Antworten zum Fragekatalog für das Projekt „Judentum im katholischen Religionsunterricht“
Die Person Jesu*
1. Wie würden Sie das von der altbundlichen Offenbarung grundsätzlich unterschiedene, das den Rahmen des Alten Testaments Sprengende von Leben, Lehre und Person Jesu bestimmen? Können Sie dafür charakteristische Topoi nennen? Berücksichtigen Sie dabei die Behauptung, materialiter seien Botschaft und Ethos Jesu in der alttestamentlichen Offenbarungsbotschaft enthalten, neu sei seine Synthese. Dazu die jüdische Position: Alles Besondere an Jesus sei auch innerhalb der legitimen Spannweite jüdischer Entwürfe möglich.
Auch hier nur ein kurzer Hinweis: Das Proprium des Christlichen ist (wie mir scheint: „nur“) dies: Gott gibt sich in Jesus Christus, er gibt sich so, daß das Geschick Jesu Geschick Gottes, Hingabe Jesu Hingabe Gottes ist. Alles andere, was an Propria des Christlichen zu nennen wäre, läßt sich von hier aus erschließen. Die Elemente der Gottesoffenbarung an Israel werden nicht angetastet, sondern sie erhalten in diesem Kontext einen neuen Stellenwert, z.B. Liebe, Reich Gottes, Gebet zum Vater. Aber ist das nicht eigentlich grundsätzlich das Neue an einer These, daß sie neue Synthese ist?
Zur Begründung dieses Propriums: Daß Passagen wie Röm 5,8 oder gar 8,32 wenige Jahrzehnte nach dem Tod Jesu geschrieben werden konnten, daß sie sich durchaus einfügen in den Kontext jener Christologie, die in den vorpaulinischen Bekenntnissen und Hymnen bei Paulus ihren Niederschlag findet, dies scheint mir ein entscheidendes Datum für eine christliche Christologie überhaupt zu sein, an dem wir nicht vorbeikönnen. Ich kann hier nicht auf Modelle eingehen, die den Tod Jesu als Erlösertod zum Sondergut der paulinischen und johanneischen Schichten des NT erklären wollen; hier habe ich meine Bedenken auch von den Texten her. Doch unabhängig von dieser Frage müßte es zu denken geben, daß ausgerechnet die dieser Aussageschicht entsprechende Christologie die der frühen Kirche überhaupt wurde. Auch die Synoptiker insgesamt müssen, wie ich überzeugt bin, in ihrer Konsequenz so verstanden werden, daß Jesus [147] Christus ihnen nicht nur ein großer Prophet ist, sondern der, in dem Gott sich endgültig offenbart und, mehr noch, sich selber, als er selbst, hineingibt und hineinkompromittiert in unsere Geschichte. Inkarnation bleibt vom Ganzen der Konstitution des Christlichen her der Unterschied, und die Verankerung der trinitarischen Christologie in Jesu Wort und Werk ist nicht nur dogmatisch notwendig und exegetisch möglich, sondern im Gesamtbefund des NT von seinen frühesten Schichten an unausweichlich grundgelegt.
Ich sehe hier die Chance der dichtesten Begegnung mit dem Judentum; denn so bleibt zwar der fundamentale Unterschied, aber dieser Unterschied macht es nicht notwendig, ja legt es nicht einmal nahe, das Ethos der Religion Israels abzuwerten gegenüber dem christlichen Ethos; die christologisch fundierte Überbietung ist gerade nicht inhaltliche Abwertung.
Allerdings ergibt sich – wie angedeutet – aus dem dogmatischen Unterschied zwischen Judentum und Christentum auch eine Konsequenz bezüglich der Botschaft Jesu. Das Wort „Wie“, das in den Aussagen über unser Verhalten dieses an Gottes Verhalten mißt und es aus Gottes Verhalten her motiviert, bekommt unter der Voraussetzung der neutestamentlichen Christologie einen neuen Klang. Das Liebesgebot, wie es im johanneischen Neuen Gebot (Joh 13,34f.) gefaßt ist, erhält die Wucht der Verpflichtung zur grenzenlosen Selbsthingabe, weil eben die Selbsthingabe Gottes in Jesus Christus hinter ihm steht. Das Gebot der Vollkommenheit, wie der Vater vollkommen ist (vgl. Mt 5,43–48), der seine Sonne über Gute und Böse aufgehen läßt, das „Wie im Himmel, so auf Erden“ des Vater unser, die Bedeutung der Sendung der Jünger, wie Jesus vom Vater gesandt ist (vgl. Joh 20,21 mit etlichen Parallelen): das bezeichnet eine von den Synoptikern zu Johannes hin durchlaufende Perspektive. Hier wird das Verhalten des Glaubenden unmittelbar im Innersten und Eigensten des in Jesus Christus handelnden und anwesenden Gottes selbst verankert. Und dies bedeutet nicht nur einen Unterschied in der Motivation und heilsbedeutsamen Qualifikation der menschlichen Akte, sondern hier erhält das Motivierende und Qualifizierende selbst einen inhaltlichen Rang. Dies näher auszuführen, sprengte freilich den Rahmen.
2. Halten Sie die Frage nach dem Unterscheidenden Jesu ausschließlich (ohne Bezug auf das Leben Jesu) aufgrund von Ostern für befürwortbar? Oder halten sie das katechetische Modell für zutreffend: „Die Steine lagen vor Ostern bereit (d. h. der irdische Jesus), das Mosaik entstand infolge des Osterereignisses (der sich vom Judentum unterscheidende Christus)“?
Sofern Ostern erst die Christologie zur Vollendung bringt, ist Ostern konstitutiv für den Unterschied des Christlichen vom Jüdischen. Sofern aber diese Christologie mitsamt dem göttlichen Anspruch Jesu in seinem vorösterlichen Leben und Sprechen grundgelegt ist 1, ist auch der Unterschied Judentum – Christentum von seiner Wurzel her ein bereits vorösterlicher.
3. Halten Sie das Anliegen für berechtigt, an Person und Leben Jesu die polare Spannung zwischen Judentum und Kirche zu „vermitteln“, da sich doch in seinem Leben der „Umschlag“ vom Alten in den Neuen Bund ereignet?
Ich halte es für berechtigt, an Person und Leben Jesu die polare Spannung zwischen Judentum und Kirche zu „vermitteln“, wobei es freilich problematisch wäre, sie „hinwegzuvermitteln“. Jesus ist eine „jüdische“ Gestalt, es ist sinnvoll, ja notwendig, vom Juden Jesus zu sprechen. Jesu Innestehen im Glau- [148] ben Israels und in seiner Geschichte aus Verheißung und Glaube gehört in der Perspektive christlicher Theologie zu seiner Gestalt und Sendung wesenhaft und nicht nur als historisches Beiwerk hinzu. Doch wenn, wie oben dargetan, die Gestalt Jesu von sich her, auch von seinem vorösterlichen Leben her, den Anspruch stellt, daß Gott selbst in ihm gegenwärtig ist, handelnd und Menschenschicksal zum Gottesschicksal werden lassend, dann sprengt Jesus damit die Maßstäbe eines Judentums, sofern dieses eine so radikale Einung von Gott und Mensch in der Unterscheidung von Gott und Mensch mit seinem Gottesbild als schlechterdings unvereinbar erklärte.
Die Vermittlungsfunktion Jesu schließt die Entscheidung nicht aus, sondern ein. Dies wiederum schließt freilich die Bedeutung Jesu für den jüdischen, will sagen: nicht-christlichen Juden und somit für die Vermittlung zwischen dem jüdischen Juden und dem Christen nicht aus.
Anders ausgedrückt: In Jesus werden Sinn und Bedeutsamkeit des Christentums dem jüdischen Juden nahegebracht, in seinen eigenen Glaubenshorizont eingebracht, ohne ihn sich selbst zu entfremden, und wird dem Christen das Judentum unwiderruflich in seiner Bedeutung und Kostbarkeit nahegebracht, als unverlierbares und wesenhaftes Erbe auferlegt.
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Vgl. Pesch, Rudolf: Zur Exegese Gottes durch Jesus von Nazareth, in: Casper, Bernhard (Hg.): Jesus. Ort der Erfahrung Gottes, Freiburg i. Br. ²1976, 140–189. ↩︎