Propädeutische Überlegungen zur Glaubensvermittlung
Die unterschiedlichen Möglichkeiten der Glaubensvermittlung*
Ein zweiter reflektierender Hinblick auf die drei Geschichten soll die unterschiedlichen Möglichkeiten der (Glaubens-)Vermittlung voneinander abheben und auf den Begriff bringen. Dabei ist uns durchaus bewußt, daß sich in Wirklichkeit diese Möglichkeiten miteinander zu verschränken pflegen.
Erste Möglichkeit: Etwas Entzogenes, Unzugängliches wird mir durch ein Vermittelndes (ein Medium) gegenwärtig. Konkret: Die eigene Schuldgeschichte, mit der David nichts anfangen konnte, wird ihm durch Natans Erzählung plötzlich unmittelbar. Formal: Eine entzogene Wahrheit, die mich entweder rein faktisch oder in ihrer Qualität nicht betrifft, wird mir durch einen Betroffen-Machenden unmittelbar. Vermittlung bedeutet hier: Entzogenes unmittelbar machen.
[107] Vermittlung kann aber auch das Gegenteil bedeuten, zweite Möglichkeit: Etwas, in das ich verwickelt bin, das gerade, weil es mir zu unmittelbar ist, mir nicht greifbar, verstehbar, vollziehbar ist, wird mir durch ein Vermittelndes (ein Medium) so weggerückt, daß ich mich ins Verhältnis zu ihm setzen kann. Konkret: Die Umstehenden haben zunächst kein eigentliches Verhältnis zum Pfingstgeschehen, können deshalb auch nicht eigentlich betroffen sein, sie sind vielmehr ratlos über ihre eigene Unbetreffbarkeit. Unmittelbarkeit wird erst möglich auf Grund der Einweisung durch Petrus in das Verhältnis, in die Welt des Glaubens. Formal: Durch Vermittlung wir falsche Unmittelbarkeit aufgesprengt und wahre Unmittelbarkeit eröffnet. Es ließe sich exakt phänomenlogisch zeigen, daß beide Vermittlungsvorgänge sich gegenseitig einschließen, einer im anderen enthalten ist.
Dritte Möglichkeit: Zwei Positionen kommen nicht zur Begegnung, weil sie entweder so weit voneinander entfernt sind, daß sie nichts miteinander anfangen können, oder weil sie – in einer Konfrontation beispielsweise – so ineinander verquickt sind, daß sie sich blockieren. Hier bedarf es wiederum eines Vermittelnden, eines Mittlers. Vermitteln in diesem personalen Sinn bedeutet, formal gesprochen: eine Position anbieten, die zwei Positionen entweder so zusammenbringt oder so auseinander bringt, daß eine Begegnung, ein Verhältnis möglich wird. Konkret: der Strafgefangene ist derart auf Konfrontation eingestellt, daß er niemand an sich herankommen läßt, bis (die Erinnerung an) die Mutter Begegnung vermittelt.
Dreimal haben wir dieselbe Logik durchgespielt: Der Mensch steht zunächst und zumeist in einer falschen, einer vermeintlichen Nähe, die ursprüngliche Unmittelbarkeit gerade verunmöglicht. Erst aus einer welt- und horizonteröffnenden Differenz kommt er zurück vor den „Gegenstand“; so eröffnet sich ihm wahre Nähe, Gegenwart. Vermittlung weist also in das Verhältnis ein. Ohne Differenz keine authentische Unmittelbarkeit! Diese Grundregel für Vermittlung überhaupt gilt es auch und mit besonderer Vorsicht für die Glaubensvermittlung zu beachten.