Glauben – wie geht das?

Die Fülle des Osterzeugnisses

So einhellig die Auskunft des Osterzeugnisses ist: daß Jesus auferweckt ist, daß er lebt, daß er der Herr ist, so vielfältig sind die Aspekte, die in dieser Einheit umschlossen sind. Wir greifen jene heraus, die uns die neue „Zeitlichkeit“ österlichen Lebens und seine neue „Räumlichkeit“ erschließen. Sie messen dem Gang unseres Glaubens seinen Raum und seine Zeit zu.

Die „Zeitlichkeit“ von Ostern

Wenden wir uns zunächst drei paulinischen Ostertexten zu, die unter einem je verschiedenen Blickpunkt das spezifisch österliche Ineinander von Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit zur Sprache bringen. Im ersten Text (1 Kor 15) wird der österliche Glaube als der Horizont christlichen Lebens überhaupt aufgerissen. Im zweiten Text (Röm 6,1–14) wird die Zeitlichkeit von Ostern als das in der Taufe sakramental dem einzelnen eingestiftete Maß seiner Zeitlichkeit sichtbar. Im dritten Text, der uns bereits vertraut ist (Phil 3,10–14), wird diese Zeitlichkeit unmittelbar im glaubenden Lebensvollzug anschaulich.

[95] 1 Korinther 15

Die Perspektive, unter der Paulus sein großes Osterkapitel 1 Kor 15 schreibt, geht auf die Zukunft. Er wendet sich gegen Unklarheiten in der Gemeinde von Korinth, ob die Toten wirklich auferstehen werden. Auf knappe Striche konzentriert, geht seine Argumentation wie folgt: Die Mitte bildet die paradoxe Formulierung, daß Christus nicht von den Toten auferweckt worden ist, wenn nicht Tote auferweckt werden, wenn also nicht wir auferstehen (Vers 15a und 16). Daß Christus von den Toten nicht auferweckt wurde, dies aber kann nicht sein – denn für die Auferweckung Jesu kann Paulus sich persönlich, zusammen mit einer Reihe von Zeugen, verbürgen. Ihm und ihnen ist der Auferstandene erschienen (Vers 5–8). Durch dieses Gesehenhaben, durch die Selbstbezeugung des Auferweckten vor Paulus und den anderen Urzeugen, erhält das bereits fest geprägte überlieferte Osterbekenntnis, das die Glaubensformel auch für die Gemeinde ist (Vers 3–5), seine Tragfähigkeit. Nur auf diesem Fundament erklärt sich die Wirksamkeit des Apostels und hat sein Einsatz, hat aber auch das Leben der Gemeinde aus dem Glauben seinen Sinn (vgl. die Verse 9–11; 17–19; 30–32; 58).

So ergibt sich folgende zeitliche Struktur: Ostern ist der Horizont unserer Zukunft. Wir werden von den Toten erweckt werden, wir sind berufen zum grenzenlosen, verherrlichten Leben mit Christus in der Herrschaft Gottes, dort wo Gott „alles in allem“ sein wird (Vers 28). Grund dieser Zukunft ist etwas, das bereits geschehen ist, ein Perfectum, das durch die bevollmächtigte Zeugenschaft und den Glauben, der sich auf sie gründet, als Fundament für das Leben der Gemeinde und des einzelnen Christen weiterwirkt: eben die Auferweckung Jesu Christi von den Toten.

Unsere Geschichte ist umspannt vom Bogen, der anhebt bei diesem unwiderruflich geschehenen Anfang und der sich schließt in der Vollendung der Herrschaft Gottes am Ende. Sie ereignet sich schon jetzt als Herrschaft Christi. Der Vater hat auferweckend den Sohn zum Herrn eingesetzt, und im Lauf unserer Zeit wird ein Feind nach dem andern ihm zu Füßen gelegt, bis dann am Ende der Tod ent- [96] machtet wird. Die fortwirkende Verherrlichung Christi durch den Vater, die Einholung der Weltgeschichte in Tod und Auferstehung Christi schlägt schließlich um in die endgültige Verherrlichung des Vaters durch den Sohn, der sich und alles ihm in die Hände gibt (Verse 23–28).

Im Bogen dieser die gesamte Geschichte nach Christi Auferstehung umfassenden Gegenwärtigkeit liegt der Zeitraum unseres Jetzt. In diesem Jetzt leben wir auf Hoffnung hin, aber diese Hoffnung ist bereits mächtige, den Leib des Herrn aufbauende, den Glauben vorantragende Hoffnung, wie das Wirken des Apostels und der anderen Zeugen es erweist (vgl. Verse 8–11). Es ist das Jetzt der angstfreien Gemeinschaft mit dem Kreuz Christi in der beständigen Bedrängnis und ihrer beständigen Überwindung, im Verzicht auf ein bloß jetziges Haben- und Genießenwollen (Verse 30–32). Es ist das Jetzt der besonnenen, nüchternen Bereitschaft, die Zeit mit ihrer Vorläufigkeit, mit ihren Problemen, mit ihrer Bedrängnis liebend und zuversichtlich zu bestehen (Verse 33f. und 56–58).

Dieses „Zeitschema“ fügt sich in das andere und füllt es aus, das uns in der Botschaft Jesu von der nahegekommenen Gottesherrschaft begegnet. Sie ist in Jesu Tod und Auferstehung angebrochen, ihre Vollendung steht noch aus. Die Sicherheit, daß sie durch den Auferstandenen schon da ist, und die gleichzeitig bleibende Spannung auf ihre Vollendung verwandeln unsere Gegenwart in Zuversicht, Gelassenheit und jene Bereitschaft zum Kreuz, die schon in Ostern verankert ist.

Römer 6,1—14

Die österliche Zeit wird zu unserer Lebenszeit durch die Taufe. Dies dürfen wir an der Tauftheologie des Paulus im Römerbrief (6,1–14) ablesen. Jesus Christus ist ein für allemal gestorben und auferstanden. Im Tod Jesu ist die Sünde ausgelitten, durch Jesu Ja zum Vater ist das Nein des Menschen zu Gott ausgeheilt. Menschliches Leben ist sozusagen gegen die Macht der Sünde in Jesu Tod [97] „immunisiert“. Und menschliches Leben ist zugleich in der Auferweckung Jesu in eine neue Ebene von Leben, in das Leben ein für allemal mit Gott hineingehoben (vgl. die Verse 9–10). Diese neue Gegenwart steht nun für uns bereit, sofern wir uns in sie hineingeben. Dies geschieht fundamental in der Taufe. In ihr werden wir in den Tod Jesu hineingetaucht, um mit ihm ins neue Leben hervorzugehen (vgl. Verse 3–8 und 11).

Freilich bleibt eine zweifache Spannung. Wir sind jetzt bereits, als Getaufte, im neuen Leben, wir sind schon mit Christus auferstanden in sein neues Leben hinein (Verse 4 und 13); doch die Vollgestalt auferstandenen Lebens steht noch aus, wir sind noch zu ihr unterwegs: Auferstehung ist unsere Zukunft (vgl. Verse 5 und 7). Die zweite Spannung: Wir haben den Weg ins neue Leben bereits angetreten, wir sind bereits von Gott her in es hineingenommen durch die Gemeinschaft mit Tod und Auferstehung Jesu in der Taufe (Verse 2–4; 6–8; 11). Und doch ist dieser unwiderruflich gesetzte Anfang uns je neu aufgegeben, wir müssen ihn je neu von uns her vollziehen, um seine Wirksamkeit zu entfalten (Verse 12–14). Entsprechendes zeigt uns die Botschaft vom einbrechenden Gottesreich: Die Herrschaft Gottes kommt uns zuvor und wir können sie nicht aufhalten – aber sie fordert uns heraus, daß wir ihr Kommen tun, und in dieses Kommen hinein umkehren, auf sie und darin auf Gott uns glaubend verlassen.

Das Perfectum der Auferstehung Christi wird in uns zur Gegenwart durch die Taufe. Sie ist das Perfectum unserer Übereignung an Christus, diese Übereignung muß aber in je neuer Gegenwart geschehen und hat die Vollendung, die endgültige Aufnahme unserer Lebensgestalt in die Lebensgestalt des Auferstandenen noch als Zukunft vor sich.

Philipper 3,10—14

Dieselbe Zeitfigur beschreibt der Vollzug unserer Nachfolge, wie ihn Paulus im Philipperbrief (3,10–14) zeichnet. Jesu Tod und seine Auferstehung sind der Grund, auf den sich mein Leben im [98] Glauben stellt. Dieser eine, schon gegebene Grund prägt meine Gegenwart, indem ich sie als Gemeinschaft mit den Leiden Christi lebe und in die Gestalt des Gekreuzigten, mich je neu verlassend und ihm mich übergebend, hineinwachse. Seine Auferstehung ist das Ziel, ihre Offenbarung an mir steht noch aus. Aber gerade so entfaltet sie ihre Dynamik, ihre Kraft. Ich weiß mich nämlich als ein Ergriffener: zwar habe ich das, wovon ich ergriffen bin, noch nicht ergriffen, ich werde aber je neu aus mir herausgeholt, lebe ich im „je weiter“ von Augenblick zu Augenblick, das lassend, was hinter mir liegt, mich ausstreckend nach dem, was vor mir liegt. Das eine Perfectum von Kreuz und Auferstehung bestimmt nicht nur meine Zukunft, mein auferstandenes Leben mit Christus, sondern auch meine Gegenwart, die zugleich Bereitschaft zum Kreuz, ja Tragen des Kreuzes und dynamische Freiheit über alle Vorläufigkeiten hinaus bedeutet.

Um auch hier nochmals an der Zeitlichkeit der Gottesherrschaft anzuknüpfen: Der ist schon da, der unsere Zukunft ist, und so haben wir in der Gegenwart und ihrer Endlichkeit neue Zukunft. Das nimmt aber nicht die Endlichkeit unserer Gegenwart hinweg, sondern verwandelt sie von innen her.

In unseren drei Paulustexten, und über sie hinaus, im Gesamt des Neuen Testamentes, begegnet uns also eine neue, die „österliche“ Zeitlichkeit.

Das grundlegende Ereignis der Auferweckung hat Jesus ein für allemal als den „treuen Zeugen“ bestätigt (Offb 1,5). Er ist als der Herr und als der Sohn Gottes in Macht beglaubigt und inthronisiert (vgl. Phil 2,11; Röm 1,4). Dieses Ereignis geht weiter in Überlieferung und Zeugnis, die den Glauben und das Leben der Gemeinden zurückbinden an den unwiderruflich gesetzten Anfang (vgl. 1 Kor 15,3; Lk 24,48; Apg 1,8; 2,32; 1,22). Die „perfektische“ Bedeutung von Auferstehung ist zugleich die des neuen Anfangs: im Glauben gründen wir uns auf diesen Anfang, in der Taufe wachsen wir in ihn hinein, die ganze Menschheit wird neue Menschheit von Jesus, der in der Auferstehung als der neue Adam sich bewährt (vgl. 1 Kor 15,22.45). Darin aber ist Auferstehung Quelle der Zukunft und Horizont unserer Zukunft. Auferstehung ist nicht nur für Jesus [99] und an ihm geschehen, sondern wie er unseren Tod getragen hat, so ist sein Leben jetzt unser zukünftiges Leben. Unser Leben ist mit ihm nun bereits verborgen in Gott (vgl. Kol 3,3f.). Unsere Gegenwart wird zulaufen auf die Auferstehung, deren wir teilhaft zu werden hoffen. Im Zulaufen auf die Auferstehung aber ist es zugleich Herkommen von ihr, beständige Verwandlung unserer Gegenwart, die wir als Teilhabe am Kreuz Christi verstehen, in Gelassenheit und Zuversicht, in Kraft des Zeugnisses, aus der Gemeinschaft mit dem Auferstandenen her. Auferstehung bewährt sich so als die Eröffnung der neuen Zeit, der Zeit der anbrechenden Gottesherrschaft.

Die „Räumlichkeit“ von Ostern

Haben wir nicht eine wichtige Zeitbestimmung der Auferstehung ausgelassen? Die österliche Gegenwart des Herrn in uns ist nicht nur weiterwirkende Vergangenheit und vorwegwirkende Zukunft. Das Neue Testament spricht deutlich von der lebendigen Gegenwart des lebendigen Herrn unmittelbar jetzt, und dies in einer doppelten Weise: Einmal ist er jetzt beim Vater, und wir haben durch ihn den Zugang und die Verbindung zum Vater, wir steigen sozusagen „nach oben“ über unsere begrenzte Gegenwart hinaus in die Gegenwart Gottes – und zum andern ist Jesus, der lebendige Herr, bei uns, er ist gegenwärtig mitten unter denen, die an ihn glauben.

Ja, diese Ergänzung ist fällig, sie ist sogar die Spitze österlicher Botschaft und österlichen Glaubens.

Wir wollen uns nun dieser Spitze der lebendigen Gegenwart dessen, der lebt, nähern. Wir wollen es, indem wir die eigentümliche „Räumlichkeit“ der Gegenwart des Auferstandenen entfalten. Stellen wir der Besinnung darauf einen zusammenfassenden Text voran. Jesus sagt: „Nur noch kurze Zeit vergeht, und die Welt sieht mich nicht mehr; aber ihr seht mich, weil ich lebe und weil auch ihr leben werdet. An jenem Tag werdet ihr erkennen: Ich bin in meinem Vater, ihr seid in mir, und ich bin in euch“ (Joh 14,19f.).

Es ist ein österlicher Text. „Jener Tag“ ist der Ostertag. Wir kön- [100] nen – kraft des Geistes, den der Auferstandene uns mitteilt und von dem in den Versen zuvor die Rede war – ihn sehen, weil wir mit ihm verbunden sind im selben, neuen, österlichen Leben. Dieses Sehen ist nicht ohne die Dunkelheit des Glaubens, es ist für uns vermittelt durch jenes „Selig“, das der Auferstandene denen zuerkennt, die nicht sehen und doch glauben (vgl. Joh 20,29).

Doch im Zeugnis des Geistes eröffnet es sich: Er ist in uns, will sagen in unserem Innern, aber genauso, ja zumal zwischen uns, in unserer Mitte. Doch er geht nicht darin auf, erschöpft sich nicht darin, sein Leben in uns und zwischen uns zu haben. Nein, der in uns und zwischen uns lebt, lebt bei seinem Vater. Nur weil Jesus zum Vater hin auferstanden ist, ist es mehr als individuale oder auch kollektive Subjektivität, daß er in uns, in seiner Kirche lebt. Und weil der, der in unserer Mitte lebt, eben auch und zuerst beim Vater lebt, ist unsere Gegenwart zuinnerst verwandelt: Er trägt auch uns in sich, er nimmt auch uns in jenes neue Leben hinein, das sich nicht in dem erschöpft, was wir tun und erfahren. Jesu Gegenwart bei uns ist zugleich Anfang und Unterpfand der Zukunft, ohne die unsere Gegenwart keine erfüllte, keine wahrhaft erlöste wäre.

Der Kolosserbrief sagt es so: Christus unter euch, die Hoffnung auf Herrlichkeit (vgl. Kol 1,27). Dieser Brief zeigt uns zugleich die Verschränkung der doppelten Räumlichkeit des Auferstandenen, seines Lebens beim Vater und unter uns. Weil er unter uns lebt, weil er gegenwärtig ist hier, ist unser eigenes Leben geöffnet über das Hier und Jetzt hinaus, in die Zukunft, in die Herrlichkeit, die uns bevorsteht durch die Gemeinschaft mit dem Auferstandenen. Und umgekehrt, indem er beim Vater ist, auf den sich die ganze Hoffnung unseres Lebens und die ganze Wirklichkeit unseres Lebens konzentriert, ist unser Leben schon jetzt mit ihm beim Vater, unsere Gegenwart ist verborgen im Raum unserer Zukunft – und wenn der Herr in Herrlichkeit erscheinen wird, wenn diese unsere Zukunft in das Hier und Jetzt, in die Gegenwart durchbrechen wird, dann wird unsere verborgene Gegenwart offenbar werden: „Ihr seid mit Christus auferweckt; darum strebt nach dem, was im Himmel ist, wo Christus zur Rechten Gottes sitzt. Richtet euren Sinn auf das [101] Himmlische und nicht auf das Irdische. Denn ihr seid gestorben, und euer neues Leben ist mit Christus verborgen in Gott. Wenn Christus, unser Leben, offenbar wird, dann werdet auch ihr mit ihm offenbar werden in Herrlichkeit“ (Kol 3,1–4).

Sind solche Zeugnisse aus dem Johannesevangelium und dem Kolosserbrief nicht weitgetriebene Ausformungen des Osterglaubens, der elementar viel einfacher und „nüchterner“ geht? Wir haben an die Grundformeln österlichen Bekenntnisses erinnert, die uns in den Apostelbriefen als ein ihnen vorgängiges, bereits in den Gemeinden bekanntes Überlieferungsgut bezeugt sind und in denen wir sozusagen das „Urgestein“ des verfaßten Glaubens überhaupt berühren. Wenn wir diese Formeln auf ihren Inhalt und vor allem auf ihren Sitz im Leben der Gemeinden hin prüfen, dann finden wir bestätigt: In ihnen spricht sich dasselbe aus, was bei Johannes und im Kolosserbrief zur Sprache kommt.

Wir können diese Formeln auf zwei verschiedene Typen hin als „Grenzwerte“ einteilen. Im einen Typ sind die elementaren Heilstatsachen von Kreuz und Auferweckung genannt, im anderen Typ ist eine Anrede, ein Titel Jesu, mit Vorzug der Titel des Herrn, Inhalt oder doch Achse. Eine elementare Form des ersten Typs ist uns bereits im Osterkapitel des 1. Korintherbriefs begegnet: „Christus starb für unsere Sünden, wie es die Schriften gesagt haben, und wurde begraben. Er ist am dritten Tag auferweckt worden, wie es die Schriften gesagt haben, und erschien dem Kephas, dann den Zwölf“ (1 Kor 15,3–5). Die knappste Form des anderen Typs: „Jesus ist der Herr!“ (1 Kor 12,3). Beide Typen berühren und durchdringen sich, erweitern sich z. T. zum Lied und Hymnus, wie etwa im Philipperbrief (2,6–11); hier ist die zweite Form von einer ausgefalteten ersten umspannt. Beide Typen sind einander dicht zugeordnet; wo Jesus als der Herr ausgesagt wird, da geht es um eine Verkündigung des Ostergeheimnisses. Und wo die Heilstatsachen von Kreuz und Auferweckung ausgesagt werden, da geht es um eine Begründung dessen, daß er der lebendige Herr ist.

Diese Formeln stammen aus der Versammlung der Gemeinde. Anderswo könnten sie ja nicht zustande kommen als eben dort, wo [102] die Gemeinde beisammen ist, um ihren Glauben zu feiern und auszusprechen. Der erste, der „aussagende“ Typ kann als Taufbekenntnis verwandt worden sein. Der zweite Typ, der „anrufende“, ist als Zuruf der Gemeinde zu verstehen, in dem Jesus der Erhöhte gefeiert, gepriesen, proklamiert wird. Und er wird gefeiert, gepriesen, proklamiert, weil er da ist, weil er als der Gemeinde sich schenkend, als ihr nahe erfahren wird. Solche Nähe, solche Gegenwart in der Gemeinde hat zumal in der Eucharistiefeier ihren lebendigen Ort, reicht aber über die sakramentale Gegenwart hinaus. Die eucharistische Gegenwart ist dichteste Form der Gegenwart bei seiner Gemeinde, aber seine Gegenwart erschöpft sich nicht in der Eucharistie.

Die Formeln, die das Heilsgeschehen von Tod und Auferweckung nennen, beschreiben die Linie des Aufstiegs. Die Formeln, die Jesus als den Herrn preisen, artikulieren seinen Eintritt aus der Höhe, seinen Durchbruch aus dem Sein beim Vater, sie beschreiben in diesem Sinne die absteigende Linie. Herr als Titel Christi bezeichnet seine Erhöhung zu Gott und, aus dieser Erhöhung heraus, seine Nähe zu uns, seine wirkmächtige Gegenwart. Diese wirkmächtige Gegenwart aber ist nirgendwo vorgestellt als eine „Wirkungsgeschichte“ im modernen Sinn, als ein Weiterwirken der Faktoren, die in der Predigt, im Handeln, Leben und Sterben Jesu zum Vorschein kamen und die nun weitergehen und sich zu einer neuen Weise seiner Gegenwart verdichten. Nicht nur vom Weltbild bedingt, sondern von der inneren Richtung seines Lebens und Sterbens her ist Jesu Weg der Weg zum Vater, der Weg der Hingabe, der durch die Schranke des Todes durchbricht, bei ihm ankommt, in ihm sich für ganz und immer festmacht, dort geborgen, dort erhoben ist. Und aus dieser Geborgenheit und Erhobenheit beim Vater gewährt sich der Herr seiner Gemeinde, kommt er ihr nah, tritt er in ihren Kreis.

Jesus ist auferstanden zum Vater und auferstanden zu uns. Aber die Auferstehung zu uns läuft über den Vater, ist nicht nur bei der endgültigen Wiederkunft, sondern auch im Jetzt der Gemeinde, der in seinem Namen Versammelten, Geschenk aus der Höhe.

[103] Um die Herrschaft Gottes herbeizuführen, muß sich Jesus in den Tod geben, rückt also scheinbar die Herrschaft Gottes ferne. Der „Umweg“ über den Tod in die Herrlichkeit, dieser Umweg Jesu ist der Weg der Gottesherrschaft. Er enthüllt sich an Ostern als doppeltes Ankommen: Ankommen beim Vater und Ankommen bei uns. Dieses Ankommen aber läuft wiederum in derselben Kurve. Der Weg des Opfers und Gehorsams ist Weg der Verherrlichung. Der Abschied von uns hin zum Vater aber ist als solcher neuer Weg zu uns. Mit Johannes gesehen: Es gibt kein Festhalten des Auferstandenen, wir müssen ihn aufsteigen lassen zum Vater (vgl. Joh 20,17). Indem wir aber den Herrn zum Vater gehen „lassen“, ereignet sich von ihm her neues Eintreffen, neue Ankunft (vgl. Joh 14,4–9 und 18–20; 14,28; 16,4b–28). Mit einem anderen Akzent: Jesus geht hin, um uns eine Wohnung beim Vater zu bereiten (vgl. Joh 14,2f.), und er kommt zugleich, um in uns Wohnung zu nehmen (Joh 14,23 und 15,1–8).

Das Motiv der Himmelfahrt, des Aufstiegs zum Vater und der Auferstehung sind mannigfach miteinander verknüpft, werden zum Teil ineinander gesehen, zum Teil voneinander abgehoben. Doch gehört das Motiv als solches selbstverständlich und wesentlich zur elementaren Osterbotschaft hinzu. Eines der Grundmotive hierbei: Jesus zur Rechten des Vaters (vgl. Apg 2,33; 5,31; 7,55f.; Röm 8,34; Eph 1,20; Kol 3,1; Hebr 1,3; 8,1; 10,12; 12,2; 1 Petr 3,21f.). Andere Ausdrücke für denselben Sachverhalt sind etwa die Aufnahme Jesu in den Himmel (1 Tim 3,16; Apg 1,2.11.22; Mk 16,19), des Aufsteigens (vgl. Joh 20,17; Röm 10,6; Eph 4,8ff.), der Erhöhung (Phil 2,9; Joh 3,14; 8,28; 12,32 – bei Johannes sind in Erhöhung freilich Kreuz und Verherrlichung zusammengeschaut).

Das Gehen zum Vater und Sein beim Vater ist verbunden mit der räumlichen Vorstellung der „Höhe“, des „Himmels“. Dies ist weltbildlich bedingt, sagt aber in solcher Weltbildlichkeit zugleich etwas für den Glauben Bedeutsames. Höhe, Himmel bedeutet das, was überlegen ist, was zusammenfaßt, was dem Zugriff entzieht, was aber von sich her die Möglichkeit der Nähe, des Eingriffs, der [104] Übersicht, des Kommens offenhält, was die Tiefe umschließt und birgt. In der Vorstellung vom Himmel fällt also nicht die Sprache der Botschaft hinter jenes Maß zurück, das sie in der Botschaft vom anbrechenden Gottesreich, vom Einbruch des Himmels in diese Erde, vom Aufsteigen Gottes ins Zentrum unseres Lebens erreicht.

Eine solche Deutung des Aufstiegs Christi in die Verborgenheit Gottes wird durch zweierlei ausgeschlossen.

Einmal dadurch daß Jesus beim Vater lebt, um für uns einzutreten – dies ist die Sprengkraft der Theologie des Hebräerbriefs vom Christus dem Hohenpriester – (vgl. bes. 4,16; 5,7–10; 7,25): Hier ist einer wie wir, hier ist einer, der unser Herz und Leben in sich trägt, beim Vater (vgl. auch Röm 8,34). Die Barriere zwischen oben und unten ist eingerissen, es gibt den freien Zugang zum entzogenen Gott durch Jesus Christus (vgl. Röm 5,2; Eph 2,18; 3,12).

Zum andern steht Jesu Aufstieg zum Vater deswegen nicht im Widerspruch zur Botschaft vom Kommen Gottes, vom Kommen seiner Herrschaft in unsere Welt und in unser Leben, weil der Herr, der in den Himmel geht, ja in sein Kommen hineingeht. Seit er sich zur Rechten des Vaters setzt, ist er im Kommen. Dieses Kommen ist gewiß das Endgültige, die Welt Vollendende, die Zukunft, die noch aussteht. Es ist aber zugleich jenes beständige Kommen, das schon jetzt als Unterpfand dieser Zukunft, als lebendige Hoffnung uns durchdringt. Wir sind nicht alleingelassen, sondern der Herr bleibt.

Das Matthäusevangelium mündet in die Verheißung Jesu, daß er bei uns bleiben will alle Tage bis ans Ende (vgl. Mt 28,20), und es hat in seiner Mitte die Verheißung, daß der Herr dort bleibt, dort je neu da ist, wo wir in seinem Namen uns versammeln. Und Paulus schreibt der Gemeinde von Korinth: „Fragt euch selbst, ob ihr im Glauben seid, prüft euch selbst! Erfahrt ihr nicht an euch selbst, daß Jesus Christus in euch ist?“ (2 Kor 13,5). In dieselbe Richtung weist es, wenn im 1. Korintherbrief der Sinn aller Geistesgaben darin gipfelt, daß jener Fremde oder Ungläubige, der in die Gemeinde eintritt, erfahren können soll, daß Gott in ihrer Mitte ist (vgl. 1 Kor 14,25). Und wenn die Ostergeschichten, die in den Evangelien von der Begegnung mit Jesus sprechen, mit Ausnahme der Er- [105] zählung des Gesprächs Jesu mit Maria Magdalena, ausnahmslos von der Begegnung Jesu mit mehreren, mit einem Kreis von Jüngern handeln, dann klingt hier die Erfahrung der versammelten Gemeinde und der Gegenwart des Herrn in ihrer Mitte an. Wir können umfassend sagen: Die Schriften des Neuen Testamentes verfolgen als eines ihrer Hauptinteressen die Bereitung und Bestärkung der Gemeinden, damit sie mit dem lebendigen Herrn in ihrer Mitte leben können. Wenn sie mit ihm leben, dann geben sie der Welt das Zeugnis, das ihrer Mission entspricht. Wenn sie mit ihm leben, dann lebt unter ihnen jene Hoffnung, die sie nicht untergehen läßt in den Bedrängnissen und Enttäuschungen einer Geschichte, die nach ihrem äußeren Augenschein dem widerspricht, was der Glaube sagt: Der Herr ist im Kommen, er ist dabei, seine Herrschaft aufzurichten und zu vollenden.

Die „Räumlichkeit“ von Ostern ist so bestimmt durch die Achse: Der Herr beim Vater – der Herr in unserer Mitte. Um diese Achse schwingt christlicher Glaube und christliche Hoffnung. So hat christliches Leben seinen Halt und seine Dynamik.