Der Religionsunterricht als Vermittlungsgeschehen
Die Unkorrelierbarkeit aushalten*
Nun stelle ich die Frage: Wie geht Gott mit der Unkorrelierbarkeit um? Im Sinn einer im letzten und tiefsten mich betreffenden Realität glaube ich, daß die höchste Offenbarung Gottes darin besteht, daß er in sich, in seinem Sohn Jesus Christus, die Unkorrelierbarkeit von Gott und Mensch und die Unkorrelierbarkeit der menschlichen Erfahrungen ausgehalten hat: Das ist das Ausgespanntsein. Das ist es, daß er [Jesus] die absolute Nähe zu Gott und die absolute Ferne Gottes nicht dialektisch vermittelt, sondern aushält, daß er dorthin geht, wo wir sind, daß er sich ausliefert und einfach uns aushält. Er gibt keine Antwort auf die Theodizeefrage, er gibt keine Antwort auf die theoretische Vermittelbarkeit der Dinge, das tut er nicht! Sondern er geht hin und hält aus.
Und das ist das, was Gott tut. Der Auseinanderbrechende, das Unversöhnbare, das Entzweite – wir könnten eine ganze Perspektive durch die Schrift legen, die das deutlich macht – dies alles geschieht in seiner Einheit nur dadurch, daß es ausgehalten ist. Nicht mehr das „Ich denke“ der transzendentalen Apperzeption Kants, nicht mehr irgendwo eine Konstruktion eines umgreifendenden Systems, nicht die dialektische Vermittlung eines Hegel, sondern die Wortlosigkeit des Wortes, das Fleisch | geworden ist, das heißt: Unkorrelierbarkeit geworden ist. | Das ist es! Hier allein ist die Folie möglicher Einheit, ohne die im ganzen Leben nichts gelingt.
Ich glaube, daß hier ein hermeneutischer Schlüssel für die großen Grunddogmen der Christenheit ist. Das Wort ist Sarx, Fleisch geworden, das heißt, Gott hat sich aufgemacht, um dies auszuhalten. Der Johannesevangeliums-Kommentar von Bultmann weist darauf hin, daß das Wort „Logos“ nur im 1. Kapitel des Johannesevangeliums vorkommt, und daß nachher nur die Sarx übrigbleibt1, weil das Wort nicht irgendwo eine frohe Realität jenseits der Sarx hat, son- [379] dern sich einfach reingibt, radikal, in die Sarx, in das Fleisch, in die Wirklichkeit, die es aushält. Das ist Menschwerdung, das ist Kreuzigung, Gottverlassenheit. Und da kommt eben nicht als dialektische Vermittlung die Auferstehung heraus, sondern als reines Geschenk, als reines Ereignis. Deswegen ist er ja eben nicht in erster Linie der Auferstehende, das ist er auch, aber in erster Linie ist er der Auferweckte, der radikal von sich aus in den Tod Gefallene, der dann auferweckt werden kann, aber die Wunden behält und zeigt. Und das ist Trinität: Der vom verlassenen Sohn ausgehaltene Vater und der uns und unsere Unerträglichkeit aushaltende Sohn, dann angenommen vom Vater, und in diesem gegenseitigen Ausgehaltensein im einen Geist: da ist das Spannungsfeld, in dem Leben ist.
Hören wir einmal auf dieser Folie Röm 5,3–8: „Mehr noch, wir rühmen uns ebenso (wie unserer Hoffnung) unserer Bedrängnis; denn wir wissen: Bedrängnis bewirkt Geduld (hypomoné – Aushalten); Geduld aber bewirkt Bewährung (will sagen: „Kontinuität – Einheit“), Bewährung Hoffnung. Die Hoffnung aber läßt nicht zugrunde gehen; denn die Liebe Gottes (die uns aushält) ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist. Christus ist schon zu der Zeit, da wir noch schwach und gottlos waren, für uns gestorben. Dabei wird doch schwerlich jemand für einen Gerechten sterben... Gott aber hat seine Liebe zu uns darin erwiesen, daß Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.“
Das ist das Ausgehaltensein von Gott als die Hermeneutik dessen, was heißt: „Gott ist Liebe“ (vgl. 1 Joh 4,8) – und das ist unser Aushalten dieses schier unaushaltbaren uns aushaltenden Gottes als Hermeneutik dessen, was heißt: „Wir glauben an die Liebe“ (vgl. 1 Joh 4,16). Ich glaube, daß hier der zentrale Punkt steckt, in diesem Aushalten, das eine andere Weise von Einheit stiftet als die der bloßen Tradition, als die des Systems, als die der Neuzeit.
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(Anm. d. Bearb.) Vgl. R. Bultmann, Das Evangelium des Johannes (KEK 2) (Göttingen 1941) 40 – zu Joh 1,14 heißt es wörtlich: „In dieser Sphäre [des Weltlich-Menschlichen, Bearb.] erscheint der Logos, d.h. der Offenbarer ist nichts als ein Mensch. Und als Menschen nehmen ihn die Menschen, die ihm begegnen [...]. Es ist daher auch völlig der Sache entsprechend, wenn der Titel Λόγος im weiteren Evg keine Rolle mehr spielt. Als der Fleischgewordene und nur als dieser ist jetzt der Logos da.“ (Hervorh. Bearb.). ↩︎