Gott und das Denken nach Schellings Spätphilosophie
Die Methode der Frage
Noch ehe auf solchem Hintergrund die Frage nach Gott und dem Denken in Schellings Spätphilosophie genauer umrissen, d. h., ehe ihr Umriß aus dem versuchten Vorblick erhoben und im Hinblick auf den Stand der Forschung begrenzt wird, soll kurz die Methode, in welcher diese Frage sich zur Untersuchung ausarbeiten soll, zur Sprache kommen – kurz deshalb, weil sie sich aus ihrer eigenen Konsequenz her in den Gang der Untersuchung selbst als deren erster Schritt nochmals ausdrücklich eintragen wird. Die Methode unserer Frage erwächst aus dem bereits Bedachten unmittelbar. Wir sahen im wesentlichen zweierlei: Einmal zeigte sich uns die Frage des späten Schelling nach Gott [17] als Frage des Denkens und an das Denken, als Frage des Denkens nach sich selbst. Deshalb kann sein Zugang zu Gott in dem, was ihm eigen ist, nur ans Licht kommen, wenn das Denken ans Licht kommt, dem er sich erschließt. So unerläßlich fürs Verständnis eines Gedankens die Kenntnis seiner unmittelbaren historischen und biographischen Bedingungen sowie seiner geistes- und denkgeschichtlichen Voraussetzungen und Abhängigkeiten ist, so wenig erschöpfen diese ihn als Gedanken. Als solcher geht er erst auf, indem seine Bedingungen, Voraussetzungen und Abhängigkeiten „eingeschmolzen“ sind zum denkenden Prozeß, der ihn als Gestalt, als gedachten Gedanken hervorbringt.
Solches gilt allgemein, gilt aber mit Vorzug eben für die Gedanken der Epoche des deutschen Idealismus, in welcher das Denken in unerhörter thematischer Ausdrücklichkeit seine Durchsichtigkeit für sich selbst und seinen Hervorgang aus sich selbst gewinnt. Es geht daher im folgenden primär nicht um Motive, die Schellings Gedanke verarbeitet, und um Zusammenhänge, in die er sich hineinordnet, nicht um Auskünfte, die er zu ihm von außen gestellten Fragen erträgt, oder auch um eine Vollständigkeit, die alle seine Aussagen sammelt und verarbeitet, sondern um den in solchen Aussagen, Motiven und Zusammenhängen geschehenden Gedanken selbst, um seine Denkmöglichkeiten an sich selbst. Es soll jene Mitte aufgesucht werden, die wie eine geheime Achse das Mitdenken von selbst in die Schwingungen und Bewegungen setzt, welche die fixierten Punkte der Aussagen Schellings vereinen und verständlich machen als die Zeugnisse eines Gedankens.
Dieses methodische Programm übersteigt freilich, fast mit Notwendigkeit, den Versuch seiner Einlösung. Gleichwohl erschöpft es das zur Methode unserer Untersuchung zu Bemerkende noch nicht. Das andere nämlich, was unserem ersten Hinblick auf Gott und das Denken nach Schellings Spätphilosophie auffiel, war nichts bloß an ihr selbst, sondern jenes, was diesen Hinblick bewegte, von wo aus er sich auf den Gedanken Schellings zu bewegt fand. Es war die Situation gegenwärtigen religionsphilosophischen Interesses an ihm. Dieser Ausgangspunkt des Hinblicks auf Schelling könnte nun auf doppelte Weise in die Methode seiner Durchführung hineingenommen werden.
[18] Zum einen könnten die gegenwärtigen Probleme der Religionsphilosophie als Auswahlprinzipien dienen, nach denen Schellings zu interpretierende Texte herangezogen und auf die hin sie ausgelegt wurden. Doch solches entspräche für sich allein noch nicht unserem schon dargelegten ersten methodischen Grundentscheid: uns auf die Weise des „Selbstdenkens“ in die Mitte des Schellingschen Selbstdenkens begeben und von ihr her seine Aussagen aufschlüsseln zu wollen.
Zum andern aber kann – und soll – diese gegenwärtige Problematik der Religionsphilosophie „im Rücken“ der thematischen Hinwendung zu Schelling bleiben und doch darin in ihr wirksam werden, daß der Vollzug des philosophischen Denkens mit Schelling als Vollzug des Mit-denkens sich durchsichtig wird. Das heißt nun: Wir wollen denken, was Schelling denkt. Um das zu tun, müssen wir uns von der Weise abstoßen, wie wir unmittelbar, ohne Schelling, zur selben Sache dächten. Dabei wollen wir aber auf Schellings eigene Weise zu denken achtend, zugleich auf diesen unseren Abstoß achten und in solcher Achtsamkeit auf die Differenz der geschichtlichen Denksituation ein geschichtliches Gespräch des Denkens mit Schelling in Gang kommen lassen. Gerade so dürfen wir hoffen, ihm selbst und uns selbst, unserer Frage und dem, was Schelling auf sie zu sagen hat, näherzukommen.
Vielleicht liegt in solchem Versuch, „Mitdenken“ als „Methode“ durchzuführen, das Eigene und die Differenz eines geschichtlich anderen Gedankens also im einen, interpretierenden Vollzug des Denkens sichtbar zu machen, der Hinweis auf eine grundsätzliche hermeneutische Möglichkeit, die in nachfolgender Untersuchung keineswegs bis auf ihren Grund geklärt und erschöpft werden kann1.
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Vgl. B. Welte, Credo ut intelligam, in: Berliner Universitätstage 1962 (Berlin 1962) 16–29; ders., Ein Vorschlag zur Methode der Theologie heute, in: Auf der Spur des Ewigen 410–426. ↩︎