Weltdienst – Heilsdienst

Die theologische Perspektive

Wie aber sieht diese Alternative aus? Treffend läßt sich die Grundbotschaft des Christlichen über Welt- und Heilsdienst mit der Formel des Johannesprologs charakterisieren: Wort ist Fleisch geworden. Diese Botschaft sagt uns: Christen leben aus einem Heil, das Heil für die Welt, aber nicht Heil von der Welt ist. Christen leben aus [58] einem Heil, das uns geschenkt werden, das uns zukommen muß, das wir also nicht selber konstruieren, nicht innerweltlich erreichen können. Diese Zukunft aber ist prägend schon für die Gegenwart, ja sie ist bereits anfängliche Gegenwart in der Weltgegenwart und eröffnet dieser das Maß und die Chance. Wir leben also in einem Glauben, der uns sagt, daß das Heil nicht bloß ein überirdisches Ideal ist, sondern daß der, der das Heil ist, einsteigt in diese Welt, eine positive Beziehung annimmt zu ihr und uns damit befähigt zur Gestaltung dieser Welt, nicht in dem Sinne, daß wir ihr Heil machen, wohl aber daß wir es zeichenhaft zu bezeugen wissen.

Das Wort ist Fleisch geworden: hier sind vier falsche Alternativen im Verhältnis des Christen zur Welt ausgeschlossen. Einmal der Rückzug in eine ideale Welt des Logos, in eine Welt von Wort und Sinn, in eine Welt des Überirdischen, Jenseitigen, in die wir uns bergen könnten in reiner Sammlung, ohne uns die Hände mit dieser Welt schmutzig zu machen. Zum anderen ist aber auch ausgeschlossen die sich selbst genügende, in sich verschlossene Autonomie der Sarx des Fleisches, will sagen eine Beschränkung auf den Binnenraum der irdischen Verhältnisse und Mächte. Ein Heil aus dem Funktionalismus geht nicht an. auch zwei Bewegungen sind ausgeschlossen: einmal eine Bewegung des Aufstiegs kraft unserer Anstrengung oder kraft der Entwicklung, eine Evolutionstheorie des Heils, das sich automatisch, wenn wir nur die Entwicklung beheizen, als Endfrucht ergeben wird; zum anderen eine Abwärtsbewegung des Göttlichen, als ob ein überirdisches Heilsprinzip oder Gottprinzip einfachhin abliefe und in diesem Ablauf sich übersetzte in die Welt hinein und als Endprodukt dann die heile Welt hervorbrächte.

Dies alles aber geht nicht an; dann das Heil ist begründet im Kommen des Wortes in unser Fleisch, [59] in einem Wort also, das nicht nur Idee, sondern Person ist und personal, frei sich zu dieser Welt entschließt, sich in sie einläßt. Und dieser Entschluß hat zwei Richtungen: die Richtung des Sohnes zum Vater; das Heil der Welt wurzelt in Sendung, Gehorsam und Hingabe. Die andere Richtung: das Eingehen des Sohnes in diese Welt; das Heil geschieht in der dienenden Solidarität mit ihr, in ihrer liebenden Verwandlung von innen her.

In der Fleischwerdung des Wortes erhalten so Macht, Freiheit und Kommunikation, jene Grunddimensionen der Geschichte, eine neue Bedeutung. Die letzte und höchste Macht, die über der Geschichte steht, ist nicht ein Fatum, nicht ein ehernes Weltgesetz, sondern die Macht des liebenden Ja des Vaters, die Welt zu gestalten in seinem Wort, das er in eine Welt sendet, die ihren eigenen Untergang betreibt. Freiheit ist zutiefst Freiheit des Sohnes, sich zum Vater und für die Welt zu entscheiden, Freiheit, die nicht um die Frage der Selbstgewinnung kreist, sondern Freiheit, die letztlich Hingabe heißt; Freiheit wird erlöst, bloße „Freiheit von“ zu sein, sie wird „Freiheit für“, „Freiheit zu“. Und Kommunikation wird davon erlöst, bloßer Kompromiß zu sein. Denn sie gründet und vollendet sich in der Gemeinschaft des Geistes mit dem Wort, in dem wir verstanden sind und in dem wir darum die Welt, uns selbst und uns gegenseitig verstehen können. Solche Kommunikation stiftet Gemeinschaft, welche Einheit in Freiheit, Freiheit zur Einheit ist.

Was hat nun das für Konsequenzen für das Verhältnis von Welt- und Heilsdienst? Wenn das Wort, in dem die Welt geschaffen wurde, in die Welt gekommen ist, dann ist es unser Weltdienst, dieses Wort je neu in die Welt zu inkarnieren, es offenzulegen durch unser Weltverständnis und unsere Weltgestaltung. Die Verhältnisse sind nicht innerweltlich vollendbar, aber sie sind auch nicht derart von [60] Grund auf verrottet und heillos, daß das Wort ihnen nichts zu sagen hätte, sie nicht erreichen könnte. Wenn wir daher dieses Wort der Welt ausrichten, es ihr bezeugen, sind wir dabei nicht einfachhin in eine Kommunikationslosigkeit mit den anderen, den Draußenstehenden gedrängt, sondern wir glauben daran, daß wir gerade in Kooperation mit ihnen das Wort freizulegen haben, in dem alles identifiziert, in dem alles es selbst wird. Wir kennen das Wort, das die Dinge, die Verhältnisse, die Menschen bei ihrem Namen und bei ihrem Geheimnis nennt, und wir sollen dieses Wort einbringen in unserem gestaltenden Versuchen, in den Modellen, im Bei-spiel, in der Kooperation, in all unserem Handeln in der Welt. Das Wort einbringen in die Welt und somit die Welt identifizieren, die Welt in diesem Sinn befreien helfen, dies ist christlicher Weltdienst.

Aber das läßt sich eben nicht loslösen von der genau gegenläufigen Richtung, vom christlichen Heilsdienst. Wir müssen und können die Welt einbringen ins Wort. Alle sollen sich in diesem Wort, das sie befreit, das sie erlöst, das ihnen das Heil zusagt, versammeln. Ekklesia ist die Versammlung derer, die herausgerufen sind aus der Welt, um das Heil zeichenhaft zu verdeutlichen, Versammlung, in die jeder sich selbst, seine Welt, seine Fragen, sein Dasein, seine Erfahrung mitbringt. Deswegen gehören die Erfahrung der Welt, die Verhältnisse der Welt in den Heilsdienst der Kirche hinein.

Also einerseits das Wort einbringen in die Welt und andererseits die Welt einbringen in das Wort.