Glauben – wie geht das?
Die Not mit dem Glauben
Wo sich die Ansprüche an uns vervielfachen, wo jeden Augenblick soundsoviele Signale auf uns einwirken und von uns verlangen, auf sie zu reagieren, damit das Leben weitergeht, da haben es Botschaft und Anspruch christlichen Glaubens besonders schwer. Wir sind dann nicht sonderlich daran interessiert, daß Glaube geht; denn es geht ohnehin schon zu viel, und alles, was nicht gehen muß, das lassen wir am liebsten auf der Seite, bestenfalls in Reserve für später einmal.
Nun, so plausibel diese Aussage klingt, sie allein faßt die Wirk- [13] lichkeit nicht. Wie wenig der Mensch ohne Antworten auf die Sinnfrage auskommt, wie sehr er sich über den bloßen Schlagabtausch zwischen Leistung und Konsum, zwischen Funktion und Komfort hinaussehnt, dafür gibt es eindrückliche Zeugnisse.
Aber genau an diesem Punkt setzt eine neue Not mit dem Glauben ein, eine Not, die in der Tat ratlos machen kann. Die Verheißung der christlichen Botschaft und der Anspruch des christlichen Lebens scheinen zu hoch zu hängen, um dem Menschen erreichbar zu sein, ihn unmittelbar dort anzusprechen, wo er sich in seiner Alltagswelt vorfindet. Und zum andern werden solche Verheißung und solcher Anspruch repräsentiert durch Größen wie Dogma, Norm, Institution, Amt – und dies wiederum erscheint zu konkret-diesseitig, zu massiv und zu sehr eingebunden in diese Welt voller Anforderungen und Institutionen. Oft genug siedelt sich die neue Religiosität jenseits der institutionellen Gestalt von Christentum und Kirche und diesseits des entzogenen Geheimnisses an, von dem die christliche Botschaft spricht. Neu und drängend stellt sich die Frage: Wie geht das, Glauben?
Sicherlich muß die erste Antwort auf diese Frage heißen: Glauben geht nicht. Glaube läßt sich, dies ist die eindeutige Auskunft des christlichen Glaubens über sich selbst, nicht mit menschlicher Geschicklichkeit machen, nicht durch Argumente und Übungen herbeizwingen. Glaube ist, um es theologisch zu sagen, eine „eingegossene Tugend“, will sagen, etwas, das nicht der Mensch aus sich, sondern das nur Gott im Menschen vermag. Der Grund des Glaubens – wiederum eine „klassische“ theologische Aussage – ist nicht das, was an menschlicher Plausibilität, an Gründen für die Glaubwürdigkeit und Unabweislichkeit des Glaubensanspruchs beigebracht werden kann, sondern allein die Autorität des sich offenbarenden, sich mitteilenden, den Inhalt und die Kraft des Glaubens schenkenden Gottes. Nichtsdestoweniger ist der Glaube freie Antwort des Menschen auf den Anruf Gottes, Weg, in den der Mensch sich selbst einbringt, den er mit seinem Leben und seiner Freiheit und seinem Denken geht. Der Glaube bricht nicht von einem fremden Außen in den Menschen ein, ohne sich ihm, und das heißt: sei- [14] ner Freiheit, innerlich zu verbinden. Der Gott, der den Glauben schenkt und sich im Glauben schenkt, ist vielmehr dem glaubenden Menschen inwendiger als sein Innerstes. Deshalb ist vollzogener Glaube ein Weg, auf dem der Mensch entdeckt, wie Menschsein geht, wie seine Welt geht. Das ist die Zeugniskraft des Glaubens auch nach außen: Wo Glaube gelingt, wo er zur Lebensgestalt des Menschen wird, da wird sichtbar, daß glaubendes Menschsein mehr und nicht weniger Menschsein bedeutet. Es ist zu wenig zu sagen, Glaube wolle den Menschen nur menschlicher machen, denn Gott will uns durch den Glauben Anteil geben an sich – aber gerade weil der Glaube den Menschen „vergöttlicht“, vermenschlicht er ihn auch. Der glaubende Mensch wird mehr Mensch, ja menschlicherer Mensch und weltlicherer Mensch.
So bleibt die Frage also stehen: Glauben, wie geht das? Es ist eine Frage an den Glauben selbst, genauer: eine Frage an den, der glaubt. Er selbst soll im Licht seines Glaubens Zeugnis und Rechenschaft dafür ablegen, wie Glaube geht und wie im Glauben das Menschsein geht.