Das problematische Verhältnis von Philosophie und Theologie

Die Konsequenz: theologische Postulate an die Philosophie

Weil Gott in die menschlichen Fragen hineinspricht, weil Gott sich selber ins menschliche Denken und Sagen hineinsagt, weil Gott in Jesus die Fragen des Menschen mitspricht und selbst übernimmt, weil glauben sich selbst mitbringen heißt auf den sich uns zubringenden Gott hin, weil glauben des weiteren heißt den Weg Jesu mitgehen und somit den Weg der Menschheit mitgehen, deshalb gehört Philosophie ins Innerste der Theologie hinein.

Die Struktur der Theologie, welche Philosophie mit einschließt, schließt sie freilich in bestimmter Position mit ein. Theologie richtet sich nicht eine „angepaßte“ Philosophie her – sie darf es wenigstens nicht –, deren sie sich bedienen kann, ohne sich selber wehezutun; aber wenn sie überhaupt die Partnerschaft Gottes zum menschlichen Denken, in die Gott sich begeben hat, ernst nimmt, dann sind damit Qualitäten, Merkmale der Philosophie mit gesetzt, die in der Theologie ihren Ort hat.

Nennen wir vier solcher Qualitäten oder Merkmale: Philosophie als Anderes gegenüber der Theologie, Philosophie als Frage nach dem Ganzen, Philosophie als unabschließbar und Philosophie als offen.

Philosophie als Anderes gegenüber der Theologie: Wenn Gott nicht bloß bei [235] sich selber bleibt, wenn Gott sich über sich selbst hinausbegibt und entäußert, wenn Gott uns dort sucht und einholt, wo wir sind, dann gehört eben das, was wir von uns aus sind, dann gehören wir in unserem Eigenen, dann gehört auch unser Denken in seinem Eigenen in diesen Kontext der Theologie. Philosophie, die nur Theologie im Medium des Begriffs wäre, griffe zu kurz, eignete sich nicht für die Partnerschaft zu dem Gott, dessen Souveränität und Allmacht und Alleinigkeit es gerade ist, anderes als anderes sein zu lassen und anderes als anderes anzusprechen, anzunehmen.

Philosophie als Frage nach dem Ganzen: Wenn Philosophie darauf verzichten wollte – und diese Gefahr ist alles eher als abstrakt –, die Frage nach dem Ganzen zu stellen, nach dem, von woher alles seinen Sinn hat, worauf alles hinausläuft, was alles trägt, wenn sich Philosophie also in bloßer Pragmatik und Analytik erschöpfte, dann käme sie gar nicht bis zu dem Punkt, an dem sie als Philosophie von der Theologie befragt ist. Solche Philosophie wäre zwar als Phänomen auch für die Theologie von Belang; Theologie müßte es als die Situation des Denkens ernst nehmen, daß dieses Denken nicht mehr nach sich selber, nach seinem Horizont und nach seinen Implikaten fragt. Aber Theologie müßte zugleich hartnäckig und unablässig die Philosophie dazu herausfordern, sich nicht selbst zu unterlassen. Sie müßte den Finger darauf legen, daß die Verweigerung der Frage nach dem Ganzen und nach dem Sinn bereits eine Antwort auf diese Frage impliziert und undurchschaute Vorentscheide mitenthält.

Philosophie als unabschließbar: Eine Philosophie, die mit sich und allem „fertig“ würde, eine Philosophie, die damit rechnete, daß ihr Ergebnis eines Tages das Weiterfragen erübrigte, eine Philosophie also, in welcher die Geschichte menschlichen Denkens und Fragens nicht als je größere, unvollendbare Geschichte mächtig wäre, nähme nicht die Herausforderung der Theologie an, je neu das Fragen des Menschen einzubringen in die Begegnung mit der Botschaft. Dies bedeutet alles eher als Relativismus, als Verzicht der Philosophie auf Endgültiges und Verbindliches. Endgültigkeit und Verbindlichkeit selbst aber stehen im Prozeß des Weitersagens und Weiterfragens inne, wie auch die Endgültigkeit und Letztgültigkeit der Offenbarung Gottes in Jesus die Geschichte des Glaubens eben nicht aus- sondern einschließt und in Gang bringt.

Philosophie als offen: Philosophie kann nie Theologie „machen“, Denken nie Offenbarung herstellen. Beide Ordnungen sind je eigene, je andere. Aber weil beide Ordnungen universale Ordnungen sind, muß auch das je andere in ihnen vorkommen. Also: Philosophie ist etwas für die Theologie, aus ihrem eigenen, theologischen Ursprung – und auch Theologie, Offenbarung müssen etwas sein für die Philosophie, aus ihrem eigenen, philosophischen Ursprung her. Nur diejenige Philosophie ist wahrhaft transzendental, die jenes bedenkt und ernst nimmt, was sie nicht aus sich selber heraus zu erstellen vermag. Gerade zur Universalität und Transzendentalität der Philosophie gehört es, die Theologie, die Offenbarung als ihr je Anderes zu bedenken. Nicht Rückführung auf innerphilosophische Prinzipien und Möglichkeiten, sondern philosophisches Ernstnehmen des philosophisch nicht Machbaren: dies ist das „Philosophischste“ von Philosophie. [236] Mit diesen vier Postulaten ist freilich ein „Gericht“ über die Philosophie angesagt. Der Glaube kennt eine Wahrheit und ein Heil, welche die Philosophie nicht aus ihrem Eigenen, nicht aus ihrem Apriori als Wahrheit und Heil kennen – darum aber auch nicht als Wahrheit und Heil ausschließen kann. Theologisch ist so Philosophie zwar je eingeschlossen in und herausgefordert von der Offenbarung – aber sie bleibt ihr gegenüber Vorletztes, vermag nicht aus sich das Heil.

Doch gerade in solchem Gericht ist Philosophie aufgerichtet und freigegeben an sich selbst: eben als das Andere gegenüber Offenbarung und Theologie, als Frage nach dem Ganzen, als unabschließbar und als offen.

Theologie darf solches „Gericht“ freilich nicht ansagen, ohne sich zugleich selbst unter dieses Gericht zu stellen. Wenn Theologie ihre Verwiesenheit auf die Philosophie verliert, verliert sie sich selbst; denn sie verliert die wesenhafte Ausrichtung des Wortes Gottes auf das partnerische, sich allein von sich her gebende und öffnende Fragen und Denken des Menschen. In solchem Gericht über sich muß Theologie jedoch auch den Mut bewahren, anders zu sein gegenüber der Philosophie. Indem sie sich von der Philosophie in Frage stellen läßt, darf sie eines nicht in Frage stellen lassen für sich selber: ihren Ausgang bei der Offenbarung Gottes, bei der auctoritas Dei revelantis. Würde sie diesen Anspruch und diese Autorität an eine andere Instanz abtreten, an die sich selbst durchsichtige menschliche Vernunft, so nivellierte sie ihren Unterschied zur Philosophie. Noch immer ist das Eigene der Theologie und der Philosophie gültig gewahrt in der alten Antwort auf das Problem der analysis fidei: Es gibt keinen anderen Grund des Glaubens als den ihm immanenten, die auctoritas Dei revelantis. Das entwertet keineswegs die motiva credibilitatis und credenditatis, aber philosophische oder historische Plausibilität kann nicht Glauben als Glauben begründen und tragen. Die Herausforderung von Theologie und Philosophie aneinander ist die Herausforderung in den je eigenen, je anderen Ansatz hinein.