünde: Bruch der Einheit

Noch schärfer als unmittelbar bei der Schöpfung wird beim Sündenfall und seiner Konsequenz in der Menschheitsgeschichte der Zusammenhang zwischen Einheit des Menschen mit Gott und Einheit der Menschen miteinander deutlich.

Auch wenn dies nicht in der Erzählabsicht des biblischen Textes im Vordergrund steht, darf darauf hingewiesen werden, daß bereits in der Sünde des ersten Menschen, im ersten und elementaren Ungehorsam des Menschen gegenüber Gott, die zwischenmenschliche Einheit mitbetroffen ist. Der in seiner Nacktheit vor sich selber bloßgestellte, auf sich selbst zurückgeworfene Mensch klagt, von Gott gefragt, die Frau an, daß sie ihm von der verbotenen Frucht zu essen gab (Gen 3,11ff). Wo das unbefangene, unmittelbare Verhältnis zu Gott bricht, da bricht auch etwas zwischen Mensch und Mensch. Der Mensch, der Gott gleich sein will, vergleicht sich zugleich mit seinem Nächsten – und durch die Gemeinschaft geht ein Riß, [21] Einheit gelingt nicht mehr selbstverständlich, sondern wird zum Problem. Wie steht Gott zu dir? Wie steht er zu mir? Der Neid des Menschen auf den Menschen führt zum Brudermord: Kain und Abel (Gen 4,1–16). Und schließlich stellt uns die Urgeschichte der Menschheit nicht nur die zerbrochene Einheit zwischen den Menschen, sondern auch die schrecklichen Folgen einer falschen Einheit vor. Das Bündnis der Selbstherrlichkeit errichtet im Turm von Babel sein Denkmal – und löst sich auf, die Sprachen der Völker verwirren sich, werden einander fremd (Gen 11,1–9). Hier ist der Wendepunkt erreicht, an welchem Gott seine neue Geschichte auf Einheit hin beginnt in der Berufung des Abraham (Gen 12). Diese Geschichte, die gleichzeitig läuft mit der Geschichte der Entzweiung, führt hin zu dem, in welchem die neue Einheit des Ganzen von Gott selber gewirkt wird: Jesus Christus.