Gott und das Denken nach Schellings Spätphilosophie
Die immanente Differenz des Denkens bei Schelling
Die thematisch ausgearbeitete Frage des Anfangs unseres Mitdenkens mit Schellings Spätphilosophie ist in der Durchführung dieses Mitdenkens die einzige leitende Frage geblieben: es ist die Frage nach dem Denken.
Sie führte von selbst zum schlechthin Anderen des Denkens, zum absoluten Prius, dem reinen Unvordenklichen und zurück zur Zugehörigkeit des Denkens zu diesem Anderen, das es als Denken erst zu seiner Helle, zu seinem Wesen, zuhöchst zur absoluten Freiheit lichtet als den göttlichen Gott.
Das Denken, wie Schelling es versteht, umschließt in sich selbst diese Differenz: es ist es selbst aus sich selbst, als Ursprünglichkeit, ist aber ursprünglich nur im lichtenden Verweis auf sein Anderes, schlechthin Vorgängiges, d. h. als mediale Ursprünglichkeit.
Die Weise nun, wie Schelling seinen Gedanken des Denkens als medialer Ursprünglichkeit ausführt, umfaßt selbst wieder eine Differenz, die diesem Gedanken entgeht und uns so sein ihn begrenzendes „Geschick“ bezeichnete: Was Schelling leitet, ist die Grunderfahrung der „Ergriffenheit“ des Denkens: das Denken geht auf als Zeugnis seines je Größeren und Früheren, welches Größere und Frühere es gerade so mit seiner Eigenständigkeit und Ursprünglichkeit begabt. Die Weise, wie Schelling diese Grunderfahrung zum gedachten Gedanken verfaßt, gibt ihr indessen eine andere Richtung: das Denken begreift sich als das Denken, als constituens dessen, wovon es doch „ergriffen“ ist, als „Bedingung seines Bezeugten – und so entgeht ihm dieses gerade in seinem reinen, betreffenden Auf- und Angang. „Das“ Denken wird die [296] Potenz des absoluten Aktes, die Vorstelligkeit seiner Möglichkeiten, kraft deren er sich erst über sie, als absolute Freiheit, erhebt.
Die Folgen fürs Denken sind uns vertraut: es bleibt im Grunde einsam, weil es sich auf alles versteht, als das Setzende der omnitudo realitatis ist es nicht fähig, Beziehung und Aussein aufs eigentlich, will sagen: aufs dialogisch Andere zu „denken“ bzw. dem Überschuß dieses Anderen übers Denken denkend gerecht zu werden.
Die Frage, die angesichts dieses uns bekannten Befundes bleibt, ist immer noch die Frage des Anfangs, die Frage: Was ist das für ein Denken, das uns in Schellings Spätphilosophie begegnet? Sie ist nur „wissender“ geworden im Durchgang durch das Denken dieser Spätphilosophie, sie fragt nun nach dem Zusammenhang zwischen Grundeinsicht und Grunderfahrung dieses Denkens auf der einen und Mitteln und Gestalt der Durchführung dieses Denkens auf der anderen Seite.
Wie kann derselbe Gedanke des Denkens ergriffen sein von der qualitativen Transzendenz seines zu Denkenden und so hinblicken auf sie, auf die Göttlichkeit, Freiheit, geschichtliche Mächtigkeit Gottes aus sich selbst, und wie zugleich den „Triumph“ des Denkens hineindenken in sein Unvordenkliches, so aber sich der Würde des „bloßen“ Zeugen des Undenklichen begeben durch den Begriff, der es, wenn auch als undenklich, zu begreifen vermeint?
Wir wollen zwei bereits angedeutete Hinsichten zur Klärung dieser Frage nun noch ausdrücklich machen und Schellings Denken als wollendes und als ästhetisches Denken kennzeichnen.