Besprechung der Habilitationsschriften von Bernhard Casper und Peter Hünermann

Die Sache der Untersuchungen*

Der ungewöhnlich angesetzte, weit geschlagene und doch straff gezogene Bogen der behandelten Themen und vielleicht noch mehr die Eigenständigkeit und der Rang ihrer Bewältigung ließen es wohl angezeigt erscheinen, auf das Buch von Bernhard Casper über das dialogische Denken und auf das andere von Peter Hünermann über den Aufbruch geschichtlichen Denkens gesondert einzugehen. Ihre Zusammengehörigkeit und die Spannweite dieses Zusammengehörens fallen indessen noch stärker ins Gewicht und drängen danach, gemeinsam zur Sprache gebracht zu werden. In solchem gemeinsamen Zur-Sprache-Kommen tritt zwar die Fülle einzelner, in sich wichtiger Züge des Erforschten und Dargestellten zurück, die Rezension wird so nur in beschränktem Maße Inhaltsangabe sein; dafür zeichnen sich im bedachten und bedenkenden Gedanken, den die beiden Bücher vorlegen, Linien eines Denkens und ihnen innewohnend Richtungen und Möglichkeiten dieses Denkens ab, in dem und in denen sich das eigentlich Bemerkenswerte an ihnen verbirgt, das der bloße Bericht zu verdecken drohte.

Das genannte Zusammengehören zeigt einen zweifachen Vordergrund: Beide Bände sind die Veröffentlichung von Arbeiten, mit denen sich die Autoren im Jahre 1967 an der theologischen Fakultät der Universität Freiburg i. Br. für das Fach „Christliche Religionsphilosophie“ habilitierten, sie sind also in zeitlicher und räumlicher Nachbarschaft, und das heißt, von innen betrachtet, sie sind in gegenseitiger Freundschaft und im Verdanken demselben Meister des Fragens und Denkens, Bernhard Welte, gegenüber entstanden. Zum anderen stehen aber auch die in diesen Untersuchungen erhobenen und gedeuteten Gedanken bei aller zeitlichen Distanz in einer eigentümlichen Nachbarschaft: zwei entscheidende Stränge der Denkgeschichte treten zutage, die vom deutschen Idealismus hinweg in ein neues Denken hineinführen, das sich als „Überwindung der Metaphysik“ versteht, sie bezeichnen die Bereitung und den Kontext oder Kontrapunkt der Gestalt, die diese „Überwindung“ bei Martin Heidegger gewinnt.

Was nun ist die Sache, der sich die solchermaßen zusammengehörigen Untersuchungen zuwenden? Eine dreifache Antwort ist darauf möglich.

Einmal ist es eben die Bereitung und der Ansatz eines neuen Denkens, das sich wesentlich von dem der „Metaphysik“ abhebt, wenn es auch bewußt auf ihr Erbe bezogen bleibt, das ihm nicht nichtig, sondern geschichtlich frag-würdig geworden ist. Um es mit Casper in dem für ihn zentralen Rückgriff auf Franz Rosenzweig zu sagen (von dem auch der Titel „Das neue Denken“ stammt): es ist ein Denken, das des Anderen und der Zeit bedarf (vgl. bes. Casper 169–171).

Zum zweiten ist es aber um die geschichtlich konkrete Weise zu tun, wie der Andere und wie die Zeit und wie beide ineins ins Denken drängen, das so in der einen Bahn als Denken der Geschichtlichkeit, in der anderen als dialogisches Denken sich artikuliert – beide Bahnen zeigen sich von der doppelten Hinsicht, auf die Zeitlichkeit des Seins und auf das Zwischen des Dialogs als den Ort des Seins, bestimmt. Der Kreis des untersuchten Gedankenmaterials umspannt im Falle des dialogischen Denkens die zeitlich und philosophisch nahe zusammengehörigen Hinterlassenschaften von Buber, Rosenzweig und Ebner, die Zeugnisse eines Aufbruches also, dessen entscheidende Phase sich im Ausgang des zweiten und Anbruch des dritten Jahrzehntes unseres Jahrhunderts ereignet; im Falle des geschichtlichen Denkens bieten sich die teilweise unter sich loser verknüpften und in ihrem Gesamt das 19. Jahrhundert vom Spätidealismus an durchziehenden Etappen an, welche von der katholischen Tübinger Schule über Droysen zu Dilthey und Yorck von Wartenburg führen, in den letzteren die unmittelbaren geistigen Anstöße erreichend, aus denen das Fragen des jungen Heidegger dann selbstständig emporwächst.

Doch ist noch eine dritte Antwort auf die Frage nach der Sache der Arbeiten von Casper und Hünermann zu geben: Es geht ihnen um die geistigen Bewegungen, die ein gegenwärtiges [383] philosophisches Denken in Gang bringen, nicht nur um der Philosophie, sondern um der christlichen Theologie willen, und das heißt: um der denkerischen Gegenwart willen, welche die christliche Heilsbotschaft heute gemäß gewinnen, in der sie sich als Heilsbotschaft für diese Zeit enthüllen und auch von sich her ihren eigenen Sinn und Gehalt ursprünglicher denn zuvor entbergen kann. Da das so verstandene theologische Interesse die Gedanken, denen es sich zuwendet, nicht als brauchbares Material verwendet, sondern nach ihnen selbst fragt, engt es die philosophische Sichtweise und Bedeutung der Untersuchungen von Casper und Hünermann nicht ein.

Ihre dreifache Sache ist also die Sache unmittelbaren philosophischen Denkens, wissenschaftlich-philosophischer Forschung und zugleich theologischen Zudenkens auf die Philosophie. Gerade solcher Ausgriff des philosophischen Denkens um seiner selbst, um des Aufgangs der Wahrheit im Denken willen, auf die Forschung einerseits und auf die Theologie anderseits, die Verknüpfung dieser drei Dimensionen also, macht die Lektüre der Bücher erregend und wirft auf das Zusammengehören von Philosophie, Forschung und Theologie neues Licht.

Doch stellen wir in knappen Strichen den Gang selbst vor, den die Autoren uns führen.