Der dritte Weg im kirchlichen Dienst

Die Spannung zwischen Gestalt und Vollzug

Gewiß gehört zum Zeugnis der unlösbare Zusammenhang der drei Momente: Tun – Sein – Gemeinschaft. Wenn aber schon das Wort des Zeugnisses über die Glaubwürdigkeit des Zeugen hinaus zu wirken vermag, wenn Sakramente auch von unwürdigen Dienern gültig gespendet werden können, kann dann diese Rückbindung des Tuns an Sein und Gemeinschaft im Wirken der Kirche in die Gesellschaft hinein durchgehalten werden? Kommen wir nicht zu einer schon in der frühen Geschichte des Christentums als gefährlich, ja häretisch erwiesenen Übersteigerung der Ansprüche: heilige Kirche als Kirche nur der auch im Sinn der ethischen Perfektion Heiligen?

Solche Einwände sind ernstzunehmen. Nichtsdestoweniger ist zu bedenken: Daß die Kirche sich durch ihr eigene Institutionen in das Leben der Gesellschaft einbringt, ist nur gerechtfertigt, wenn die Momente des Zeugnisses in der institutionellen Gestalt gewährleistet sind. Im anderen Falle wäre es für die Kirche konsequent, auf eigene Institutionen zu verzichten und ihre Glieder allein darin zu bestärken, daß sie ihr personales Zeugnis in den Institutionen der Gesellschaft einbringen.

Hier freilich erhebt sich eine neue Anfrage. Ist – ganz im Sinn des bislang Ausgeführten – nicht wichtiger als die Gestalt der Vollzug?

Zeugnis geschieht. Im Zeugnis geht etwas aus und über vom Zeugen zu jenen hin, denen er Zeugnis gibt. Christlich ist das zu Bezeugende die Liebe, die Gott ist und die Gott gibt, in der Gott sich selber gibt. Daß etwas von dieser Liebe auf- und übergeht, ist entscheidend in jedem christlichen Zeugnis, auch im Zeugnis von Institutionen. Kommt es dann aber, im Blick auf die Mitarbeiter, nicht mehr als auf äußere Bedingungen kirchlicher Konformität auf die Liebe an, auf den Einsatz für den Menschen? Ist nicht z. B. das Zeugnis eines Menschen, dessen kirchliche Identität in seiner Lebensgestalt einen Bruch aufweist, der aber als demütiger Sünder Zeuge des Erbarmens und der Liebe Gottes ist, glaubwürdiger als die sachlich perfekte und kirchlich korrekte Kühle des „Funktionärs“? Dem kann und soll nicht widersprochen werden. Das Entscheidende ist das Mehr an Liebe, das sich freilich nicht allein in einem tieferen Warum und einem höheren Wie, in Motivation und Art des Handelns erschöpft; die Liebe Christi schließt auch ein Bild vom Menschen, schließt auch eine Inhaltlichkeit des Zeugnisses ein; Liebe ist nicht zu verwechseln mit bloßer Bedürfnis- und Verständnisorientiertheit. Liebe ist die in unserem Vollzug aufscheinende Liebe Gottes selbst, die in Jesus Christus uns erwiesen ist. Gerade deshalb sind Sakramente und Verkündigung nicht auf die persönliche Heiligkeit des Spenders angewiesen.

Umgekehrt ist für ein institutionelles Zeugnis der Kirche der Vollzug zwar das Entscheidende – aber nicht das Einzige. Hier soll auch in der Gestalt das aufscheinen, was Kirche ist, Gestalt soll dem entsprechen, wie Kirche als ganze sich versteht und darstellt. Das aber erfordert eine Entsprechung dessen, der am Zeugnis der Institution als solcher beteiligt ist, auch in seiner Wirk- und Lebensgestalt zu dem Maßstab der Kirche.

Gewiß ist die Stimmigkeit dieser Gestalt in sich selbst nicht ausreichend; Vollzug ist – wir betonten es – in sich wichtiger als Gestalt, vollzogene Liebe in sich wichtiger als ihre gestalthafte Besiegelung. Liebe als Vollzug aber ist nicht meßbar, ihre Vollkommenheit nicht juridisch gestalthaft und einklagbar. Wohl aber gibt es in der Gestalt der Institution und in der Gestalt des Zeugnisses und Lebens derer, die zu ihr gehören, Merkmale, die Entsprechung oder Widerspruch zwischen dem Zeugnis und dem, was in ihm bezeugt wird, markieren. Daher läßt sich nicht davon absehen: Trägerschaft, Ziel und Anspruch der Institution, welche Kirche ist (und zumal der Kirche, sofern sie Institution ist), fordern an erster Stelle, aber nie voll kontrollierbar und einklagbar, im Voll- [325] zug; an zweiter Stelle, aber nachprüfbar und einklagbar, in der Gestalt der Institution: die Identifikation mit dem Maß Jesu Christi, wie es in der Kirche verkündet wird. Institution als Kirche und Kirche als Institution stehen unter dem Anspruch eines institutionellen Zeugnisses.

Es muß in der Weise, wie die Institution sich verfaßt, und in der Glaubens- und Lebensgestalt derer, die dieses institutionelle Zeugnis geben, sichtbar und greifbar werden. Andernfalls ist die Glaubwürdigkeit von Kirche als Institution und die gesellschaftliche wie kirchliche Berechtigung von Institutionen als Kirche fragwürdig.

Wer dies betont, muß freilich das Erstgesagte noch mehr betonen: Mit der institutionellen Stimmigkeit der Gestalt allein ist es gerade nicht getan; im Vorgriff gesagt: ein „dritter Weg“ stimmt nicht schon dann, wenn er in seiner Struktur stimmt, sondern erst dann, wenn er in seinem Vollzug stimmt. Und hier bleibt immer neu Entscheidendes noch zu tun.

Ein weiteres kritisches Wort: Wenn es sich mit der Zeugnispflicht kirchlicher Institution so verhält, gibt es dann nicht eine qualitative Grenze des Quantums kirchlicher Institutionen? Wir werden immer neu zu prüfen haben, ob sie erreicht ist. Könnte nicht ein „flächendeckendes“, alleiniges Angebot kirchlicher Institutionen diese in einen problematischen Zugzwang bringen? Es liegt nahe, in einer Zeit der Arbeitslosigkeit – ganz entgegen einem verbreiteten Trend, einer an Institutionen reichen Kirche zu misstrauen – einem Ausbau von Institutionen und damit von Arbeitsplätzen das Wort zu reden. Würden indessen in einer Überfülle kirchlicher Institutionen nicht in der Tat der Sinn, das Motiv und die Kraft des institutionellen Zeugnisses der Kirche neutralisiert, erdrückt, nivelliert? So wichtig kirchliche Institutionen in unserer Gesellschaft und für deren Identität sind, so wichtig ist es, Bestand, Erhalt und gar Aufbau kirchlicher Institutionen an dem der Kirche gesetzten Maß des Zeugnisses gegenzulesen und zu bestimmen: Es geht um „exemplarische Präsenz“ der Kirche.