Gott und das Denken nach Schellings Spätphilosophie

Die Problematik des Selbstseins als Seins bei der Möglichkeit des Anderen

An dieser Stelle bricht die Problematik des Schellingschen Ansatzes entscheidend auf: Gott ist befaßt mit seiner Möglichkeit des Anderen.

Diese Hinwendung zu seiner Möglichkeit des Anderen ist der [262] Vollzug seiner Freiheit von und zu seinem Anderen und zugleich von und zu seinem Actus und Wesen, ist der Vollzug seiner Herrschaft über das Sein und über die Potenzen, Vollzug der natura necessaria, Vollzug der Göttlichkeit also. An der Weise, wie dieser Vollzug gedacht ist, entscheidet sich, ob es Schelling gelingt, das Programm des Gottesbegriffes der positiven Philosophie einzulösen.

a) Die Intention des Gedankens: Göttliches Selbstsein als Sein von sich her und von sich weg
Was meint der Gedanke, welcher den eigentlich „göttlichen“ Vollzug Gottes in den Hinblick auf seine Möglichkeit des Anderen setzt? Er meint nicht weniger als eine fundamentale Neuinterpretation dessen, was göttliches Selbstsein bedeutet. Um dieser Neuinterpretation willen setzt Schelling ja seine positive Philosophie von den Quellen ihrer Herkunft und von den anderen großen Gedanken der Epoche ab: rein rationale Philosophie führt nur zum finalen, mit sich selbst befaßten Gott der voiνόησις νοήσεως; auch Hegels Philosophie reicht nach Schellings Verständnis im Grunde allenfalls bis dahin, wo sie weiterzugehen versucht, ist sie nur eine Verirrung ins ihr gerade nicht mehr Mögliche1. Zu entscheiden, ob Schellings Beurteilungen zutreffen, ist in unserem Zusammenhang nicht notwendig, wohl aber muß sein eigenes Anliegen und die Weise, wie er es zu bewältigen sucht, deutlich in unseren Blick treten.

Und was sagt diese Neuinterpretation göttlichen Selbstseins? Indem es Schelling um die Freiheit Gottes, um einen Gott der Beziehung, um den handelnden, des Heiles und der Zukunft mächtigen Gott geht, will er die Sicht eines nur um sich kreisenden, alles in sich selbst subsumierenden oder, was in der scheinbaren Gegenteiligkeit im Grunde dasselbe wäre, eines notwendig in sein Anderes hineingetriebenen, in ihm erst sich findenden Gottes überwinden. Ein solcher Gott ist nicht Gott, sondern ist alles verzehrende Allsubstanz oder sich verzehrender Weltgeist.

Göttliches Selbstsein darf für Schelling nicht mehr heißen: Not- [263] wendigkeit, sich festzuhalten oder sich zu entfliehen, um sich im einen wie im anderen Falle je so nur selbst zu haben, es muß vielmehr Freiheit heißen. Freiheit heißt ihm aber: Selbstsein als Wegsein von sich, Sein zum Anderen hin, ohne des Anderen jedoch zu bedürfen, anders gesagt: Selbstsein als Koinzidenz von Beziehentlichkeit und Souveränität, als Identität reinen Seins von sich weg und zugleich doch reinen Seins von sich her2.

Es geht nicht mehr um die bloße Stabilisierung dessen, was ist und gedacht ist, in einem es vereinenden, tragenden und klärenden Grund und geht nicht mehr, in der aufs selbe hinauslaufenden Umkehrung, um die Stabilisierung eines unbedingten Grundes in dem, was er aus sich hervortreibt, wohinein er sich entfaltet und klärt, sondern um reine Personalität als Ursprünglichkeit, deren Übersich-Hinaussein gerade Insichsein, deren Insichsein gerade lautere Offenheit bedeutet, deren Offenheit also kein Auseinander, deren Insichsein keine Leere und Fixierung sagt.

Schellings Intention so zu deuten, erscheint aufgrund seines ausdrücklichen Bemühens, den Gott der Religion und den Gott des Denkens philosophisch zusammenzubringen, unumgänglich3.

b) Maßstäbe der Intention für den Gedanken
Die materiale Aussage, zu welcher der Gedanke Schellings im Vollzuge seiner Intention führt, lautet, wie gesehen: Gott ist befaßt mit seiner Möglichkeit des Anderen. Wir versuchen nun, nicht unmittelbar diese Aussage zu deuten, sondern aus ihrer Intention her auf sie zuzudenken.

Was soll gedacht werden? Selbstsein als Sein von sich weg und zugleich Sein von sich her. Wie muß ein Denken beschaffen sein, dem solches aufgeht?

Es darf nicht in jener Stellung seiner selbst verharren, in der ihr alles Gedachte zum Vermochten, zur Objektivierung seines Inhalts, zum aus ihm Erklärlichen wird. In solchem Gedacht- und Vermochtsein ginge ein Sein von sich her und weg dahinein unter, nur als [264] Gedachtes und Vermochtes da und so von seiner eigenen Ursprünglichkeit abgelöst zu sein. Als Selbstsein von sich weg und her ist es nur einem Denken hell, das durch dieses ihm sich zutragende Sein von sich her und weg sich seiner von sich ausgehenden, vergegenständlichenden Grundbewegung entreißen und sie überholen läßt.

Um Sein von sich her und weg unverfremdet bei sich ankommen zu lassen, muß das Denken ihm gegenüberbleiben, sich von ihm gemeint, angegangen finden.

Darin sind mehrere Elemente enthalten:

  1. Im Angegangensein muß das Denken übereinkommen, ins selbe versammelt sein mit dem es Angehenden und Betreffenden. Ohne solche Übereinkunft und Versammlung wäre das betreffende Sein von sich weg bloßes Weg-, so aber bloßes Nichtsein, denn es wäre ohne Wohin, ohne Richtung und Ankunft, ohne Mächtigkeit zu seinem Anderen.

  2. In der Übereinkunft des betroffenen Denkens mit dem es Betreffenden muß die Richtung des Angebenden aufs angegangene Denken zu als zuvorkommend andere und nicht durchs Denken nachträglich ablösbare aufgehen und bewahrt bleiben. Der Angang darf nicht „gleichgeschaltet“ werden in eine Verfügbarkeit fürs angegangene Denken hinein.

  3. Das hat aber eine Konsequenz für das, was dem angegangenen Denken vorenthalten bleiben muß, damit dieses Vorenthaltene von ihm „gedacht“ sei: das angegangene Denken darf keine „Rekonstruktion“ des es Angehenden sein, keine Auflösung in Gründe, die es in sich selbst nachdenkend bergen könnte. Der Aufgang des Angehenden von sich her ist nur als solcher da, wenn er vom nachdenkenden Denken nicht aufgeholt, sondern wenn seiner gedacht wird, wenn dem gedenkenden Denken als Erkenntnis allein die Anerkenntnis bleibt. Es versteht, was da auf es zukommt, nur, wenn es darauf verzichtet, dieses Zukommen von diesem her zu verstehen.

  4. Daraus erwächst nun eine weitere Konsequenz, welche das zuerst aufgefallene Element der „Übereinkunft“ und „Versammlung“ näher interpretiert. Wir sahen: Daß das Denken sich angegangen findet, bezeugt ihm, daß es mit dem zusammengehört, in eines gehört, das es angeht; sonst könnte es das Denken gar nicht angehen.

[265] Ist dieses Zusammengehören dann eine vorausgehende Ermöglichung des Angangs?

In dem Maße, wie der Angang in der Tat ein solcher und ein ursprünglicher ist: nein. Denn nicht aus einem ihm Vorgängigen, sondern aus sich selbst her geht das Angehende das Angegangene an und bringt nicht es zum – schon vorgängigen – Zusammengehören, sondern bringt ihm allererst das Zusammengehören. Dann aber ist das Denken des Angegangenseins, das Angegangensein des Denkens und als Denken „neues“ Denken, sich aus dem Angang zeugendes, anfängliches Denken.

Denken als Wissen, daß solch ein Angang möglich ist, folgt dem Angang, geht ihm nicht voraus; und es verfügt nicht über diese Möglichkeit, sondern gedenkt in ihr der Wirklichkeit und gewärtigt, erhofft diese Wirklichkeit des Angangs; schließlich weiß es die Ungemäßheit seines „Wissens“, das Zurückbleiben seiner Strukturen hinter dem, was sich in ihnen verfaßt, und versteht sie so nur als indirekte Verweise, die direkt werden erst in der Anrede, die als solche gerade nichts mehr faßt, sondern selbst und bloß von sich her: von sich weg ist.

c) Schellings gedanklicher Vollzug seiner Intention
Die angezeigten Verhältnisse des angegangenen Denkens treten in ihre reinen Dimensionen, wo das angegangene Denken sich radikal und total selbst aus dem es gründenden Angang empfängt und versteht. Dies aber ist doch der „Fall“, den Schelling im Auge hat, der Fall also, in welchem das Denken die schlechthin göttliche Zuwendung zu seinem Anderen zu denken sucht.

Wie nun denkt Schelling diesen Fall? Wie denkt er das Selbstsein Gottes als Sein von sich her und von sich weg auf sein Anderes zu? Er denkt, wie gesagt, dieses Selbstsein Gottes als Sein bei seiner Möglichkeit des Anderen.

Aufs erste scheinen die von uns am Phänomen abgelesenen Maßstäbe für ein Denken, das so verstandenes Selbstsein denken will und also vom es angehenden Selbstsein angegangen sein muß, bei Schelling erfüllt.

Die Möglichkeit des Anderen ist von ihm gedacht in der ersten [266] Potenz: Diese ist zugleich das anfängliche Ansichsein Gottes und enthält das darin unversehene, aus ihm unableitbare und doch gerade ihm wesentlich zugehörige Seinkönnen des Anderen, sie ist so die Übereinkunft Gottes und seines Anderen schlechthin. Sie ist es indessen – und auch solches wäre nach dem Ausgeführten zu fordern – auf unversehene, unkonstruierbare Weise. Das „Andere“ vermag sich auf doppelte Weise nicht aus Gottes Möglichkeit seines Anderen herauszurechnen: der Aufgang seiner Möglichkeit ist Zu- und Einfall, ist das Urwunder, das in Gottes Ursein hinein geschieht und es zum Selbstsein, es als Selbstsein lichtet, und der Aufgang seiner Möglichkeit ist des weiteren noch keineswegs Vorgriff auf seine Wirklichkeit, diese ist nicht notwendige Folge, sondern einfach aus dem Entschluß Gottes entgegenzunehmen.

Der Ort, in welchem die Möglichkeit des Anderen unfaßlich aufsteht, ist, wie gesagt, die erste Potenz. Sie ist aber das, was das Denken selbst ist. Der Aufbruch der Möglichkeit des Anderen in ihr „von Ewigkeit“ an4: dies ist das Ereignis des Denkens, sein Zusichkommen schlechthin. Also ist das Denken sich selbst dieses Geschenk uneinholbarer Herkunft aus dem unbedingten Selbstsein, das Ereignis seiner in ihm allererst geschehenden, ihm nicht vorgängigen Übereinkunft mit diesem und aus sich selbst die bloße Gewärtigkeit der Verwirklichung seines Gedachten aus dem unbedingten Selbstsein, als bloßes Denken hat es die Positivität seiner selbst in Schöpfung und Offenbarung vor sich, in der Zukunft.

Schließlich ist die Stellung, in welcher das Denken sich als Lichtung der Göttlichkeit Gottes versteht, die positive Philosophie. Sie aber kann gerade nicht mehr in der Gestalt ihres Denkens eindeutig, adäquat und abschließbar sein wie das reine Denken und die negative Philosophie 88; denn diese haben es mit der immanenten Notwendigkeit des Möglichen, sie aber hat es mit der Freiheit zu tun, die sich zum Möglichen, zur Eindeutigkeit seiner abstrakten Notwendigkeit verhält und so gerade in Differenz zu ihr steht, in ihr nicht aufgeht. So entspricht Schellings Gedanke, wie es scheint, auch darin dem Maß des Denkens personaler Beziehung, daß er um seine [267] Grenze weiß: nicht erschöpfend fassen, sondern nur verweisen zu können.

Es ist im Ganzen also unabweisbar, wie nahe Schelling durch seinen zentralen Gedanken von der ersten Potenz der Intention kommt, göttliches Selbstsein als beziehentliches und freies, als Sein von sich weg und doch von sich her zu denken.

Gleichwohl entgeht er auch an diesem entscheidendsten Punkt seiner geschichtlichen Begrenzung nicht, die uns bislang auf jedem Niveau unseres Mitdenkens neu und doch je entsprechend begegnet ist.

Zwar ist die positive Philosophie nicht aus sich her ableitendes Begreifen und steht in der Differenz aus sich selbst uneinholbarer Nachträglichkeit zu dem, was sie denkt. Was sich in ihrem Denken aber begibt, ist gleichwohl Anteil an dem Denken selbst, das nicht mehr Andenken an das Sich-Zudenken des absoluten Selbstseins bedeutet, sondern in dessen Konstitution selbst mit hineingehört. Das war uns bereits früher aufgefallen, erhält hier aber einen neuen Akzent.

Die Weise, wie Schelling das unbedingte Selbstsein als Sein von sich weg und von sich her aufs Andere zu denkt, denkt das Denken selbst als Ermöglichung in dieses Selbstsein hinein. Indem das Denken so dem zuschaut, wie es in seiner Ursprünglichkeit das starre Insichsein des Absoluten je schon geöffnet hat und, als unversehener Einfall, „von außen“ geöffnet hat, dreht sich immanent der Richtungssinn jenes Denkens um, in welchem allein Sein von sich her, wahrhaft „personales“ Sein also, aufzugehen vermöchte.

Schelling weiß zwar, wie wiederholt zu bemerken war, um die andere Weise des Denkens, die dem Gegenstand der positiven Philosophie ansteht, diese erwächst ihm aus dem praktischen Bedürfnis der Person nach der Person5, ihr Anfang setzt die Betroffenheit des außer sich gesetzten Denkens vom Unvordenklichen voraus6 und sucht ihre Sache als die, welche das philosophierende Subjekt nicht gleichgültig läßt. „Hier heißt es: Tua res agitur.“7

Das Innesein der Betroffenheit hat fürs Denken, in welchem es sich bei Schelling artikuliert, indessen eine eigentümliche Folge.

[268] Das Denken weiß: es kann sich nicht im vergegenständlichenden Ausgang von sich selbst haben, es kann sich selbst als tätigend, als Ursprung, nur gegeben werden, indem ihm seine Ursprünglichkeit, sein Hinausreichen über sich, seine Offenheit und so auch sein objektivierendes Entwerfen zu-kommen, es ist sich selbst das nur Zufallende, in diesem Sinn Zu-Fällige. Nur die Betroffenheit durch sich als Gabe des undenklichen Ursprungs bringt es selbst hervor, zu sich, in die Helle der Ursprünglichkeit für sich selbst. Nun nimmt das Denken aber dieses sein Wissen von sich zur Hand und transponiert es als Interpretament göttlichen Selbstseins in dieses hinein: Gott selbst ist erst von sich freier Ursprung durch den Zu-fall und Ein-fall der Möglichkeit seines Anderen in seinem Ansichsein, durch seine Betroffenheit von dem ihm unableitbar Zugehörigen.

Das Denken überholt seine eigene Betroffenheit davon, daß „du“ auf mich zu bist, in den Mitvollzug der Betroffenheit Gottes hinein, daß diesem so etwas einfällt. Wenn aber Gott so etwas nur „eingefallen“ ist, dann ist die Lauterkeit der Zuwendung und Hinauswendung Gottes über sich selbst nicht mehr gedacht, ist statt des Wunderbaren nur mehr das Sonderbare in den Gedanken eingetreten. Das Denken denkt Selbstsein als Zuwendung von sich her aufs wahrhaft Andere zu nur, indem es diese nicht mehr vermag, indem es also bei seiner Richtung aufs sich zuwendende Du bleibt und nicht mehr von ihm „ausgeht“, Denken, das vom Prinzip „ausgehen“ kann – und das will die positive Philosophie8 – kann dieses Prinzip nicht mehr eigentlich als Du verstehen.

Die alltägliche und doch so wichtige Tatsache, daß ich, dich verstehend, doch mit dir denke, von dir aus die Dinge und auch mich sehe, spricht nicht gegen diese These. Denn solches Denken „mit dir“ ist nicht ein Hinter-dich-Kommen, nicht ein Dahinterkommen, warum du du bist, sondern ein Einstimmen in dein unerklärlich bleibendes, so aber gerade sich mir schenkendes und mich und alles mir klärendes Du-Sein.

Das Du-Sein, die Unumkehrbarkeit der Zukehr, welche Sein von sich her und von sich weg, welche also personales Sein ausmacht, treten nichts ins Gedachte des Gedankens, wo diese Zukehr als Sein [269] bei der eigenen Möglichkeit des Anderen gedacht ist; damit ist aber auch die Andersheit des Anderen nicht eigentlich gedacht.

Das Wegsein von sich geht hier auf „etwas“ zu, das Etwas ist aber nicht das eigentlich Andere des Selbstseins. Das im Denken Ermöglichte, das in der Urmöglichkeit Ermöglichte ist nicht das Ich bin“, sondern ist das, was sein kann. Doch nur das „Ich bin“ ist das Andere des „Ich bin“, das Etwas ist der von ihm vermochte Raum seines Anwesens und Verfügens, sein einerseits ihm als Selbst Zufälliges, anderseits ihm nur Zugehöriges, nur Eigentum, von ihm sich einbegreifbar, nicht ihm Partner.

Doch hat Schelling in der Tat mit der Möglichkeit des Anderen nur „etwas“ gedacht? Ist in seinem Gedanken Gottes Sein bei der Möglichkeit des Anderen nur Sein bei etwas und also doch nur Sein bei sich? Das Andere, das sein kann, ist doch letztlich die Seele, ist der Mensch, ist die Zusammenfassung und Ergänzung des Etwas zur Selbstgehörigkeit!

Sofern diese Selbstgehörigkeit, dieses Beisichsein, diese Seele aber das recipiens der sie begründenden Potenzen, ihr sie als Ergebnis einender Akt sind, sofern das geschaffene Selbstsein also das Resultat seiner es gründenden Bedingungen und die nachträgliche Einheit seiner es erbildenden Elemente darstellt, ist es auch in Schellings Sinn noch nicht als Freiheit und Selbständigkeit „es selbst“. Das geschöpfliche „Ich bin“ als freies und sich gehöriges ist ja Produkt nicht der göttlichen Schöpfung, sondern des Falles, der Selbstsetzung des Ich9.

Zwar ist die „Seele“, der ursprüngliche Mensch, wie Gott sie geschaffen hat, der doppelten Möglichkeit, der Entscheidung also mächtig, will Schelling also die Verantwortlichkeit und Partnerschaft hier denken. Doch daß sie denkerisch nicht eingeholt sind, indem nur die Subsistenz von Geistigkeit als Subjekt-Objektivität gedacht ist, bestätigt sein eigener Gedanke, der die Selbstsetzung des Falles positiv als Bedingung der entschiedenen Freiheit Gott gegenüber und so als mittelbare Intention Gottes wertet.

Aus der Möglichkeit des Anderen ist die Andersheit des Anderen nicht zu denken; gedacht ist nur der Umschlag der eigenen Möglich- [270] keit des sie Vermögenden in eine Realisierung, die so doch diesem, nicht aber wahrhaft sich selbst gehört. Die realisierte Möglichkeit des Anderen Gottes kann sich selbst gehören nur, indem sie sich aus der Beziehung Gottes zu ihr, die sie gründet, weg und an sich reißt. Somit ist aber diese Beziehung selbst nicht als eigentliches Seinlassen des Anderen als Anderen, sondern als ästhetisches Spiel mit den eigenen Möglichkeiten gedacht10, wenn auch die Intention dieses Spiels das „bloße“ Spiel übersteigt, wenn Gott auch das Andere als Anderes, Gesondertes, Sich-Gehöriges mittelbar „will“.

Selbstsein als Sein bei der Möglichkeit seines Anderen zu denken, denkt zuviel und zuwenig zugleich.

Zuviel: Einmal weil eben die Konstitution des Selbstseins als Seins von sich her und hinweg nicht mehr in ein durchschauendes Denken einzubringen, sondern nur im Innesein in der Beziehung von Selbstsein zu Selbstsein zu vernehmen, andenkend zu verwahren und anredend zu vollbringen ist; zum anderen weil auch das Selbstsein des Andenkenden selbst nur zu verdanken, nicht aber in seiner Konstitution zu erklären ist.

Zuwenig: Weil in solchem Versuch, das Andere Gottes aus seiner göttlichen Möglichkeit heraus, das Selbstsein Gottes als Sein auf diese seine Möglichkeit hin zu denken, die Selbstgehörigkeit Gottes und seines Anderen und die Macht der Bezogenheit beider über sich hinaus unterinterpretiert sind, im Gedanken nicht mehr eigentlich vorkommen.

So führt Schellings Gedanke der Schöpfung nur zu einer Gott immanenten Schöpfung, will sagen: zu einer nicht aus ihrer Idealität zu sich selbst erwachten Schöpfung11 und führt Schellings Gedanke der Personalität nur zu ihrem Begriff aus dem ihr doch „äußerlichen“ Bezug auf die Möglichkeit des Etwas. Absolute Person ist der Vater, die erste Potenz ist das γόνιμον τοῦ πατρός12, auf sie zu treten im Prozeß ihrer Erregung, also der Schöpfung, die zweite und dritte Potenz aus ihrer Potentialität hervor und kommen zur Personalität des Sohnes und Geistes.
[271] Auch in Gott ist Personalität als solche Ergebnis und ist vermittelt durch die Möglichkeit des Anderen. An ihr, nicht in unmittelbarer Zuwendung ereignet sich die Zeugung des Sohnes aus dem Vater13.

Schellings Gedanke stellt so ein Äußerstes dar, die Göttlichkeit Gottes, seine Beziehentlichkeit und Selbstgehörigkeit, seine Personalität als freie Hinauswendung über sich selbst mit den Mitteln eines Denkens zu denken, das sich versteht als das Vermögen der Möglichkeit dessen, was ist, und dessen Inhalt eben das Seiende, die omnitudo realitatis ausmacht. Er hinterläßt als Erbe zum einen das Anliegen, um das es ihm geht, zum anderen die offenbare Begrenzung des Denkweges, auf dem er es zu lösen versucht, und so die Aufgabe, ihm ein neues, von Wesen her anders orientiertes Denken zu bereiten – ein Denken, das dieses Anliegen freilich nicht mehr auf die Weise des Könnens bewältigen kann.


  1. Vgl. XIII 80/81, 89/91. ↩︎

  2. Vgl. XIV 351. ↩︎

  3. Vgl. z. B. XIII 107, 171, 179/81, 270. ↩︎

  4. Vgl. XIII 320, XIV 342, 350. ↩︎

  5. Vgl. XI 569. ↩︎

  6. Vgl. XIII 161/63. ↩︎

  7. XIII 171. ↩︎

  8. Vgl. z. B. XI 366/67. ↩︎

  9. Vgl. XI 420 Anm. 1, 487, XIII 353, 359. ↩︎

  10. Vgl. XIII 293; s. aber die „Einsicht“ ins eigentlich Dialogische WA (1 177/78) 97. ↩︎

  11. Vgl. bes. XIII 353, 280. ↩︎

  12. XIII 322. ↩︎

  13. S. ebd.; vgl. auch etwa WA (1 140/41) 77. ↩︎