Die Wahrheit Jesu

Die Plausibilität der Wahrheit Jesu

Geben wir uns knapp Rechenschaft über den zurückgelegten Weg. Wahrheit, die sich nicht im Bestand erschöpft, Wahrheit, in der Neues aufgehen darf, hat ihre eigenen Kriterien. Diese Kriterien erhalten ihre besondere Kontur, wo es sich um theophanische Wahrheit, wo es sich um den Anspruch des Aufgangs Gottes, des heiligen Geheimnisses handelt. Und nochmals verwandeln sie sich im Blick auf die „Theophanie“ in Jesus.

Wie sie sich verwandeln, versuchten wir zu beschreiben. Kann Beschreibung aber genügen, um Wahrheit als Wahrheit glaubwürdig [115] werden zu lassen? Unsere „Beschreibung“ geschah indessen aus der Perspektive des Glaubens. In der Sprache der von uns angewandten Kriterien gesagt: Die Negation, das Aufgeben und Verlassen einer bloß zuschauenden epoché, ist die immanente Voraussetzung des Dargestellten. Von dieser Position aus erschließt sich allerdings die innere Stimmigkeit der aufgewiesenen Wahrheitsstruktur. Diese Struktur möchte den Mitdenkenden einladen, auch selbst den Vorentscheid der Negation, des Sichverlassens und Sicheinlassens zu treffen. Alsdann wird die Struktur zu mehr als einem formalen In- und Auseinander von Ebenen und Bestimmungen. Sie wird zum Ort, an dem wir Mensch und Welt und Gott, unsere Erfahrungen und unsere Fragen in der Wahrheit Jesu integriert finden, die als neue, gesteigerte, verwandelnde Wahrheit offenbar wird.

Diese Aussage und unsere Ausführungen insgesamt sind zwar thetisch, sofern sie sich ihrer philosophischen Tragfähigkeit anfänglich gewiß und sofern sie sich theologisch ihrer Glaubenswahrheit fundamental gewiß sind. Sie bleiben aber hypothetisch hinsichtlich der Leistbarkeit einer solchen Christologie im konkreten Aufarbeiten der einzelnen Materialien; hypothetisch heißt, in ihrer Durchführung angewiesen auf den korrektiven Dialog mit den verschiedenen theologischen Disziplinen, aber auch mit Philosophie, Wissenschaft und Erfahrung insgesamt.

Fragen wir uns abschließend nach dem Schlüsselwort, das unser Verständnis von Wahrheit und insbesondere unser Verständnis der Wahrheit Jesu leitet. Immer wieder klang es an: Sichgeben. Gottes Geheimnis heißt Sichgeben; der Gott, der sich gibt, ist die christliche Alternative zur unbedingten Substanz, zur bloßen reditio in se completa unendlichen Geistes. Aber auch das Geheimnis des Menschen heißt Sichgeben. Nur darin überschreitet der Mensch sich selbst, daß er sich geben kann. Dies ist seine Gottbildlichkeit und seine Angewiesenheit auf Gott, daß er sich selbst nur gegeben ist, wenn er sich Gott gibt und wenn Gott sich ihm gibt. Dies schließlich ist das Geheimnis Jesu: in ihm gibt sich Gott ganz dem Menschen, und zugleich ist er der ganz an Gott gegebene Mensch; somit aber ist Jesus die Identifikation des Menschen und Gottes, ihr Aufgang in ihre eine ungetrennte und unvermischte Wahrheit. Sichgeben aber ist nicht nur Inhalt dieses dreifachen Geheimnisses, sondern auch unser Zugang zu ihm.