Erfahrungen mit Wort und Sakrament

Die „Sache“von Wort und Sakrament

Fragen wir uns zunächst also noch einmal: Was ist die Sache von Wort und Sakrament? Woran geben sie Anteil, wohin führen sie? Ich kann mich zurückbeziehen auf das schon Gesagte. Ich will es indessen ganz persönlich formulieren: Wenn ich vor dem Antlitz Gottes zu stehen versuche, welcher Existenzraum erschließt sich mir da in Wort und Sakrament? Ich stehe in Jesus Christus. Ich stehe in seinem Kreuz, und ich stehe in seinem auferweckten Dasein in der Mitte der Jünger zugleich. Ich stehe dort, wo er alles, was des Menschen ist, alles, was weitab ist von Gott, alles, was trennt von Gott, alles, was mich in mir und um mich befremdet, angenommen hat – er ist dahin gegangen, um von dort aus, ja um von dort aus „Abba, Vater“ (vgl. Röm 8,15; Gal 4,6) zu sagen. Und der Geist, in dem er dieses „Abba, Vater“ sagt, er hat ihn erweckt, lebendig gemacht, so daß er lebt in mir, in unserer Mitte.

Ich stehe einfach in diesem „Abba, Vater“ des Sohnes zum Vater im Geist und weiß, daß der Ort dieses „Abba, Vater“ meine Existenz und die Existenz der andern ist. Ich kommuniziere in Jesus mit meinem eigenen Menschsein und der Menschheit überhaupt und zugleich mit seinem Verhältnis zum Vater. Da stehe ich, das ist mein Standort als Christ. Ich kann es gültig nur ausdrücken mit Paulus: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir; was ich aber jetzt noch in dieser Welt zu leben habe, das lebe ich im Glauben an den [78] Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat“ (Gal 2,20). Ich selbst bin der Adressat dieser Liebe, meine eigene Geschichte spielt in ihr, in Ihm, der mich geliebt hat – und zugleich bist du, sind alle mit drinnen in diesem offenen Herzen des Herrn, wir alle gehören in ihm zusammen. Ich lebe so im Bewußtsein einer umfassenden Koinonia mit allen, die in ihm schon da ist und die in der Gegenseitigkeit bezeugten Glaubens und gelebter Liebe schon jetzt Gestalt annimmt. Ich stehe so in der Kirche, in Kirche als diesem Geschehnis der Koinonia, des Offenbarwerdens dessen, was im Leben Jesu, im Herzen Jesu, im Tod Jesu, in seinem neuen Auferwecktsein schon da ist, unserer Zusammengehörigkeit. Ich kann gar nicht „Abba, Vater“ sagen, wenn ich nicht sage: Unser Vater, Vater unser.

Das ist der christliche Existenzraum für mich, er hat die drei Dimensionen: Ich stehe vor dem Vater, ich spreche ihn an, ich lebe auf ihn zu durch Jesus Christus in seinem Geist. Ich komme von ihm her, in diese Welt hinein, ich habe teil an ihr, ich sage ja zu meinem Leben, ich sage ja zu den anderen, ich sage ja zu dieser Welt von ihm her. Ich stehe inne in dieser Koinonia.

Ich habe darin Zukunft, auch dort, wo menschlich keine Hoffnung ist. Er ist meine Zukunft, auch wo ich nichts sehe. Ich habe eine verbindliche Herkunft, ich bin nicht Produkt von Zufällen, sondern ich bin einer, der kommt aus dem neuen Anfang, der in Jesus Christus ein für allemal gesetzt ist. Und ich habe Gegenwart, und dies im je jetzigen Augenblick. Mein Existenzraum ist zugleich, in aller Vorläufigkeit, „erfüllte Zeit“ (vgl. Mk 1,15).

a) Hinblick auf das Wort

Solcher Raum und solche Zeit sind für mich das je neu, je anders, je unableitbar, je unabschließbar mir Zugesagte in jedem Worte, das aus dem Munde Gottes kommt. Ich glaube, daß dies nicht nur die innere Form des Wortes ist, sondern auch seine Sache. Die Sache des Wortes ist, daß hier der Vater in Jesus Christus sich als das Wohin meines Lebens, als das Woher meines Lebens, und Jesus Christus im Geiste sich als der Ort meiner Kommunion mit den andern enthüllt. Das ist es, bis wohin ich das Wort Gottes zu lesen habe, damit ich es ganz lese.

Das Wort Gottes und mein Leben aus ihm haben also die Maßstäbe von Joh 17. Zutiefst geht es um das Einssein des [79] Vaters mit dem Sohn, um ihr gegenseitiges Innesein, in das ich und wir durch die Sendung des Sohnes hineingerufen und durch sein Blut und seinen Geist hineingenommen sind und in dem so zugleich der Anlauf, die Verheißung, der Vorlauf für das Einssein aller miteinander gegeben ist, damit die Welt glaube.

In diesem Zeit-Raum stehe ich, und er reißt die Koordinaten auf für jedes Wort der Offenbarung. Das ist für mich nicht eine theologische Vergewaltigung oder ein Herausspringen aus der geschichtlichen Verfaßtheit des einzelnen Wortes. Für mich ist es selber ein theologisches Faktum, für mich ist es selber eine theologisch bedeutsame Aussage, dass – ich deutete es schon an – Gott in seinem Wort sich in die Mißverständlichkeiten des Begrenzten begeben hat, daß er endliche Worte nimmt, Worte, die ich redaktionsgeschichtlich und formgeschichtlich und wie auch immer in soundsoviele Schichten und Herkünfte und Kontexte zerlegen kann, aber dahinein, in dieses Gewirk, in diese Herkünftigkeit aus unserer Geschichte sagt Gott sich selbst hinein. Das ist gerade Aussage. Und so kann ich einerseits nüchtern und unbefangen prüfen: Was sagt dieses Wort unmittelbar in sich und seinem Kontext? Woher kommt dieses Wort, was hat es für eine Redaktionsgeschichte, welchen Sitz im Leben Jesu, welche Geschichte macht dieses Wort im Glauben der Gemeinde vom Ursprung her durch? Das kann ich nüchtern und offen sehen und kann andererseits gerade so mit einer nicht fundamentalistischen, sondern verwandelten, geläuterten Naivität des Glaubens sagen: Hier spricht Gott, hier sagt Gott mir sein Geheimnis zu, zutiefst: Hier eröffnet er diesen Zeit-Raum vom Vater her zur Welt, von der Welt zum Vater hin, in Jesus Christus als der Mitte. Und ich kann das – zumindest anfanghaft, zeichenhaft sehen, indem ich in diesen Dimensionen von Raum und Zeit das Wort Gottes lebe. Das ist für mich sozusagen die lebendige Hermeneutik des Umgangs mit dem Wort Gottes. Und es ist für mich auch die lebendige Hermeneutik des Umgangs mit dem Sakrament.

b) Hinblick auf die Sakramente

Ich möchte es einen Moment lang einmal riskieren, das entlang der katholischen Siebenzahl der Sakramente zu verdeutlichen, ohne daß dadurch eine theologische Deduktion oder Rechtfertigung dieser Siebenzahl geleistet wäre. Wer die Sakramente anders sieht und gewichtet, kann die Phäno-[80] mene, um die es da geht, durchaus auch von Taufe und Eucharistie her entschlüsseln – oder von Sakramentalität als einem Grundzug christlichen und kirchlichen Lebens her. Für mich ist also im Sakrament immer ein Einstieg in das Vaterverhältnis Jesu und Sohnesverhältnis des Vaters gegeben. Sakrament bedeutet mir immer zugleich ein Stück Ergriffensein meiner Weltwirklichkeit, meines Daseins hier und jetzt. Und immer bin ich schließlich hineingehalten in die Communio mit den andern, in den lebendigen Kontext von Kirche.

Wie sieht – auf die Sakramente hin gelesen – dieses Vaterverhältnis Jesu aus? In was bin ich da – ja, ich gehe von der Taufe aus, die das Grundsakrament ist, – hineingetaucht? Ich bin eben als Getaufter hineingetaucht in jenes Sein Jesu nicht von sich her, sondern allein vom Vater her. Ich bin hineingetaucht in jenes neue Leben, das er vom Vater her hat. Dort, wo ich bin, lebe ich nicht mehr aus mir, nicht mehr mein Fleisch, nicht mehr mein alter Mensch ist das, was in mir lebt, sondern hier ist der neue Anfang dieses neuen Menschen gesetzt, auch wenn er mich noch nicht ganz durchdrungen und umgestaltet hat. Ich bin getauft in das Verhältnis des Sohnes zum Vater im Heiligen Geist, ich bin getauft in das Totsein Christi für sich und das Leben vom Vater und für den Vater allein.

Und daher habe ich teil auch an jenem Wunderbaren, daß der Sohn, der den Geist weggibt an den Vater, der alles losläßt, gerade darin Quelle des Geistes wird. Christus ist im Geist pater futuri saeculi, Vater der neuen Zukunft (vgl. Jes 9,5). Und in diese Geisteswirklichkeit (vgl. Joh 7,37–39) hält mich die Taufe – und, nach katholischer Auffassung, entfaltend und vollendend die Firmung – hinein. Gottes Geist lebt in mir, so daß ich nie nur am Ende, nie nur am Rande, nie nur an der Grenze meiner Möglichkeiten bin, sondern Quelle werde, aus welcher der Geist neues Leben schafft. Selbst wenn diese Quelle in mir verschüttet wird, kann ich sie wieder erwecken, weil ich einmal für immer in die sakramentale Gemeinschaft mit dem hineingenommen bin, der die Quelle des Geistes ist.

Sakramentalität konzentriert sich – wir sahen es bereits ansatzhaft – in der Eucharistie. In ihr haben wir teil an der Weggabe Christi in seinem Leib an den Vater, an seiner Hingabe für die Welt, an der Einheit durch seinen Leib und in seinem Leib.

In meinem Fall und im Immer-Wieder meines Falles bin ich hineingehalten in die unerschöpfliche Zukunft, die der die [81] Schuld der Menschheit am Kreuze beichtende, unter ihr verstummende, sie hinausschreiende Sohn aus dem Vater empfängt. Ich verlasse mich ganz neu in diesen vergebenden Zuspruch der Auferstehung hinein, die ein für allemal geschieht, die aber auch – andere Dimension desselben – der Zuspruch des Immer-Wieder ist in der Buße.

Ich stehe als der von meinem eigenen Leidensweg Überforderte dort, wo der Sohn steht, der nicht mehr kann und nur noch vom Vater her kann. Ich bin durch das Leiden des Sohnes, von seinem Geist, dem Geist des Vaters in ihm, gestärkt, in der Salbung.

Ich bin der Zeuge dessen, daß der Sohn nicht sein Wort, sondern Wort des Vaters ist, daß er nicht sich ins Licht setzt, sondern den Vater sehen läßt (vgl. Joh 14,7–10). Dazu weiß ich mich bestellt, nicht ich zu sein, sondern er für die andern; ich bin geweiht im ordo in dieses Verschwinden meiner selbst, damit er sichtbar werden kann; mein eigenes Dasein soll gerade bloße Vermittlung sein.

Ich wiederhole schließlich diesen unzerstörbaren und unüberholbaren Bund, dieses Ja, dieses absolute Ja des Vaters zum Sohn und des Sohnes zum Vater und darin dieses Ja zu uns, das in Ihm gesprochen ist, im Ja von Ehe.

Ich lebe also in diesen sieben Sakramenten das Verhältnis des Sohnes zum Vater am Kreuz und glaube es mir zugesprochen. Nochmals: ich denke, diese Erfahrung kann auch für einen, der von einer anderen als dieser katholischen Sakramententheologie herkommt, Zeugnis einer Lebenserfahrung sein. Der springende Punkt heißt eben: die verschiedenen Situationen des Lebens sind aus dieser christologischen Mitte her in Wort und Sakrament „getauft“, verwandelt. Im Sakrament befähigt mich Jesus, der zum Vater geht, vom Vater kommt und uns eint, zu leben in ihm und wie er, Ursprung zu sein, ein Leib zu sein mit den andern, das Leiden zu ertragen, mich umzukehren und neu anzufangen, er befähigt mich, Ruf und Sendung auszuhalten und das ganze Ja zu einem andern Menschen zu sprechen. Ich bin durch das Verhältnis zum Vater, das mir durch Jesus Christus eröffnet ist, hineingestellt auch in das neue Verhältnis zur Welt und zu den andern und bin darin zugleich hineingestellt in die communio, in das Miteinander.